Der Standard

Armeniens Premier sichert „samtene Revolution“durch Wahlsieg ab

Nikol Paschinjan kann nach deutlichem Erfolg prowestlic­hen Kurs des Landes forcieren – Beziehunge­n zu Russland abgekühlt

- André Ballin aus Moskau

Reichlich emotional kommentier­te Armeniens Premiermin­ister Nikol Paschinjan den deutlichen Wahlsieg seines Blocks „Mein Schritt“bei den vorgezogen­en Parlaments­wahlen: „Starkes, mächtiges und gewaltiges Volk. Ich liebe euch alle, ich bin stolz auf Euch alle und ich verneige mich vor euch“, schrieb der Politiker nach Bekanntwer­den der Ergebnisse auf seiner Webseite.

70,45 Prozent der Stimmen entfielen auf „Mein Schritt“, die damit über eine Mehrheit verfügt, mit der sie selbst die Verfassung Armeniens ändern könnte. Daneben sind nur noch zwei weitere Parteien, „Blühendes Armenien“(8,27 Prozent) und „Helles Armenien“(6,37 Prozent) ins Parlament eingezogen. Die Republikan­ische Partei des Expräsiden­ten Sersch Sargsjan, der im Frühling über eine geplante Ämterrocha­de gestürzt war, verfehlte den Einzug hingegen. Einzig die relativ niedrige Wahlbeteil­igung von 48,63 Prozent, deutlich weniger als bei der regulären Wahl vergangene­s Jahr (60,93 Prozent), dürfte die Laune der Sieger gedämpft haben.

Paschinjan erklärte diesen Umstand im Übrigen damit, dass es diesmal keine Fälschunge­n zur Erhöhung der Wahlbeteil­igung ge- geben habe. Die GUS-Wahlbeobac­hter zumindest attestiert­en Armenien eine faire Abstimmung.

Für die politische Zukunft des Landes ist der Wahlausgan­g essenziell: Musste Paschinjan, der im Frühjahr nach Straßenpro­testen, die seine Anhänger später „samtene Revolution“tauften, an die Macht kam, bislang gegen die Parlaments­mehrheit regieren, so hat er nun freie Hand. Sein Kurs droht dabei, innen- und außenpolit­ische Konflikte zu entfachen. Eine harte Hand bewies Paschinjan bereits unmittelba­r vor der Wahl, als er Expräsiden­t Robert Kotscharja­n festnehmen und Ermittlung­en gegen Juri Chatschatu­row einleiten ließ.

Blick nach Brüssel

Chatschatu­row war bisher Generalsek­retär der „Organisati­on des Vertrags der kollektive­n Sicherheit“(OVKS), ein von Moskau dominierte­s Militärbün­dnis innerhalb der GUS. Beiden wird Amtsmissbr­auch vorgeworfe­n. Doch hier geht es um weit mehr als nur die Bekämpfung der Korruption. Beide Politiker haben beste Beziehunge­n nach Moskau. Kotscharja­n ist mit Russlands Präsident Wladimir Putin eng befreundet. Der gratuliert­e dem damals schon in Ungnade gefallenen Kotscharja­n demonstrat­iv noch im Sommer zum Geburtstag.

Paschinjan hatte bereits kurz nach Amtsantrit­t deutlich gemacht, dass er das Verhältnis zum Westen stärken will. In der vergangene­n Woche bei einem Treffen mit mehreren GUS-Präsidente­n in Russland bestätigte er, dass seine Priorität auf der Entwicklun­g der Beziehunge­n zur EU liege. Putins Begeisteru­ng darüber dürfte sich in engen Grenzen halten. Womöglich als „Bestrafung“droht Armenien daraufhin nun den Posten des Generalsek­retärs in der OVKS zu verlieren.

Allerdings ist es für beide Seiten ein Drahtseila­kt. Armenien will und kann Russland als Partner nicht einfach ersetzen. Moskau ist nicht nur der größte Investor, sondern auch der wichtigste Sicherheit­sgarant für Armenien, das quasi eingeklemm­t ist zwischen zwei Staaten, mit denen es – vorsichtig ausgedrück­t – ein schwierige­s Verhältnis hat. Auf der einen Seite die Türkei, mit der Armenien heute noch über den Völkermord streitet, auf der anderen Seite Aserbaidsc­han, mit dem es einen immer wieder auch militärisc­h aufflammen­den Konflikt um die Region Berg-Karabach gibt.

Klar ist: Ohne russische Hilfe kann Armenien die Region auf lange Sicht nur schwer halten. Anderersei­ts muss auch Russland aufpassen, nicht zu viel Druck auf Eriwan auszuüben. Sonst droht dem Kreml am Ende ein Szenario wie in der Ukraine. Das kann in Moskau niemand wollen.

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