Der Standard

ZITAT DES TAGES

Er wurde einst zum jüngsten Doyen des Wiener Burgtheate­rs ernannt. Heute veredelt Michael Heltau (85) mit vollendete­r Deklamatio­n Lieder über die Wollust des Gelingens. Ein Gespräch über das Haschen nach Glück.

- INTERVIEW: Ronald Pohl

„Man sagt übrigens immer, das Talent der Menschen bestehe in der Verlebendi­gung. Ich antworte: Säße die Begabung nicht im Zuschauerr­aum, würde das alles nichts nützen.“

Als Chansonier stellt Michael Heltau am Freitag im Wiener Burgtheate­r (17.00) seinen neuen Programmmi­tschnitt Einen blauen Ballon möcht’ ich haben! als CD und DVD vor: ein betörendes Liederfest auf den Spuren von u. a. Jacques Brel. Als Humanist kommt der Schauspiel­er anschließe­nd im Gespräch mit David Schalko zu Wort: Überlegung­en eines über den Zustand unserer Republik Besorgten. Denn: „Gott sei uns gnädig, und dem armen Nachbarn auch.“

Δtandard: Auf Ihrer neuen CD wollen Sie unbedingt einen „blauen Ballon“haben. Führt von diesem womöglich ein Weg zur blauen Blume der Romantik? Heltau: Den Ballon habe ich mir von Peter Altenberg geschnappt. Ein solcher blauer Ballon ist, was du daraus machst. Hältst du ihn in der Hand, besitzt du ihn ewig. Er schwebt vielleicht an die Decke und bleibt dort drei Tage picken. Dann fällt er als totes Säckchen herab. Wenn du ihn auslässt, das heißt: Wenn du deiner Fantasie Futter gibst, dann kommt der blaue Ballon in allen möglichen Varianten zu dir zurück.

Δtandard: Das meint? Heltau: Er lässt sich personifiz­ieren. Er wird zum Menschen, zum Buch oder zu einem poetischen Gegenstand. Ich spreche vom Privileg, das wir schöpferis­che Menschen genießen. Schauspiel­er, das ist ein Beruf ohne Netz. Man muss den Verwaltern der Wirklichke­it zurufen: Vergesst uns diese Leute nicht! Jetzt kann mich jeder mit Recht fragen: Wenn du das Netz vermisst, warum hast du dir diesen Beruf ausgesucht? Antwort: Weil ich kein Spekulant bin.

Δtandard: Sie sprechen von Lau

terkeit? Heltau: Ich sage: Wir Künstler sind das Salz. Und ohne dieses Salz wäre eure Suppe eine entsetzlic­h fade Angelegenh­eit.

Δtandard: Eben weil kein Netz Sie hält, sind Sie als Schauspiel­er und Chansonier auch Magier. Darum singen Sie unentwegt vom Verpassen des „richtigen“Zeitpunkts. Sie beklagen den Verlust von Illusionen. Aber die erkennt nur, wer sie verloren hat. Eine Tragödie, oder? Heltau: In den Tagebücher­n von Artur Schnitzler steht eine wunderbare Episode. Er nimmt teil an einer Wiener Gesellscha­ft, irgendwo in der Gegend von Reichenau. Und er trägt am Abend in sein Buch ein: Wie schön wird das in der Erinnerung gewesen sein! Darin besteht die ganze Magie, die große Erfindung auch des Theaters, seine Verschwend­ung.

Δtandard: Die worin besteht? Heltau: Am Anfang war das Wort. Der Text: herrlich. Sei er nun von Shakespear­e oder von Ferdinand Raimund. Da sitze ich nun in einer mehr oder weniger gelungenen Vorstellun­g … Man sagt übrigens immer, das Talent der Menschen bestehe in der Verlebendi­gung. Ich antworte: Säße die Begabung nicht im Zuschauerr­aum, würde das alles nichts nützen. Man teilt zwei, drei Stunden miteinande­r. Dann ist es weg. Jetzt fängt die wirkliche Begabung an. Denn wann ist eine Vorstellun­g schon wirklich gelungen? Doch bestenfall­s mit Angabe der Zielrichtu­ng. Die Frage lautet also: Was bleibt?

Δtandard: Was bleibt? Heltau: Ich bin ein wahnsinnig begabter Zuschauer. Man muss mich schon sehr ärgern, damit ich einer Darbietung die Gefolgscha­ft restlos aufkündige.

Δtandard: Sind Sie begabt in der Kunst des Verzeihens? Heltau: Spielverde­rbern kann ich nur schwer verzeihen. So verhält es sich doch auch im Allgemeine­n. Schauen Sie sich die Politiker heute an, die, die Ängste schüren: lauter Spielverde­rber. Denen klebt man Farbetiket­ten auf. Hinter denen darf sich niemand mehr verstecken. Ob Schwarz, Rot oder, in drei Teufels Namen: noch eine andere Farbe. Die kommen her wie Kinder und machen den anderen mutwillig alles kaputt.

Δtandard: Sie sprechen von Bos

heit? Heltau: Von Bosheit. Gegen Verängstig­te lässt sich nichts sagen. Abstoßend sind die Angstmache­r. Das Grauenhaft­este, was es gibt. Schon allein um der jungen Menschen willen muss man das europäisch­e Projekt hochhalten. Das Erlernen von fremden Sprachen ist unabdingba­r. Und eine Schule gegen die Eitelkeit. Als fremdsprac­higer Dilettant bist du ein absolutes Lachobjekt! Du darfst nur nicht eitel sein. Du musst mitlachen. Aber es gibt ja auch gutmütige Formen des Verlachens.

Δtandard: Theater feit vor Bos

heit? Heltau: Menschen stehen auf der Bühne mit ein bisschen Text. Früher hielten wir im Burgtheate­r oben, auf dem Lusterbode­n, die Proben ab, unter Lindberg, Steinböck oder Benning. Die wiesen uns darauf hin: Unten, auf der Bühne, seien die Verhältnis­se schon bedeutend größer. Der Wechsel von der Probe- auf die große Bühne war stets mit einem ungeheuren Effekt verbunden. Die Brust, die Fantasie, alles weitete sich. Wem wäre es da eingefalle­n, Mikroports zu verwenden? Und ich rede nicht von Antikenstü­cken.

Δtandard: Sie sprechen dem Können, der Einfachhei­t das Wort? Heltau: Ich habe das von Giorgio Strehler gelernt. Auch Peter Brooks Der leere Raum kommt nicht von ungefähr. Warum so viel Dekoration? Die lenkt doch nur ab. Das Theater fängt an zu illustrier­en. Wir sprechen aber von der Flüchtigke­it schlechthi­n, vom Glücksstof­f des Theaters, dessen man sich so schwer bemächtigt.

Δtandard: Der Modus Ihrer Arbeit, auf dem Theater wie in Ihren Soloabende­n, ist der des Abschiedne­hmens. Warum sind Sie so begabt für das Abschiedne­hmen? Heltau: In der Wirklichke­it muss man es sein. Abschiede gehören von Anfang an zum Leben. Ich habe niemals ein Gefühl dafür gehabt, was man landläufig „Jugend“nennt.

Δtandard: Sie sagen auf Ihrem neuen Album den Satz: „Die Jugend wäre eine schönere Zeit, wenn sie erst später im Leben käme.“Heltau: Weil ich mir einbilde, dass man sie sonst vergeudet. Man sollte sie vital genießen. Aber ich lasse mich doch von keinen Jahreszahl­en verschreck­en. So wie ich mich für mein hohes Alter nicht loben lasse. Jugend und Alter sind Tagesdispo­sitionen. Ich habe damit überhaupt keine Zeit verloren. Ich habe mich nie für mich selbst interessie­rt.

Δtandard: Wirklich nicht? Heltau: Nein, wirklich nicht. Es hätte ja mit 85 auch keinen Sinn, so etwas zu sagen, wenn es nicht stimmen würde.

MICHAEL HELTAU (85) ist Burgtheate­rDoyen. Der Kammerscha­uspieler ist gebürtiger Ingolstädt­er.

 ??  ?? Michael Heltau hält Abstand zu allen Erscheinun­gen des Zeitgeists, auch den politische­n. Mit sich selbst will er haushalten: „Ich habe mich nie für mich selbst interessie­rt.“
Michael Heltau hält Abstand zu allen Erscheinun­gen des Zeitgeists, auch den politische­n. Mit sich selbst will er haushalten: „Ich habe mich nie für mich selbst interessie­rt.“

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