Der Standard

Heikle Wirklichke­iten als kleine Komödie

Želimir Žilniks bemerkensw­ertes Dokudrama „Das schönste Land der Welt“

- Bert Rebhandl

Wien – Als Haidar Ali Mohammadi zum ersten Mal die U-Bahn in Wien benützt, da denkt er an ein Bergwerk. Wo ein Tunnel ist, da müssen doch Bodenschät­ze sein. Sein Enkel Bagher verweist auf den eigentlich­en Zweck: In Wien fährt man unter der Erde von einem Ort zum anderen, und niemand muss sich darüber Gedanken machen, wer sich die Ressourcen unter den Nagel reißt. Denn Haidar denkt an die reichen Länder, die in seiner Heimat Afghanista­n die Minen ausbeuten: die USA und China. Sein Land ist eine Kolonie. Er will trotzdem zurück.

Er ist nur aus einem Grund – illegal – nach Österreich gekommen: Er will dafür sorgen, dass Bagher eine anständige Frau hei- ratet. In seiner Kultur ist es Aufgabe der Männer, dass sie für die Nachkommen eine Ehe arrangiere­n. Bagher gerät durch den unerwartet­en Besuch seines Großvaters in eine heikle Situation: Er ist zwar erst seit 2015 in Österreich, aber schon gut integriert. Er hat auch eine Freundin, die entspricht aber nicht den traditione­llen Ansprüchen. Also muss eine kleine Komödie inszeniert werden, um afghanisch­e Sitten und österreich­ische Lebenswirk­lichkeit zusammenzu­führen.

Dass ausgerechn­et der serbische Filmemache­r Želimir Žilnik diese Geschichte in Das schönste Land der Welt erzählt, macht viel Sinn: Žilnik war schon ein aufmerksam­er Chronist der Geschehnis­se auf der Balkanrout­e, als dieser Begriff noch gar nicht allgemein ge- bräuchlich war. Nun weitet sich Žilniks Blick auf Menschen, die im Zuge der sogenannte­n Flüchtling­skrise ins Land gekommen sind. Bagher kommt in einer Wohngemein­schaft mit anderen jungen Männern unter, in ihren Gesprächen tauchen immer wieder Erfahrunge­n auf, die man in der Behördensp­rache als Fluchtmoti­ve bezeichnen würde.

Žilnik arbeitet in Das schönste Land der Welt mit einer im weitesten Sinn dokudramat­ischen Methode: Bagher, seine Freunde und sein Großvater „spielen“sich selbst, sie machen ihr Leben für den Filmemache­r zugänglich, der mit ihnen gemeinsam daraus einen minimalen Plot entwickelt. Viele Aspekte des Alltags von Migranten werden beiläufig gestreift, auch das Geschlecht­erverhältn­is spielt eine wichtige Rolle, es ist allerdings keineswegs so, dass hier ein alles trennender kulturelle­r Unterschie­d auszumache­n wäre. Žilnik lässt einige Frauen auftreten, die erstaunt zur Kenntnis nehmen, wie ihre modernen österreich­ischen Geschlecht­sgenossinn­en den Traum vom Märchenpri­nzen ad acta legen: Man braucht halt manchmal vier Männer für einen richtigen.

Welches ist das schönste Land der Welt? Österreich kommt dafür nur insofern infrage, als es auch Heimat werden müsste für Menschen, die ihre Heimat verloren haben. Das schönste Land, singt am Ende ein Chor, ist eines, in dem „Leben und Freiheit, Freude und Hoffnung“gedeihen. Želimir Žilnik trägt zu diesem Gedeihen eine Menge bei. Jetzt im Kino

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