Behörde untersucht Marktmanipulation durch Amazon
Handelsverband reicht in Österreich Kartellbeschwerde gegen Onlineriese ein
Wien – Österreichs Wettbewerbsbehörde nimmt nach einer Beschwerde des Handelsverbands Untersuchungen gegen Amazon auf. Ziel ist es, den Onlineriesen kartellrechtlich in engere Schranken zu weisen, erfuhr der
Δtandard vom Handelsverband. Im Visier ist die Doppelrolle des Marktführers, der zum einen klassischer Internethändler ist, zum anderen mit Amazon Marketplace als größter Marktplatz für andere Webshops dient. Amazon soll zwischen diesen beiden Tätigkeiten unerlaubt Daten austauschen und sich damit erhebliche Wettbewerbsvorteile sichern, so der Vorwurf. Geprüft werden zudem mutmaßlich missbräuchliche Geschäftsbedingungen für österreichische Händler. Sie können jederzeit ohne Grund und mit sofortiger Wirkung gekündigt werden. „Wir wollen einen Stein ins Rollen bringen“, sagt der Chef des Handelsverbands, Rainer Will. Er ruft betroffene Händler dazu auf, sich mit sachdienlichen Hinweisen anonym bei der Ombudsstelle des Verbands zu melden.
Amazon hat in Österreich laut einer Studie Einfluss auf gut 1,4 Milliarden Euro Umsatz. Jeder zweite Euro im E-Commerce werde über den Konzern ausgegeben.
Händler erstarrten vor Amazon über viele Jahre wie die Maus vor der Schlange. Zu groß war die Marktmacht des Onlineriesen, zu ungleich waren die Waffen im Kampf um fairen Wettbewerb. Langsam, aber doch mehrt sich Widerstand auf europäischer wie auf nationaler Ebene.
Die EU-Kommission nimmt die Aktivitäten des Konzerns seit dem Frühjahr näher unter die Lupe. In Deutschland hat Ende November das Bundeskartellamt gegen ihn ein Missbrauchsverfahren eingeleitet. Nun geht auch Österreich in die Offensive und versucht, Amazon erstmals über eine Klage kartellrechtlich in engere Schranken zu weisen. Sie zielt auf eine Zerschlagung des Platzhirschen ab.
Der Handelsverband hat gegen Amazon eine Beschwerde bei der Bundeswettbewerbsbehörde eingereicht, erfuhr der Δtandard. Konkret geht es um eine Sachverhaltsdarstellung rund um die Doppelrolle des Konzerns, der zum einen klassischer Onlinehändler ist, zum anderen jedoch auch größter Marktplatz für andere Webshops.
Unerlaubter Datenaustausch
Amazon soll zwischen diesen beiden Tätigkeiten unerlaubt Daten austauschen und sich damit erhebliche Vorteile gegenüber anderen Handelspartnern aus Österreich verschaffen. Im Visier sind zudem die Verträge des Konzerns mit seinen Marktplatz-Händlern. Diese sollen mit starken Vorbehalten und Unklarheiten zugunsten Amazons verbunden sein.
Aus aktuellen, dem Δtandard vorliegenden Unterlagen geht hervor, dass die Kartellbehörde einen begründeten Verdacht sieht – und Ermittlungen aufnehmen wird. In der Folge werden Händler dazu aufgerufen, Sachverhalte und Erfahrungen rund um das Geschäftsgebaren von Amazon über eine Ombudsstelle anonym der Behörde zukommen zu lassen.
Der Handelsverband als Kläger vereint in Österreich 110 überwiegend große Händler, die in Summe rund 43 Milliarden Euro Umsatz erzielen. Amazon hat hierzulande Einfluss auf gut 1,4 Milliarden Euro Umsatz, erhob der deutsche Marktforscher EHI. Für die Hälfte davon sorgen Händler, die ihre Internetgeschäfte über den Marktplatz des digitalen Multis abwickeln. Unterm Strich rollt gemäß der Studie mittlerweile jeder zweite Euro im österreichischen Webhandel über Amazon. 60 Prozent des Onlineumsatzes fließen über die Grenze ins Ausland ab.
„Wir wollen einen Stein ins Rollen bringen“, sagt Rainer Will. Der Geschäftsführer des Handelsverbands sammelt seit drei Jahren Indizien gegen Amazon: Die Verdachtsmomente diverser Prakti- ken hinsichtlich unfairen Wettbewerbs haben sich aus seiner Sicht stark verdichtet. Die Politik habe den Marktplatz bisher aber nicht sinnvoll regulieren können. Daher greife der Handel zur Selbsthilfe. „Wir haben der Politik zu lange vertraut. Uns läuft die Zeit davon.“
Welche Vergehen stehen konkret im Raum? Es geht um Verhaltensweisen und Geschäftsbedingungen für österreichische Händler, die auf der Amazon-Plattform gelistet sind. Amazon behalte sich das Recht vor, Verträge mit ihnen jederzeit ohne Grund und mit sofortiger Wirkung zu kündigen und auszusetzen, sagt Will. Je kleiner ein Webshopbetreiber, desto größer sei die Abhängigkeit. Händler berichteten überdies, dass ihre gelisteten Produkte, die sich gut vermarkten lassen, oft von Amazon übernommen und preislich unterboten werden. Der Konzern kaufe sogenannte Schnelldreher bei den Produzenten lieber selbst und in großen Stückzahlen ein. Kleinere Händler auf dem Marktplatz würden damit gezielt verdrängt, Ama- zon reiße ihre Umsätze an sich. Möglich mache dies der Datenaustausch des Unternehmens mit seinem Einzelhandelsgeschäft, ist Will überzeugt. Auf Marktführer Amazon als Vertriebskanal gänzlich verzichten könne sich aber kein Händler erlauben. „Es gibt so gut wie keine Alternativen. Man ist in einer Schere gefangen.“
Theoretisch habe der Internetriese Einsicht in die Daten all seiner gelisteten Partner. Wie ihm auch die Daten fast aller österreichischer Konsumenten zufließen: 93 Prozent der Österreicher haben zumindest einmal über ihn Produkte bestellt, erfragte die EHI.
Die Ermittlungen der Behörde sollen mutmaßliche wettbewerbswidrige Klauseln aus Händlerverträgen eliminieren, hofft Will. Für nicht ausreichend, um die Wettbewerbsvorteile der Dateneinsicht zu verhindern, hält er die gesellschaftsrechtliche Trennung zwischen Marktplatz und Onlinehandel innerhalb der Gruppe.
„Keine andere Wahl“
Die Frage nach dem Erfolg der Beschwerde stellt sich Will nicht. „Wir haben schlicht keine andere Wahl, um die 600.000 Arbeitsplätze im österreichischen Handel zu sichern.“Außerdem gehe es um Marktvielfalt. Amazon selbst war am Sonntag für eine Stellungnahme vorerst nicht erreichbar.
Österreichs zehn größte Webshops erzielen mittlerweile mehr Umsatz, als die folgenden 250 gemeinsam. Auch Zalando, Universal und Otto rangieren abgeschlagen hinter Amazon. Kräftige Zuwächse gibt es laut EHI trotz Internetbooms nur für einen Bruchteil der rund 9000 Webshops hierzulande. Die großen Fünf schöpfen den überwiegenden Teil des jährlichen Mehrumsatzes ab.
Um bei hohem Service, feinmaschiger Logistik und Garantie zu Bestpreisen mitzuhalten, braucht es massive Investitionen. Vor allem kleinen Einzelhändlern fehlt dazu die Kriegskasse. Will sieht sich durch das Vorgehen Deutschlands gegen Amazon bestärkt. In Österreich sei die Situation auf dem Markt ident. Die Konzentration im Handel sei aber noch dramatischer.