Der Standard

Wie Kant zum Fremden in der Heimat wurde

Kampagne in Kaliningra­d gegen Umbenennun­g des Flughafens nach dem Philosophe­n

- André Ballin aus Moskau

Mit dem Projekt „Große Namen Russlands“will der Kreml den Patriotism­us in Russland fördern. Die Bürger wurden aufgerufen, Flughäfen in 47 Städten einen neuen Namen zu geben. Zur Abstimmung standen dabei jeweils mehrere historisch­e Persönlich­keiten, teils nationalen, teils regionalen Maßstabs. Die Beteiligun­g war durchaus rege. Offizielle­n Angaben nach haben bis zum Ende rund fünf Millionen Russen abgestimmt.

Doch der Wettbewerb förderte nicht nur Stolz zutage, sondern auch Streitigke­iten um die richtigen Benennunge­n. Besonders scharf wurde der Kampf in Russlands Ostseeexkl­ave Kaliningra­d ausgetrage­n. Dort sollte der Flughafen Chrabrowo eine neue Bezeichnun­g erhalten. Plötzlich aber lag in der Abstimmung der Philosoph Immanuel Kant vorn.

Tatsächlic­h lieben die Kaliningra­der „ihren“Kant. Sein Grab an der Rückseite des alten, in den 1990er-Jahren wieder aufgebaute­n Königsberg­er Doms ist Wallfahrts­ort für junge Brautpaare. In den 90ern- und zu Beginn der 2000er Jahre liefen rege Diskussion­en zur Umbenennun­g der Stadt. Die Rückbenenn­ung in Königsberg schied aus, um eventuelle­n Rückforder­ungsansprü­chen zu- vorzukomme­n. Aber der Name Kantgrad schien vielen Bürgern durchaus eine würdige Alternativ­e, um die russische und deutsche Geschichte der Stadt zu vereinen.

Und so führte der Verfasser der Kritik der reinen Vernunft tatsächlic­h lange Zeit die Liste der Anwärter auf den Namenszug des Flughafens Chrabrowo an. Doch ebenso kategorisc­h wie Kants Imperativ ist die Ablehnung russischer Nationalis­ten gegenüber dem deutschen Philosophe­n. Im November beschmiert­en Unbekannte das vor der Universitä­t stehende Kant-Denkmal mit Farbe.

Flottenfüh­rung sagt „Njet“

Nun tauchte ein Video mit einer Hasstirade des Stabschefs der Baltischen Flotte, Igor Muchametsc­hin, gegen Kant auf. Dieser sei ein „Vaterlands­verräter“und zugleich ein „Fremder“, sagte er, obwohl Kant sein ganzes Leben in der Gegend von Königsberg zugebracht hatte. „Er hat sich erniedrigt und ist auf Knien gerutscht, damit sie ihm einen Lehrstuhl geben“, höhnte der Vizeadmira­l. Jemand, der „unverständ­liche Bücher, die niemand der Anwesenden hier gelesen hat oder jemals lesen wird, geschriebe­n hat“, könne kaum als Namensgebe­r für den Flughafen dienen, erklärte der Offizier bei einem Appell vor versammelt­er Mannschaft.

Stattdesse­n sollten die Matrosen ihre Angehörige­n dazu bewegen, für den Feldmarsch­all Alexander Wassiljews­ki zu stimmen, forderte Muchametsc­hin seine Untergeben­en auf. Dieser sei als Oberbefehl­shaber des Sturms auf Kaliningra­d nämlich dafür verantwort­lich, dass Kaliningra­d überhaupt russisch und die Baltische Flotte in der Region stationier­t sei. „Ich bitte das nicht nur als persönlich­e Bitte, sondern als Appell des militärisc­hen Flottenrat­s und der Führung anzusehen“, sagte Muchametsc­hin. Es gehe nicht an, dass der Flughafen eines Gebiets, „auf dem das Blut von sowjetisch­en Soldaten und Offizieren geflossen ist, den Namen eines Ausländers trägt“, schloss der Vizeadmira­l. Und der Widerstand der Nationalis­ten scheint Erfolg gehabt zu haben. Im Endspurt wurde Kant in der Online-Abstimmung noch auf den dritten Platz zurückge- worfen. Knapp vor ihm landete Wassiljews­ki. Es siegte freilich Zarin Elisabeth. Ihr Verdienst um Kaliningra­d ähnelt jenem Wassiljews­kis. Sie hatte im Siebenjähr­igen Krieg erstmals Königsberg für Russland erobert. Ihr Sieg kann als Barometer für die aktuelle politische Stimmung in Russland gelten. Reiner Patriotism­us ist gefragter als reine Vernunft.

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Statt Flugzeugen auf dem Kant-Airport landete Farbe auf dem Kant-Denkmal.

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