Fehlstart in Mays wichtigste Woche
Am kommenden Dienstag soll das britische Unterhaus über den Brexit-Deal von Premierministerin Theresa May abstimmen. Diese will um Mandatare werben, hat aber an zwei wichtigen Fronten Niederlagen erlitten.
Fünf Tage soll die Marathondebatte über den Brexit dauern – doch gleich zu Beginn hat die Regierung von Premierministerin Theresa May am Dienstag sowohl im Unterhaus als auch vor dem Europäischen Gerichtshof Niederlagen eingesteckt. Die Regierungschefin gab sich davon unbeirrt: Ihr mit Brüssel ausgehandeltes Verhandlungspaket stelle die richtige Lösung dar, betonte sie wie schon so oft. „Die Bürger wollen, dass das Austrittsvotum respektiert wird und wir unser Land zusammenführen.“
Für die Verabschiedung des Austrittsvertrags, den May vor zehn Tagen mit den 27 EU-Partnern vereinbart hatte, ist die Zustimmung des Unterhauses nötig. Gleiches gilt für die zugehörige Zukunftsvereinbarung. Diese und nächste Woche werden die Parlamentarier täglich acht Stunden lang Argumente austauschen, ehe am kommenden Dienstag die Abstimmung zu Abschnitt 13(1)(b) des Austrittsgesetzes vorgesehen ist. Da May einer Minderheitsregierung vorsteht und mehrere Dutzend ihrer eigenen Fraktionsmitglieder Gegenstimmen oder Enthaltungen angekündigt haben, gilt eine Niederlage der Regierung als wahrscheinlich (siehe rechts).
Dienstagnachmittag berieten die Abgeordneten auf Antrag aller sechs Oppositionsparteien darüber, ob die Konservativen sich der Missachtung des Parlaments schuldig gemacht hätten. Schon die Debatte selbst gilt als beispiellose Demütigung der Regierung.
Streit um Gutachten
Labours Brexit-Sprecher Keir Starmer erinnerte daran, dass das Unterhaus Mitte November mehrheitlich von der Regierung die Veröffentlichung eines Rechtsgutachtens verlangt habe. Darin hat der Generalstaatsanwalt im Kabinettsrang, Geoffrey Cox, seinen Ministerkollegen das Für und Wider zum Austrittspaket aus juristischer Sicht erklärt.
Solche Gutachten müssten der Vertraulichkeit unterliegen, argumentierte Cox am Montag bei einer Fragestunde im Unterhaus – die erste Gelegenheit seit mehr als einem Vierteljahrhundert, dass sich ein Generalstaatsanwalt ins Kreuzverhör nehmen ließ. Zusätzlich veröffentlichte die Regierung eine 43-seitige Zusammenfassung des Gutachtens. Cox habe das Parlament nicht missachtet, „sondern mit dem höchsten Respekt behandelt“, sagte seine Kabinettskollegin Andrea Leadsom am Dienstag.
Bei der wichtigsten Streitfrage lässt der Brexit-Befürworter Cox zudem keinen Zweifel an seiner Meinung: Die sogenannte Auffanglösung („Backstop“) für Nordirland, die dem Offenhalten der inneririschen Grenze dient, kann nur im beiderseitigen Einvernehmen zwischen Brüssel und London gekündigt werden.
Diese eindeutige Einschränkung staatlicher Souveränität wollen die Brexit-Ultras nicht hinnehmen. Geoffrey Cox hingegen verweist auf den Kompromisscharakter des Deals.
Dass die Opposition auf der Veröffentlichung des ganzen Schriftstücks beharrt, hat einen politischen Grund: Schwankende Ab- geordnete auf beiden Seiten der Debatte suchen nach Gründen, um dem Austrittspaket eine Absage erteilen zu können. Während sich manche ein zweites Referendum wünschen, wollen andere den Chaos-Brexit ohne Deal.
May betont Jobsicherheit
Und Premierministerin May? Allen Fragen nach ihrer politischen Zukunft weicht sie aus: „Ich werde auch in zwei Wochen noch einen Job haben.“Formal stimmt das, schließlich amtiert die 62Jährige selbst im Fall eines Rücktritts vom Amt der Premierministerin weiterhin als Abgeordnete.
Beim Europäischen Gerichtshof EuGH bahnt sich derweil eine erneute juristische Niederlage der von May geführten Regierung an. Mehrere Parlamentarier aus Schottland wollen gegen Londons Willen sicherstellen, dass das Unterhaus notfalls den EU-Austrittsantrag nach Artikel 50 selbstständig und ohne Zustimmung der EU-Partner zurückziehen kann. Dieser Meinung schloss sich am Dienstag der zuständige Generalanwalt Manuel Campos SánchezBordona an; die große Kammer des Gerichts folgt im Normalfall seinem Vorschlag. Das Urteil wird noch vor Weihnachten erwartet.