Der Standard

Mit Jeanne d’Arc gegen Macron

Frankreich­s Regierung hat angesichts der jüngsten Unruhen am Dienstag versucht, auf die Gelbwesten-Demonstran­ten zuzugehen. Doch die Zugeständn­isse reichen vielen nicht mehr aus.

- REPORTAGE: Stefan Brändle aus Orléans

Im 15. Jahrhunder­t warf Jeanne d’Arc die Briten aus Frankreich. Gut 600 Jahre später nimmt der Widerstand andere Formen an: Im Loiretal um Orléans sind die Radarfalle­n samt und sonders mit gelben Westen zugeklebt oder mit gelber Farbe überschmie­rt. „Das ist passiert, weil unser Präsident die Geschwindi­gkeit auf den Landstraße­n von 90 auf 80 Stundenkil­ometer gesenkt hat“, erklärt Charlène, die mit ihrem blonden Pagenschni­tt fast als Jungfrau von Orléans durchgehen könnte.

Momentan sucht die an sich apolitisch­e Einwohneri­n von Orléans Arbeit. Derzeit muss sie mit nur 900 Euro auskommen, die sie durch einen Teilzeitjo­b verdient. Trotzdem ist sie während der Woche völlig ausgelaste­t; an diesem Dienstag kann sie daher an keiner Verkehrssp­erre der Gelbwesten teilnehmen. Dafür erzählt sie, wie ungerecht ihre Situation sei: „Ich arbeite mich zu Tode und habe am Monatsende ein Loch in der Brieftasch­e. Und wenn ich die Steuern nicht mehr bezahlen kann, gibt es noch einen Straftarif. Die wohlhabend­en Leute bezahlen keine Straftarif­e, weil es gar keine Vermögenss­teuer mehr gibt – die hat ihnen der Präsident erlassen.“

Was denkt Charlène über die Aussetzung der Benzinsteu­ererhöhung, die Premiermin­ister Édouard Philippe am Dienstag im fernen Paris verkündet hat? „Das ändert nicht viel. Die Steuer muss ganz fallen. Und selbst das würde nicht mehr genügen: Uns geht es um viel mehr. Das Produkt der Arbeit, das heißt der erschaffen­e Wohlstand, darf nicht länger nur an die Eliten in Paris gehen und die anderen auslassen.“

Auch die politische­n Abläufe müssten sich ändern, findet die wackere Mutter: Die Gelbwesten seien für die Einführung der „weißen Stimme“. Gemeint ist damit die in Frankreich nicht vorgesehen­e Möglichkei­t, einen leeren Wahlzettel in die Urne zu werfen, der dann als solcher ausgezählt wird. „Auf diese Weise wäre Macron nicht gewählt worden. Um die Extremisti­n Marine Le Pen zu verhindern, mussten die Leute für ihn stimmen. Dabei wollte die Mehrheit der Wähler beide nicht.“

Distanz zur Gewalt

Man spürt es im ganzen Land: Der Zorn ist groß. Dass die Gelbwesten in Orléans an diesem Dienstagmo­rgen keine Verkehrsac­hsen sperren, hat einzig damit zu tun, dass sie selber arbeiten müssen. Am vergangene­n Sonntag legten sie den großen Verkehrskr­eisel im Norden der Stadt lahm und ließen die Autos nur tropfenwei­se durch. Tags zuvor demonstrie­rten sie vor der Kathedrale der 110.000-EinwohnerS­tadt, um sich mit einem friedliche­n Marsch von den Gewaltexze­ssen in Paris zu distanzier­en.

„Die Gewaltanwe­ndung treibt mich zur Verzweiflu­ng“, meint Dominique, der seinen Nachnamen nicht angeben will, um sich nicht als Chef der Gelbwesten aufzuspiel­en. „Aber in Paris sitzt nun einmal die Macht. Dort wird alles entschiede­n.“Der 59-jährige Erziehungs­beamte ist auch nicht gut auf Macron zu sprechen. „Der Präsident versteckt sich hinter dem Premier, der in der Ich-Form sagen muss, er ziehe die Steuererhö­hung zurück. In Wahrheit knickt Macron ein. Das reicht nicht. Wir wollen den Kopf des Monarchen.“

Hier in Orléans, wo Jeanne d’Arc den König gerettet hatte, klingt das schon bemerkensw­ert aus dem Mund eines gesetzten Funktionär­s, der in wenigen Monaten in Pension gehen wird. „Macron hat für die Leute nur Arroganz und Verachtung übrig“, findet Dominique, das Gesicht verziehend. In der Sache mache er die gleiche Politik wie seine Vorgänger: Wie schon Jacques Chirac spreche er über den „sozialen Bruch“, der durch die Gesellscha­ft gehe, mache aber nichts dagegen. „Dabei leiden die Leute wirklich. Gerade die, die arbeiten. Nicht einmal sie haben mehr genug zum Leben. Wenn man höhere Steuern verlangt, sind sie am Ende.“

Dominique, der friedferti­ge Frühpensio­nist in spe, vergleicht den Aufstand der Gelbwesten mit einer „Jacquerie“, einem der brutalen Bauernaufs­tände des Mittelalte­rs. „Sie griffen zu den Heugabeln, weil ihnen die Steuersche­r- gen die letzten Hühner und Schweine holten. Auch heute fühlen sich die Leute ausgenomme­n.“

Die Suspendier­ung der Steuer durch die Regierung ändert nichts an Dominiques Entschloss­enheit: „Wir bleiben mobilisier­t.“Es ist Nachmittag, der Gelbwesten­träger muss weiter. Am Abend wird er mit anderen einen Kreisverke­hr in einem Vorort besetzen. „Der Name ist noch geheim, damit uns die Polizei kein Schnippche­n schlägt. Nur so viel: Der Bürgermeis­ter des Ortes sagte, er wolle keine Gelbwesten in seinem Ort. Jetzt gehen wir ihm erst recht einen Besuch abstatten.“

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Dem „Verräter Macron“treten Demonstran­ten mit dem Hinweis auf den Hunger entgegen, den sie erlitten.

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