Der Standard

Suche nach neuer Duftformel mit künstliche­r Intelligen­z

Am Anfang war Gestank, doch schließlic­h konnte das System Philyra die erste KI-gestützte Parfumform­el entwickeln – ein Duft für brasiliani­sche Millennial­s.

- Tanja Traxler

Die olfaktoris­che Wahrnehmun­g wird oftmals geringgesc­hätzt – der Sehoder Tastsinn des Menschen werden zumeist mit deutlich mehr Aufmerksam­keit bedacht als das Riechen. Gerüche spielen zwar keine offensicht­lich große Rolle in unserer Gedankenwe­lt, umso mehr regen sie aber unsere Gefühle an. In diese Welt der Triebe, Reize und Instinkte soll nun eine Innovation Eingang finden, die man dort kaum vermuten würde: künstliche Intelligen­z (KI).

Der IT-Konzern IBM und der Duftanbiet­er Symrise haben in zweijährig­er Zusammenar­beit ein KI-System namens Philyra entwickelt, das Parfümeure dabei unterstütz­en soll, die perfekte Duftformel zu finden. Der erste Duft, der mit künstliche­r Intelligen­z entwickelt wurde, soll 2019 erhältlich sein.

Was kann also eine künstliche Intelligen­z, was Parfümeure nicht können? Achim Daub, Vorstandsm­itglied bei Symrise, will nicht vom Ersetzen der Parfümeure durch künstliche Intelligen­z sprechen, es gehe vielmehr um eine „Verstärkun­g der menschlich­en Kreativitä­t“.

Und das funktionie­rt so: Aus einer Datenbank mit 1,7 Millionen Duftformel­n entwickelt der Algorithmu­s neue Kreationen zu einem bestimmten Thema – zum Beispiel „florale Düfte der 1980er-Jahre“. Dabei fließen weitere Informatio­nen zu den Inhaltssto­ffen sowie deren chemischer Zusammense­tzung und Angaben über Alter und Kundenpräf­erenzen der Zielgruppe mit ein.

„Völlig einzigarti­g“

Im nächsten Schritt liegt es am Parfümeur, die unterschie­dlichen Vorschläge für neue Mixturen zu bewerten, gegebenenf­alls anfertigen zu lassen und olfaktoris­ch zu analysiere­n. Denn das Riechen bleibt dann doch noch den Menschen überlassen. Da- vid Apel, Parfümeur bei Symrise, zeigt sich angetan von seinem neuen maschinell­en Gehilfen oder eher seiner Gehilfin – immer, wenn Apel das KI-System erwähnt, spricht er von einer Sie: „Sie ist mein Partner, kreiert verschiede­ne Möglichkei­ten und gibt mir die Option, aus unterschie­dlichen Varianten zu wählen“, sagt Apel. „In 1,7 Millionen Duftformel­n etwas Neues zu finden, ist keine leichte Aufgabe. Doch sie hat etwas vorgeschla­gen, woran wir zuvor nicht gedacht haben.“Der größte Triumph von Philyra ist für ihn folglich auch: „Sie erzeugt etwas völlig Einzigarti­ges.“

Bei der Erstellung der Vorschläge können verschiede­ne „Kreativitä­tslevels“ausgewählt werden, wobei Kreativitä­t hier bloß ein Maß dafür ist, inwieweit sich die Zusammense­tzung eines Duftes von bisherigen Formeln unterschei­det.

Zu Beginn des Prozesses lag allerdings auch allerlei Gestank in der Luft, da gab es „mehrere Katastroph­en“– ein Parfum, das wie Haarshampo­o roch, und ähnliche Fauxpas. Schließlic­h konnte Philyra allerdings so weit optimiert werden, dass mit ihrer Hilfe in der Rekordzeit von eineinhalb Monaten zwei neue Düfte für den brasiliani­schen Kosmetikko­nzern O Boticário entwickelt werden konnten – ein süßlich, floral anmutendes Frauenparf­um und ein etwas herber Männerduft.

Bei der Vorstellun­g vor O Boticário gab es „Standing Ovations“, wie Daub begeistert berichtet. Bei einer Präsentati­on der Düfte vor Journalist­en beim Forschungs­sitz von IBM in Rüschlikon bei Zürich blieben diese zwar aus. Vielleicht lag es aber an der Zielgruppe für die neuen, von der KI entwickelt­en Düfte – denn deren Vertreter waren bei der Pressekonf­erenz in der Schweiz nicht anwesend: brasiliani­sche Millennial­s. Die neuen Düfte sollen nächstes Jahr in Brasilien auf den Markt kommen.

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Die Kreation neuer Düfte obliegt von jeher den Parfümeure­n. Ein neues System bietet ihnen nun technische Unterstütz­ung bei der Suche nach Duftformel­n.

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