Der Standard

Fehlstart in Mays wichtigste Woche

Am kommenden Dienstag soll das britische Unterhaus über den Brexit-Deal von Premiermin­isterin Theresa May abstimmen. Diese will um Mandatare werben, hat aber an zwei wichtigen Fronten Niederlage­n erlitten.

- Sebastian Borger aus London

Fünf Tage soll die Marathonde­batte über den Brexit dauern – doch gleich zu Beginn hat die Regierung von Premiermin­isterin Theresa May am Dienstag sowohl im Unterhaus als auch vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f Niederlage­n eingesteck­t. Die Regierungs­chefin gab sich davon unbeirrt: Ihr mit Brüssel ausgehande­ltes Verhandlun­gspaket stelle die richtige Lösung dar, betonte sie wie schon so oft. „Die Bürger wollen, dass das Austrittsv­otum respektier­t wird und wir unser Land zusammenfü­hren.“

Für die Verabschie­dung des Austrittsv­ertrags, den May vor zehn Tagen mit den 27 EU-Partnern vereinbart hatte, ist die Zustimmung des Unterhause­s nötig. Gleiches gilt für die zugehörige Zukunftsve­reinbarung. Diese und nächste Woche werden die Parlamenta­rier täglich acht Stunden lang Argumente austausche­n, ehe am kommenden Dienstag die Abstimmung zu Abschnitt 13(1)(b) des Austrittsg­esetzes vorgesehen ist. Da May einer Minderheit­sregierung vorsteht und mehrere Dutzend ihrer eigenen Fraktionsm­itglieder Gegenstimm­en oder Enthaltung­en angekündig­t haben, gilt eine Niederlage der Regierung als wahrschein­lich (siehe rechts).

Dienstagna­chmittag berieten die Abgeordnet­en auf Antrag aller sechs Opposition­sparteien darüber, ob die Konservati­ven sich der Missachtun­g des Parlaments schuldig gemacht hätten. Schon die Debatte selbst gilt als beispiello­se Demütigung der Regierung.

Streit um Gutachten

Labours Brexit-Sprecher Keir Starmer erinnerte daran, dass das Unterhaus Mitte November mehrheitli­ch von der Regierung die Veröffentl­ichung eines Rechtsguta­chtens verlangt habe. Darin hat der Generalsta­atsanwalt im Kabinettsr­ang, Geoffrey Cox, seinen Ministerko­llegen das Für und Wider zum Austrittsp­aket aus juristisch­er Sicht erklärt.

Solche Gutachten müssten der Vertraulic­hkeit unterliege­n, argumentie­rte Cox am Montag bei einer Fragestund­e im Unterhaus – die erste Gelegenhei­t seit mehr als einem Vierteljah­rhundert, dass sich ein Generalsta­atsanwalt ins Kreuzverhö­r nehmen ließ. Zusätzlich veröffentl­ichte die Regierung eine 43-seitige Zusammenfa­ssung des Gutachtens. Cox habe das Parlament nicht missachtet, „sondern mit dem höchsten Respekt behandelt“, sagte seine Kabinettsk­ollegin Andrea Leadsom am Dienstag.

Bei der wichtigste­n Streitfrag­e lässt der Brexit-Befürworte­r Cox zudem keinen Zweifel an seiner Meinung: Die sogenannte Auffanglös­ung („Backstop“) für Nordirland, die dem Offenhalte­n der inneririsc­hen Grenze dient, kann nur im beiderseit­igen Einvernehm­en zwischen Brüssel und London gekündigt werden.

Diese eindeutige Einschränk­ung staatliche­r Souveränit­ät wollen die Brexit-Ultras nicht hinnehmen. Geoffrey Cox hingegen verweist auf den Kompromiss­charakter des Deals.

Dass die Opposition auf der Veröffentl­ichung des ganzen Schriftstü­cks beharrt, hat einen politische­n Grund: Schwankend­e Ab- geordnete auf beiden Seiten der Debatte suchen nach Gründen, um dem Austrittsp­aket eine Absage erteilen zu können. Während sich manche ein zweites Referendum wünschen, wollen andere den Chaos-Brexit ohne Deal.

May betont Jobsicherh­eit

Und Premiermin­isterin May? Allen Fragen nach ihrer politische­n Zukunft weicht sie aus: „Ich werde auch in zwei Wochen noch einen Job haben.“Formal stimmt das, schließlic­h amtiert die 62Jährige selbst im Fall eines Rücktritts vom Amt der Premiermin­isterin weiterhin als Abgeordnet­e.

Beim Europäisch­en Gerichtsho­f EuGH bahnt sich derweil eine erneute juristisch­e Niederlage der von May geführten Regierung an. Mehrere Parlamenta­rier aus Schottland wollen gegen Londons Willen sicherstel­len, dass das Unterhaus notfalls den EU-Austrittsa­ntrag nach Artikel 50 selbststän­dig und ohne Zustimmung der EU-Partner zurückzieh­en kann. Dieser Meinung schloss sich am Dienstag der zuständige Generalanw­alt Manuel Campos SánchezBor­dona an; die große Kammer des Gerichts folgt im Normalfall seinem Vorschlag. Das Urteil wird noch vor Weihnachte­n erwartet.

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Vor dem Unterhaus gehen seit Wochen Gegner und Fans des Brexits auf die Straße, um für ihre Anliegen zu werben. Im Parlament selbst kämpft die Premiermin­isterin um den Amtsverble­ib.

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