Aus für toten Winkel?
Tausende Menschen fordern per Petition einen Abbiegeassistenten, der Lkw-Fahrern den Blick in den toten Winkel erlauben soll. Auch der Verkehrsminister ist dafür – nur wer dafür zahlen soll, ist unklar.
Eine Petition fordert Abbiegeassistenten für Lkw-Fahrer, um den toten Winkel zu umgehen. Wer die Kosten trägt, bleibt unklar.
Stunde für Stunde kommen hunderte Unterstützer dazu: Seit am Montag mehrere Privatpersonen und Initiativen eine Onlinepetition gestartet haben, in der sie einen verpflichtenden Abbiegeassistenten für Lastwagen fordern, klettert die Zahl der Unterstützer nach oben. Knapp 18.000 waren es Stand Mittwoch um 17.00 Uhr.
Der Auslöser: Ein neunjähriger Bub starb vergangenen Donnerstag in Wien, nachdem er von einem Lkw-Fahrer im toten Winkel übersehen worden war. Jährlich verunglücken Fahrradfahrer und Fußgänger bei Unfällen mit schweren Lkws. Im Jahr 2017, dem aktuellsten Jahr, das die Statistik Austria auswerten kann, waren es neun Menschen. In den fünf Jahren davor bewegte sich diese Zahl zwischen 14 und 21.
Verkehrsminister Hofer prüft
Der mediale Druck, der durch den jüngsten Todesfall entstand, rief Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ), an den die Petition gerichtet ist, auf den Plan. Dienstagabend twitterte er, das Ministerium prüfe „die technische und legistische Umsetzung mit Hochdruck“. Mittwochmittag bestätigte Peter Tropper vom Fachverband für das Güterbeförderungsgewerbe der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), dass ein Gespräch stattfand. Details, so eine Sprecherin Hofers, gebe es noch nicht. Etwa, ob bestehende Fahrzeuge nachgerüstet werden sollten oder ob Auflagen nur für Neuzulassungen gelten sollen. Und vor allem: wer dafür zahlen soll.
Wie ein Lkw ausgerüstet sein muss, ist im Kraftfahrgesetz geregelt. Darin heißt es, ein Kfz muss so ausgestattet sein, dass der Fahrer „die Straße neben und hinter dem Fahrzeug ausreichend überblicken kann“. Der Abbiegeassistent als technische Einrichtung, die vor Personen warnt, die man nicht sehen kann, ist Bundessache. Den Ländern sind daher die Hände gebunden.
Wien sieht die Forderung nach Abbiegeassistenten für Lkws „sehr positiv“, heißt es aus dem Büro der grünen Verkehrsstadträtin, Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou. Man unterstütze alles, was zu mehr Verkehrssicherheit beitragen würde. In Wien lief etwa im Herbst der Test einer Schulstraße mit Fahrverbot während der Beginnzeiten an. In puncto Abbiegesystem sei alles diskutierbar. Auch bei der Finanzierung.
Jörg Leichtfried (SPÖ) startete als damaliger Verkehrsminister bereits 2017 das Testprojekt Mobil-Eye, in dem Lkws mit einem Abbiegeassistenten ausgestattet werden. Im Fall des Testprojekts war es ein Sensor, der ein Warnsignal gibt. Die WKÖ begleitete das Projekt, laut Tropper würde die Nachrüstung mit dem System 5500 Euro pro Lastwagen kosten – sofern sie technisch überhaupt möglich ist. Für Planenfahrzeuge etwa gebe es keine Möglichkeit, sie anzubringen.
Über 400.000 Lkw sind derzeit in Österreich zum Verkehr zugelassen. Tropper vom Fachverband der WKÖ ist daher dafür, die verpflichtende Aufrüstung nur für neu zugelassene Fahrzeuge vorzuschreiben. Die Wirtschaftskammer Wien, Sparte Transport und Verkehr, sieht das anders: „Die verpflichtende Nachrüstung muss jetzt umgesetzt werden“, schreibt Spartenobmann Davor Sertic, in einer Aussendung.
Karl Delfs vertritt bei der Gewerkschaft Vida im Fachbereich Straße die Interessen der LkwFahrer, die, wie er sagt, „immer ein Stück Angst im Nacken haben“, wenn sie den toten Winkel nicht sehen könnten. Delfs plädiert dafür, Abbiegesystem und größere Glasscheiben in der Fahrerkabine zu kombinieren, das würde den Überblick verbessern.
Geht es nach Ulrich Leth vom Institut für Verkehrswissenschaften an der TU Wien und Unterstützer der Petition, sollte der Abbiegeassistent im Idealfall auch selbst eine Notbremsung einleiten können. Allein das Warnsignal des Abbiegeassistenten würde jedoch viel nutzen. Eine Studie aus dem Jahr 2011, die vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft in Auftrag gegeben wurde, ermittelte, dass bezogen auf alle Unfälle zwischen Lkws und Radfahrern und Fußgängern fast die Hälfte mit einem Abbiegeassistenten vermeidbar gewesen wären. Ist eine technische Nachrüstung nicht möglich, könne man aber auch auf einen Beifahrer zurückgreifen, der die rechte Seite des Fahrzeugs im Blick hat.
Gezielte Stadtplanung
Auch in der Stadtplanung sieht Leth Potenzial, Unfälle im toten Winkel zu vermeiden. Etwa zeitlich versetzte Ampelphasen für Radfahrer und Fußgänger auf der einen und Kraftfahrzeuge auf der anderen Seite. Erfolgreiche Pilotversuche gebe es bereits. Allerdings werden dadurch die Grünphasen kürzer und die Wartezeiten länger – was nicht unbedingt zur Akzeptanz beiträgt. Auch ein Rechtsabbiegeverbot für Lkws bringe zusätzliche Sicherheit. Im Logistikbereich könnte ebenfalls vieles in Angriff genommen werden, so Leth. Zum Beispiel Logistikzentren am Rande der Stadt, von wo aus kleinere Fahrzeuge die Lieferung übernehmen.