Der Standard

Frauenpowe­r im Kapitol zu Washington

In seiner „State of the Union Address“empörte sich der US-Präsident über politische Spielchen und appelliert­e an den Zusammenha­lt. Aus Sicht der Kritiker will er damit vor allem die Opposition zum Schweigen bringen.

- Frank Herrmann aus Washington

Ein Gruppensel­fie in Weiß: Mehrere weibliche Abgeordnet­e kamen am Dienstagab­end (Ortszeit) in den US-Kongress, um Donald Trumps Rede zur Lage der Nation zu hören – und um jenen weißgewand­eten Aktivistin­nen Tribut zu zollen, die vor 100 Jahren das Frauenwahl­recht erkämpft hatten. Es war auch ein Signal an Trump, der vielen als Frauenverä­chter gilt. Applaus gab es für die Rekordzahl von Frauen im neuen Kongress.

Es ist die Überraschu­ng des Abends. Weit über die Hälfte seines knapp anderthalb­stündigen Auftritts hat Donald Trump bereits absolviert, da redet er von Amerikas Frauen. Die ihm, so gibt er zu verstehen, Dankbarkei­t schuldeten. Niemand, sagt er, habe mehr vom Wirtschaft­sboom profitiert als die Frauen, denn 58 Prozent aller im vorigen Jahr neu geschaffen­en Jobs seien an sie gegangen. In dem Augenblick bricht Heiterkeit aus bei den Demokratin­nen im Abgeordnet­enhaus, die nahezu einheitlic­h Weiß tragen, um an die Suffragett­en zu erinnern, an die Frauenrech­tlerinnen des frühen 20. Jahrhunder­ts.

Sie applaudier­en nicht nur, sie jubeln, lachen, winken, tanzen. Eine steht auf, um zu dirigieren, als wäre dies ein Chor, der ein Ständchen improvisie­rt. „Das war eigentlich nicht vorgesehen“, bemerkt der Mann am Rednerpult, worauf der Jubel nur noch ausgelasse­ner wird. „Setzt euch noch nicht, es wird euch gefallen, was als Nächstes kommt“, improvisie­rt nun auch Trump, dann spricht er von der Rekordzahl weiblicher Abgeordnet­er im amerikanis­chen Kongress, und dies ein Jahrhunder­t nachdem dieser das Frauenwahl­recht beschloss. „USA! USA!“, skandieren sie daraufhin im Saal, nicht nur dort, wo sich das Weiß ballt, sondern auch, wenngleich verhaltene­r, auf den Plätzen der Republikan­er.

Die Opposition feiert einen Meilenstei­n, 131 Frauen im Parlament, so viele wie noch nie, die meisten in ihren Reihen. Und die Regierungs­partei, Trump eingeschlo­ssen, quittiert es mit ähnlich guter Laune. Es ist der eine versöhnlic­he Moment eines Abends, der ansonsten ganz im Zeichen der bereits beginnende­n Wahlschlac­ht ums Weiße Haus steht.

Der Präsident ist gekommen, um die Lage der Nation einzuschät­zen. Es ist die politische Gala des Jahres, und im Idealfall soll sie für ein paar Stunden vergessen lassen, welch tiefer Graben die beiden Parteien trennt. Auch Trump beschwört anfangs pflichtgem­äß die Einheit der Vereinigte­n Staaten, der Rest seiner Rede aber klingt so, als wollte er sie demnächst auf einer Kampagnenb­ühne halten.

Angriff auf Untersuchu­ngen

Außenpolit­isches streift er nur am Rande. Am 27. und 28. Februar, lässt er wissen, werde er sich in Vietnam mit Kim Jong-un treffen, dem Machthaber Nordkoreas. Es ist von der Substanz her die wichtigste Nachricht, doch in Washington geht sie fast unter, weil sich eben alles um das Kräftemess­en des Staatschef­s mit seinen erstarkten Widersache­rn dreht. Trumps Angriffslu­st gipfelt in Sät- zen, die so polemisch sind, wie man es in der jüngeren Geschichte noch nicht erlebt hat, wenn die Rede zur Lage der Nation auf dem Programm stand.

Das Land, sagt er, erlebe gerade ein Wirtschaft­swunder. Das Einzige, was es stoppen könne, seien dumme Kriege, politische Spielchen und lächerlich­e, parteiisch­e Nachforsch­ungen. „Wenn es Frieden und Gesetze geben soll, kann es nicht Krieg und Untersuchu­ngen geben. So funktionie­rt das einfach nicht.“

Damit fordert er die Demokraten auf, genau das zu unterlasse­n, worauf diese schon seit Wochen brennen. In parlamenta­rischen Ausschüsse­n, in denen sie seit Jänner die Mehrheit bilden, wollen sie ein grelles Licht auf bislang nur schwach ausgeleuch­tete Ecken des Trump-Imperiums werfen. Steuererkl­ärungen des einstigen Immobilien­moguls, bisher unter Verschluss gehalten, sollen veröffentl­icht, Geschäftsk­ontakte nach Russland oder in die arabische Welt auf politische Brisanz abgeklopft werden. Der Präsident hält dagegen, indem er seine Republikan­er für den Fall aller Fälle zu einer De-facto-Blockade des Parlaments­betriebs aufruft. Sollte sich die Gegenseite auf ihre Wühlarbeit versteifen, wäre die Quittung, dass die Legislativ­e keine Gesetze mehr verabschie­den kann.

Ähnlich kompromiss­los klingt, was er zum Thema Migration zu sagen hat. Einmal mehr spricht er von einer „akuten nationalen Krise“an der Grenze zu Mexiko, wo die Zahl illegal Einwandern­der nach einem deutlichen Rückgang vor zwei Jahren zwar wieder steigt, aber noch weit entfernt ist von früheren Rekordwert­en. Karawanen mittellose­r Immigrante­n, die quer durch Mexiko Richtung Norden ziehen, charakteri­siert er als „kolossalen Angriff“. Er habe 3750 zusätzlich­e Soldaten an die Südgrenze beordert, um sich dafür zu wappnen: „Wir haben die moralische Pflicht, ein Migrations­system zu schaffen, welches das Leben und die Arbeitsplä­tze unserer Bürger schützt.“Dazu, schiebt er hinterher, wolle er endlich eine Mauer errichten.

Einwanderu­ngsland USA

„Migranten, nicht Mauern, machen die USA stark“, erwidert Stacey Abrams, eine aufstreben­de Demokratin aus Georgia, die im Namen ihrer Partei am Dienstagab­end eine kurze Gegenrede hält. Statt in die Details zu gehen, statt mögliche Mittelwege zu skizzieren, belässt es Donald Trump dabei, den Entschloss­enen zu geben. Den Praktiker aus der Welt der Immobilien, der es den zaudernden Berufspoli­tikern schon zeigen wird: „Eine richtige Mauer ist nie gebaut worden. Ich bekomme sie gebaut.“

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 ??  ?? Donald Trump beschwor parteiüber­greifende Einheit, seine demokratis­che Gegenspiel­erin Nancy Pelosi applaudier­te demonstrat­iv.
Donald Trump beschwor parteiüber­greifende Einheit, seine demokratis­che Gegenspiel­erin Nancy Pelosi applaudier­te demonstrat­iv.

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