Der Standard

Aus für toten Winkel?

Tausende Menschen fordern per Petition einen Abbiegeass­istenten, der Lkw-Fahrern den Blick in den toten Winkel erlauben soll. Auch der Verkehrsmi­nister ist dafür – nur wer dafür zahlen soll, ist unklar.

- Oona Kroisleitn­er und Gabriele Scherndl

Eine Petition fordert Abbiegeass­istenten für Lkw-Fahrer, um den toten Winkel zu umgehen. Wer die Kosten trägt, bleibt unklar.

Stunde für Stunde kommen hunderte Unterstütz­er dazu: Seit am Montag mehrere Privatpers­onen und Initiative­n eine Onlinepeti­tion gestartet haben, in der sie einen verpflicht­enden Abbiegeass­istenten für Lastwagen fordern, klettert die Zahl der Unterstütz­er nach oben. Knapp 18.000 waren es Stand Mittwoch um 17.00 Uhr.

Der Auslöser: Ein neunjährig­er Bub starb vergangene­n Donnerstag in Wien, nachdem er von einem Lkw-Fahrer im toten Winkel übersehen worden war. Jährlich verunglück­en Fahrradfah­rer und Fußgänger bei Unfällen mit schweren Lkws. Im Jahr 2017, dem aktuellste­n Jahr, das die Statistik Austria auswerten kann, waren es neun Menschen. In den fünf Jahren davor bewegte sich diese Zahl zwischen 14 und 21.

Verkehrsmi­nister Hofer prüft

Der mediale Druck, der durch den jüngsten Todesfall entstand, rief Verkehrsmi­nister Norbert Hofer (FPÖ), an den die Petition gerichtet ist, auf den Plan. Dienstagab­end twitterte er, das Ministeriu­m prüfe „die technische und legistisch­e Umsetzung mit Hochdruck“. Mittwochmi­ttag bestätigte Peter Tropper vom Fachverban­d für das Güterbeför­derungsgew­erbe der Wirtschaft­skammer Österreich (WKÖ), dass ein Gespräch stattfand. Details, so eine Sprecherin Hofers, gebe es noch nicht. Etwa, ob bestehende Fahrzeuge nachgerüst­et werden sollten oder ob Auflagen nur für Neuzulassu­ngen gelten sollen. Und vor allem: wer dafür zahlen soll.

Wie ein Lkw ausgerüste­t sein muss, ist im Kraftfahrg­esetz geregelt. Darin heißt es, ein Kfz muss so ausgestatt­et sein, dass der Fahrer „die Straße neben und hinter dem Fahrzeug ausreichen­d überblicke­n kann“. Der Abbiegeass­istent als technische Einrichtun­g, die vor Personen warnt, die man nicht sehen kann, ist Bundessach­e. Den Ländern sind daher die Hände gebunden.

Wien sieht die Forderung nach Abbiegeass­istenten für Lkws „sehr positiv“, heißt es aus dem Büro der grünen Verkehrsst­adträtin, Vizebürger­meisterin Maria Vassilakou. Man unterstütz­e alles, was zu mehr Verkehrssi­cherheit beitragen würde. In Wien lief etwa im Herbst der Test einer Schulstraß­e mit Fahrverbot während der Beginnzeit­en an. In puncto Abbiegesys­tem sei alles diskutierb­ar. Auch bei der Finanzieru­ng.

Jörg Leichtfrie­d (SPÖ) startete als damaliger Verkehrsmi­nister bereits 2017 das Testprojek­t Mobil-Eye, in dem Lkws mit einem Abbiegeass­istenten ausgestatt­et werden. Im Fall des Testprojek­ts war es ein Sensor, der ein Warnsignal gibt. Die WKÖ begleitete das Projekt, laut Tropper würde die Nachrüstun­g mit dem System 5500 Euro pro Lastwagen kosten – sofern sie technisch überhaupt möglich ist. Für Planenfahr­zeuge etwa gebe es keine Möglichkei­t, sie anzubringe­n.

Über 400.000 Lkw sind derzeit in Österreich zum Verkehr zugelassen. Tropper vom Fachverban­d der WKÖ ist daher dafür, die verpflicht­ende Aufrüstung nur für neu zugelassen­e Fahrzeuge vorzuschre­iben. Die Wirtschaft­skammer Wien, Sparte Transport und Verkehr, sieht das anders: „Die verpflicht­ende Nachrüstun­g muss jetzt umgesetzt werden“, schreibt Spartenobm­ann Davor Sertic, in einer Aussendung.

Karl Delfs vertritt bei der Gewerkscha­ft Vida im Fachbereic­h Straße die Interessen der LkwFahrer, die, wie er sagt, „immer ein Stück Angst im Nacken haben“, wenn sie den toten Winkel nicht sehen könnten. Delfs plädiert dafür, Abbiegesys­tem und größere Glasscheib­en in der Fahrerkabi­ne zu kombiniere­n, das würde den Überblick verbessern.

Geht es nach Ulrich Leth vom Institut für Verkehrswi­ssenschaft­en an der TU Wien und Unterstütz­er der Petition, sollte der Abbiegeass­istent im Idealfall auch selbst eine Notbremsun­g einleiten können. Allein das Warnsignal des Abbiegeass­istenten würde jedoch viel nutzen. Eine Studie aus dem Jahr 2011, die vom Gesamtverb­and der Deutschen Versicheru­ngswirtsch­aft in Auftrag gegeben wurde, ermittelte, dass bezogen auf alle Unfälle zwischen Lkws und Radfahrern und Fußgängern fast die Hälfte mit einem Abbiegeass­istenten vermeidbar gewesen wären. Ist eine technische Nachrüstun­g nicht möglich, könne man aber auch auf einen Beifahrer zurückgrei­fen, der die rechte Seite des Fahrzeugs im Blick hat.

Gezielte Stadtplanu­ng

Auch in der Stadtplanu­ng sieht Leth Potenzial, Unfälle im toten Winkel zu vermeiden. Etwa zeitlich versetzte Ampelphase­n für Radfahrer und Fußgänger auf der einen und Kraftfahrz­euge auf der anderen Seite. Erfolgreic­he Pilotversu­che gebe es bereits. Allerdings werden dadurch die Grünphasen kürzer und die Wartezeite­n länger – was nicht unbedingt zur Akzeptanz beiträgt. Auch ein Rechtsabbi­egeverbot für Lkws bringe zusätzlich­e Sicherheit. Im Logistikbe­reich könnte ebenfalls vieles in Angriff genommen werden, so Leth. Zum Beispiel Logistikze­ntren am Rande der Stadt, von wo aus kleinere Fahrzeuge die Lieferung übernehmen.

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Kerzen zum Gedenken an den Neunjährig­en, der vergangene Woche in Wien-Landstraße von einem Lkw erfasst worden war. Er befand sich im toten Winkel des Fahrers.
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