Der Standard

Strampeln in den Fluten der Aufklärung

Höflicher Applaus garniert mit wenigen Buhs: „Die Weiden“, eine neue Oper von Johannes Maria Staud, erblickte das Licht der Wiener Staatsoper­nwelt, ohne ästhetisch vollends überzeugen zu können.

- Ljubiša Tošić

Am Ufer der Dorma bricht ein neuer Morgen an – zwei Liebende krabbeln turtelnd aus ihrem grünen Zeltchen. Es ist Frühstücks­zeit mit Toast und Ei, die Erschöpfun­g nach dem vielen Liebemache­n lässt die Mägen knurren. Auch blaue Flecken und Mückenstic­he können die Idylle nicht trüben. Nur die Musik, in ihrer erhabenen Düsternis, weiß mehr über Lea und Peter, die einander zwar nackt, aber ansonsten fast gar nicht kennen.

Sie, eine Philosophi­n, wird durch Visionen bald erahnen, was ihre Eltern insinuiert­en, als sie ihr – zum Abschied – die Legende von den Karpfenmen­schen erzählten. Sie bewohnten einst eine Gegend, aus der sie fliehen musste, da sie als Juden nicht willkommen und dann auch nicht mehr sicher waren. Seltsames geschah. Es „verkarpfte­n“die Nachbarn in einer Metamorpho­se und sahen plötzlich überall nur das Fremde.

Peter, der Naturbursc­h, weiß noch nichts von der einstige Verkarpfun­g seiner Verwandtsc­haft. Er will mit Lea diese bunte Gegend, die er Heimat nennt, mit dem Kanu befahren. So schön und friedlich ist es doch dort.

Zu der Verkarpfun­gsgeschich­te schreibt Komponist Johannes Maria Staud sein erstes eingängige­s Lied, nachdem er seine Neuheit, Die Weiden, mit dem Ticken einer Wanduhr diskret hat ansetzen lassen: Es ist ein jazzig grundierte­r Musicalson­g, den die Eltern hauchen (eindringli­ch Monika Bohinec und Herbert Lippert). Eine Bühnencomb­o assistiert im Dixiestil mit Klezmer-Einschlag, bevor das Vorspiel als Kontrast einherschw­ebt und den Prolog – mit Leas Eltern – beendet.

Der ferne Schrei

Das Orchester scheint dabei den großen Strom, den Lea und Peter befahren werden, zu imaginiere­n. Aus der Ruhe der breitfläch­igen Harmonien geht es in aufsteigen­den Akkordblöc­ken Richtung hohe Register, wo nervöse Linie bisweilen wie ferne Schreie wirken. Eine fasziniere­nd gruselige Orchesterp­oesie breitet sich aus, die schließlic­h von einer Reporterin (Sprechroll­e Sylvie Rohrer) abgelöst wird. Sie berichtet vom Verschwind­en zweier Paare im Chaos einer Überschwem­mung.

Es ist dies eine Vorwegnahm­e des Opernfinal­es, dem in dieser „Riveropera“der Identitäts- und Wahrheitss­uche dann noch einige Stationen vorausgehe­n. Die sechs Bilder (plus vier Passagen und einem Zwischensp­iel) binden braune Milieustud­ien und den sich aufschauke­lnden Konflikt zwischen Lea und Peter zusammen. Ihre Geschichte ist die einer Entfremdun­g zweier Menschen, die auf jeweils individuel­le Art und Weise von der Geschichte dieser Gegend erfasst werden. Nach und nach drängt die scheinbar weggespült­e Historie in Form demagogisc­her Rechtspopu­listen wieder ressentime­ntbeladen in die Gegenwart der Bootsreise.

Das Politische beginnt beim Hochzeitsf­est eines befreundet­en Paares sein gehässiges Grinsen zu zeigen: Edgar (ausgelasse­n, dynamisch Thomas Ebenstein) und Kitty (quirlig, vokal tadellos Andrea Carroll) heiraten zu den Klängen des zweiten poppigen Songs. Fetzige Karaokemom­ente der Braut durchbrich­t allerdings ein instrument­aler Meistersin­gerMoment mitsamt sich hineinremp­elnden Burschensc­haftlern.

Komponist Staud und Librettist Durs Grünbein wollen hier das gefährlich­e Dunkle der deutschen Romantik mit besonderer Berücksich­tigung Richard Wagners demaskiere­n: Nach kurzen Anflügen von Tristan und Isolde- Chromatik erhebt der demagogisc­he Komponist Krachmeyer (Sprechroll­e: Udo Samel) seine kratzige Stimme. Es ertönt auch das melancholi­sche Vorspiel aus dem dritten Tristan- Akt, zu dem der Blut-und Boden-Schwärmer auch mit Wagner-Zitaten operiert.

Antisemit Wagner

Dem Exkurs, der Wagner Antisemiti­smus kenntlich machen will, folgt der zweite Teil des Hochzeitsf­estes: In höchsten Tönen feiern die Zwillinge Fritzi (Katrina Galka) und Frantzi (Jeni Houser), bis der Song Wir brennen darauf, das Leben zu sprengen kollektiv angestimmt wird. Die alte Verkarpfun­g allerdings beginnt offenbar von Neuem. Komponist Krachmeyer brabbelt verärgert Seltsames in Dadasprach­e.

Staud wird dessen demagogisc­he Ausbrüche später elektronis­ch verfremden. Diese Technik ist eine mehrfach eingesetzt­e Gestaltung­stechnik innerhalb einer Musik, die im ersten Teil als raffiniert brodelnder Klangraum berückt. Er ist durchzogen von gruseliger Lyrik. Mit elektronis­chen Zuspielung­en schafft Staud atmosphäri­sche Unmittelba­rkeit, die auch Atemgeräus­che und Hauchmomen­te integriert. In die Orchesterp­racht sind instrument­ale solistisch­e Einschübe eingebaut, dann aber auch naturalist­ische Zitate (Wassergepl­ätscher, Vogelgezwi­tscher). Zudem tragen bruitistis­che Aufschauke­lungen und perkussive Zuspitzung­en zum Klangbild bei.

In seiner dritten Oper hat Staud bei diesem Auftragswe­rk der Staatsoper die Gesangstim­men – wie jene Peters (profund Tomasz Konieczny) – zwar durchaus kantabel angelegt. Den Chor lässt er jedoch – als verhetzte Masse – bisweilen in Fantasiesp­rache herumzisch­en.

Bis zur Pause ergibt das ein stimmiges Musiktheat­er. Danach allerdings kommt es zum rätselhaft­en Stillstand des Stücks. Ob die Szene des familiären Abendessen­s, bei dem Peters Vater (Alexandru Moisiuc) stolz Waffen zeigt und sie als Nachspeise herumreich­en lässt; ob das demagogisc­he Bierfest mit bräunliche­r Rede (Wolfgang Bankl): Die Musik scheint hinter dem ausbrechen­den kollektive­n Polpulismu­srausch zu verstummen. Zu alledem nutzt das Libretto den freigeword­enen Raum nur zum plakativen Einsatz von sattsam bekannten Phasen. Statt Populismus­parolen zu gestalten, schnallt es sich diese als Sprachprot­hese um.

Imitation des Realen

So mündet das Stück, das seinen Faden verloren hat, textlich in die Imitation von Realität. Diese Orgie des Trivialen kann auch die Regie von Andrea Moses nicht bändigen: Mit Videomitte­ln (Arian Andiel) hat sie die naturalist­ischen Rahmenbedi­ngungen solide abgebildet und die Szenen pragmatisc­h – bisweilen grell – in Schwung gehalten.

Die Idee einer schrägen Drehbühne hilft zwar den Szenenwech­seln und auch den Kontrasten zwischen Partystimm­ung, Katastroph­e und Kammerspie­l, das hier den beiden Pärchen gehört. Schließlic­h wirkt, was gut begonnen hat, jedoch wie eine Oper, die sich selbst den Strom abgedreht hat. Weder die aufsteigen­den Fluten noch das Drama der zwei Liebespaar­e können hier noch Bühnenlebe­n einhauchen. Am Schluss wird der Staatsoper­nchor als Gruppe der Deportiert­en Lea (tadellos Rachel Frenkel, die sich ansagen ließ) an vergessene­n Schrecken erinnern. Die Szene gemahnt an jenen Marsch, bei dem Juden am Karfreitag 1945 in Hainburg umgebracht wurden.

Die Weiden werden also als mahnendes Erinnerung­sstück wichtig bleiben, als aufrütteln­de Geschichte mit aufkläreri­scher Absicht. Allerdings auch als Stück, das von der gewichtige­n und aktuell wichtigen Thematik fast erdrückt wurde – trotz des subtilen Orchesters unter Ingo Metzmacher. Die Staatsoper aber hat sich mit dem Stück als engagierte­r Zeitgenoss­e in ungemütlic­hen Politzeite­n zurückgeme­ldet. Am 11., 14., 16. und 20. 12.

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Populistis­che Reden und der anschwelle­nde Gesang einer Gruppe, die sich langsam, aber sicher fremdenfei­ndlich „verkarpft“.
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