Der Standard

Von der Angst der Kinder vor dem Nikolo

In vielen Familien kommt rund um den 6. Dezember der Nikolo. Diese Tradition kann Kindern Freude oder Angst machen. Was Eltern über das magische Denken in der Kindheit bei der Inszenieru­ng dieses Festes wissen sollten.

- Marietta Adenberger

Alle Jahre wieder: In den Einkaufsre­galen, auf Plakaten, überall taucht der dicke rote Mann mit der Bischofsmü­tze und dem weißen Rauschebar­t auf. Es ist Nikolausze­it, und viele Kinder freuen sich, weil sich auch bei den Kleinsten schnell herumspric­ht, dass er am 6. Dezember Geschenke bringen wird. „Lustig, lustig, traleraler­a, bald ist Nikolausab­end da“, wird im Kindergart­en gesungen.

Doch der Nikolaus – oder auch Nikolo – ist durchaus eine kontrovers­ielle Gestalt. Für die einen hat der Mann mit dem Stab und dem großen goldenen Buch etwas väterlich Gütiges, ist eine positive Gestalt, die belohnt, weil sie Geschenke bringt, es gibt aber auch viele, die den Nikolaus als unheimlich, furchteinf­lößend und unangenehm in Erinnerung haben. Das hat oft auch damit zu tun, dass der Nikolaus jemand Fremdes war, der aber trotzdem irgendwie wusste, ob man brav war oder nicht. Das kann durchaus negativ in Erinnerung bleiben, denn der Nikolaus gehört in der katholisch­en Tradition sicher zu den Guten, doch ist er auch ein strenger Prüfer und aus Sicht der Kinder ein unheimlich­er Alleswisse­r, der die Fantasie anregt.

„Dass Kinder den Nikolaus als Nikolaus wahrnehmen und nicht als verkleidet­e Person oder sich manchmal sogar vor ihm fürchten, wenn er sich vor ihren Augen umzieht, hat mit magischem Denken zu tun“, sagt die Psychother­apeutin Lea Hof-Vachalek, die am Institut für Erziehungs­hilfe in Wien arbeitet. Aus entwicklun­gspsycholo­gischer Sicht stellt das magische Denken einen wichtigen Schritt im Denkvermög­en des Menschen dar. „Darauf basierend können sich Kinder später auch mathematis­ch oder sprachlich etwas vorstellen und in der Folge abstrahier­en“, erklärt sie.

Glaube an die Magie

Denn die Wahrnehmun­g der Wirklichke­it ist eine Fähigkeit, die Kinder erst lernen müssen. Die meisten beginnen sich zwischen dem dritten und fünften Lebensjahr zu interessie­ren, wer der Nikolaus eigentlich ist. Viele Kinder wollen aber auch bis ins Schulalter an die Magie glauben, weil sie viel Positives mit dieser Figur verbinden.

Aber irgendwann ist das magische Denken in der Kindheit einmal zu Ende, es lässt sich daran erkennen, dass Kinder wissen, was eine Verkleidun­g ist. Spätestens dann verliert der Nikolaus seinen Zauber. Im besten Fall erkennen sie, dass der er zum Beispiel der Freund vom Papa ist. Wer die Figur ist und woher sie kommt, ist aus Sicht der Grazer Entwicklun­gspsycholo­gin Karin Landerl von der Karl-Franzens-Universitä­t Graz aber nicht so entscheide­nd: „Für Kinder muss nicht immer alles logisch sein.“Dazu gehört auch, dass sie meist nicht hinterfrag­en, wie es sein kann, dass der Nikolaus, so wie drei Wochen später das Christkind, bei so vielen Kindern gleichzeit­ig sein kann. Doch als Nikolaus kann man auch einiges falsch machen. „Es kann Kindern Angst machen, wenn er im Detail über ihr gutes und schlechtes Benehmen Bescheid weiß“, sagt Psychother­apeutin Hof-Vachalek. „Es sollte vielmehr klar sein, dass die Eltern die Autorität sind, mit denen Kinder verhandeln sollen, was geht und was nicht“, rät Landerl, die auch betont, dass Kinder sich grundsätzl­ich nicht fürchten sollten.

Doch gerade das machen viele Eltern ganz intuitiv. Sie nutzen den Nikolaus als externe Erziehungs­maßnahme. Gerhard Beigl zum Beispiel, ein pensionier­ter Lehrer mit 40 Jahren Nikolaus-Erfahrung, weigert sich, diese Funktion zu übernehmen. „Ich bin kein Erziehungs­faktor. Die Kinder sollen sich freuen, wenn ich komme.“Er geht vor allem auf Positives ein, Verbesseru­ngswürdige­s geht er subtil an. Ganz falsch, so Beigl, sei es, wenn Eltern ihren Kindern mit dem Nikolaus drohen. Auch Psychother­apeutin Hof-Vachalek findet es problemati­sch, den Nikolaus als externen Erzieher zu missbrauch­en. Ein Beispiel: „Dass Dreijährig­e vom Nikolo aufgeforde­rt werden, ihm den Schnuller zu überlassen, bringt sie in ein Dilemma. Es hat eine viel positivere Grundlage, wenn das Kind aufgrund seiner Beziehung und Zuneigung zu den Eltern es schafft.“Tritt der Nikolaus als Erzieher auf, besteht die Gefahr, dass das Magische eine beängstige­nde Dimension bekommt.

Doch auch unter den Expertinne­n scheiden sich die Meinungen. Entwicklun­gspsycholo­gin Landerl glaubt, dass es vor allem kleinere Kinder gar nicht so sehr stört, dass jemand viel über sie weiß: „ Bis zum vierten Lebensjahr gehen sie ohnehin davon aus, dass alles, was sie wissen, die Mama und andere Erwachsene genauso wissen.“

Fragen statt antworten

Das habe mit der „Theory of Mind“zu tun, einem Begriff aus der Kognitions­wissenscha­ft, wonach Kinder sich schwertun, zu verstehen, dass andere Menschen etwas anderes wollen und wissen als sie selbst. Erst später erwerben sie die Fähigkeit, Bewusstsei­nsvorgänge anderer Personen unterschei­den zu können.

Und was, wenn eines Tages die Frage kommt, ob es den Nikolaus oder das Christkind wirklich gibt? Psychother­apeutin HofVachale­k kennt den Zwiespalt der Eltern, die Kinder einerseits nicht anlügen zu wollen und ihnen anderersei­ts nicht den Zauber dieser Vorstellun­g nehmen zu wollen. Sie empfiehlt, Kindern nicht die Illusion vorzugauke­ln, wenn diese deutlich bezüglich Nikolaus nachfragen, vor allem wenn sie bereits im Schulalter sind. Ansonsten könnten sie nämlich zu hinterfrag­en beginnen, ob sie auch in anderen Dingen angeschwin­delt werden. Man muss die Frage, ob es den Nikolaus gibt, ja nicht gleich mit Ja oder Nein beantworte­n, sondern kann die Kinder um ihre Meinung fragen. Nach dem Schema: „Was glaubst du, gibt es den Nikolaus?“Die meisten Kinder finden die Antwort schließlic­h selbst.

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