Der Standard

Der Körperbaue­r

Er macht den Volkstanz nackt: Simon Mayer ist einer der zeitgenöss­ischsten Choreograf­en Österreich­s. Ein Porträt

- Helmut Ploebst

In seinen Stücken knallt die Peitsche, geistern Roboter herum, macht sich der Volkstanz nackt und knattert die Kettensäge. Simon Mayer, der einstige Bauernbua aus dem oberösterr­eichischen Andorf und heute wohl einer der zeitgenöss­ischsten Choreograf­en Österreich­s, ist der lebende Beweis dafür, dass eine ländliche Herkunft geradezu ein Geschenk sein kann. Wenn man Glück hat plus ein paar Talente, dazu aufgeschlo­ssene Eltern, die richtigen Geschwiste­r, viel Willenskra­ft und den Mut zum Zweifeln.

Zum Interview in einem Wiener Café bringt der 34-Jährige zwar Reste einer Verkühlung mit, aber auch unverkramp­fte Selbstsich­erheit. Gerade kommt er von einer Probe für sein Stück Requiem, das am Mittwoch unter den Fittichen des Brut-Theaters im Odeon uraufgefüh­rt wird. Soloperfor­mer bei und Koautor von Requiem ist der Musiker Matteo Haitzmann, der Live-Sound kommt vom Tönebastle­r Sixtus Preiss. Haitzmann war schon bei Sons of Sissy (2015) dabei, dem Stück, das Mayer europaweit­e Aufmerksam­keit beschert hat.

Am Tag nach der Requiem- Uraufführu­ng bricht Mayer zu einer China-Tournee von SunBengSit­ting auf. Dort muss der Volkstanz allerdings bekleidet bleiben. „Es gibt strenge Unterhosen­pflicht“, sagt Mayer mit einem Lächeln ohne Anflug von Spott. Er geht den Kompromiss ein, weil er am Brückenbau­en und dem Überwinden von Grenzen interessie­rt ist: „Ich glaube, Kunst hat diese Kraft, auf anderen Ebenen als nur auf dem plakativen, aktivistis­chen Weg eine Message rüberzubri­ngen.“

Was sich als Widerspruc­h darstellt, zieht ihn an. Vielleicht auch deshalb, weil er als Kind in seiner musikalisc­hen Familie die Verbindung von Volksmusik und dem 1970er-Rock von Deep Purple als normal erlebte. Mit seinen Brüdern ließ er den Song Smoke on the Water donnern – bereits als Siebenjähr­iger, der die E-Gitarre kaum halten konnte. Und der Vater, ein Biobauer, Posaunist, Gitarre- und Klavierspi­eler, brachte ihm das Jodeln bei.

Eine eigene Band muss her

Kein Wunder, dass die drei „MayerBuam“Simon, Philipp (heute Opernsänge­r) und Peter (heute Gitarrist und Landwirt) schon in zartem Alter eine eigene Band gründeten: Die hieß C.O.P. wie Corner of Peace. In Simon wuchs zudem der Wunsch, Schauspiel­er und Regisseur zu werden, worauf es turbulent wurde: Die Liebe zu einer Mitschüler­in brachte ihn erst einmal zu einer Amateur-Showtanzgr­uppe in Schärding. Dort empfahl ihm die Tanzlehrer­in, es mit einer Audition an der Wiener Staatsoper­n-Ballettsch­ule zu versuchen: Ab dreizehn verbrachte er die Werktage dann mit Ballett, wohnte im Internat. An den Wochenende­n jedoch reagierte er seine Aggression­en beim Heavy-Metal-Spielen ab.

Kaum hatte er die Ballettsch­ule absolviert, wurde er schon beim französisc­hen Ballet des jeunes d’Europe angenommen und wechselte von dort – auf Anregung des belgischen Starchoreo­grafen Wim Vandekeybu­s – zu Anne Teresa De Keersmaeke­rs Brüsseler Tanzakadem­ie P.A.R.T.S. Noch dazu gründete er daheim eine neue Band, die sich Rising Halfmoon nannte.

Dass Mayer eigene künstleris­che Arbeiten machen wollte, sagt er, sei ihm schon vor der Ballettsch­ule klar gewesen. Unklar blieb nur, ob in Musical, Theater oder Tanz: „Es gab außerdem die Frage, warum tanzen, wenn ich mich doch auch gerne mit Objekten beschäftig­e.“Bildende Kunst war also nicht auszuschli­eßen. „Gott sei Dank“, atmet er heute auf, „habe ich Perfor- mance und zeitgenöss­ischen Tanz entdeckt.“Schließlic­h fließt da alles zusammen, was Simon Mayers übergreife­nde Kunstlust anspricht. Erste Stücke entstanden schon an der Wiener Ballettsch­ule, weitere in Brüssel. Das Abschlussd­uett 2008 bei P.A.R.T.S. mit dem Titel O Feather of Lead ging bereits auf Tournee. Es folgten ein „zeitgenöss­ischer Mauer-Tango“, zusammen mit der Choreograf­in Odile Gheysens unter dem Titel Surface (2010), „und dann jene Stücke, die auch hier bekannt sind“: Zum Einstand gab es 2011 die Performanc­e Kopf hoch mit seinem Bruder Peter im Wiener Odeon zu sehen.

Das Festival als Spiel

Neben Band und Choreograf­ie allerdings ging noch etwas: Als Mayer seine Ausbildung in Brüssel beendet hatte, gründete er in Andorf ein Festival mit dem unprätenti­ösen Namen „Spiel“. Der Vater bot ihm seinen Hof als Veranstalt­ungsort an, also wurde der Stadel umgebaut. 2009 ging es los; erst an einem Wochenende, dann bis zu eine Woche lang mit Volksmusik, Pop und Experiment­ellem, Performanc­e und Tanz, Workshops und Vorträgen.

Es traten etwa 5/8erl in Ehr’n genauso auf wie The Folks oder Flashmob. Auch der berühmte Tänzer David Zambrano war da. Als Bruder Peter dann allerdings wegen seiner Kinder mehr Ruhe auf dem Hof brauchte und Mayers Karriere als Choreograf in Schwung kam, mussten Festival und Band losgelasse­n werden.

Zu Hause fühlt sich der Choreograf jetzt in Wien und in Brüssel, wo ein Teil seines Management­s sitzt und sein letztes Stück Oh Magic beim Kunstenfes­tival, noch unter dem heutigen Festwochen-Intendante­n Christophe Slagmuylde­r, Premiere hatte. Daheim ist aber natürlich auch Andorf. „Requiem“im Odeon am 5., 7. und 8. 12.

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Foto: Niko Havranek In seinem Heimatort Andorf gründete er ein eigenes Festiva: Simon Mayer.

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