Der Standard

Abt misstraut Opfern

Um die Öffentlich­keit zu beruhigen, gab das Land Tirol bekannt, die Missbrauch­svorwürfe in Martinsbüh­el von einer Kommission aufarbeite­n zu lassen. Der gehört auch ein Abt an, der die Opferaussa­gen anzweifelt.

- Steffen Arora

Zur Kommission, die Missbrauch­svorwürfe in Tirol aufarbeite­t, gehört ein Abt, der Zweifel an Opferaussa­gen hat.

Die Grausamkei­ten, die Kindern über Jahrzehnte in Martinsbüh­el angetan wurden, sind sattsam bekannt. Sie reichen von schwerem sexuellem Missbrauch über bestialisc­he Misshandlu­ngen bis hin zu systematis­cher Zwangsarbe­it. Zuletzt sorgte ein Standard- Artikel im Dezember, in dem eines der einstigen Opfer von seinem Martyrium berichtet, für Aufsehen.

Die Empörung ob der wieder bekanntgem­achten Vorwürfe und der bis heute nur schleppend verlaufend­en Aufarbeitu­ng derselben durch Kirche und Staat sorgte für einen Aufschrei in Tirol. Der war so laut, dass sich nun die Landesregi­erung wieder des Themas angenommen hat und diese Woche verkündete, zusammen mit Diözese und Benediktin­erorden, der das Heim Martinsbüh­el betrieben hatte, eine Dreierkomm­ission zur „historisch­en Aufarbeitu­ng“eingericht­et zu haben. Die Leitung übernimmt die Psychother­apeutin Margret Aull.

„Ich weiß es nicht“

Warum man erneut die Kirche als Täterorgan­isation in diese Kommission lud, sorgte für Kritik. Dass diese berechtigt ist, zeigen nun Standard- Recherchen. Denn der Vertreter des Benediktin­erordens ist Abt Korbinian Birnbacher vom Stift St. Peter aus Salzburg. Allerdings ist ihm selbst nicht ganz klar, warum. Angesproch­en auf das Ziel der kommission­ellen Arbeit, sagt er: „Ich weiß es nicht, ich wurde nur gefragt, dabei zu sein.“Er mutmaßt, es gehe darum, dass den Opfern Gerechtigk­eit widerfahre.

Im Gespräch macht der Abt aber keinen Hehl daraus, was er von den Vorwürfen der Opfer hält, die seit nunmehr zehn Jahren etwa durch die ausführlic­hen Arbeiten des Historiker­s Horst Schreiber von der Universitä­t Innsbruck dokumentie­rt sind. Birnbacher spricht hinsichtli­ch der Gewalt, die den Kindern angetan wurde, von einem „gesamtgese­llschaftli­chen Problem“. Die Kinder, die gequält wurden, seien dem Heim von staatliche­n Institutio­nen zu- gewiesen worden: „Die Gesellscha­ft hat sich des Problems entsagt, und die armen Schwestern haben sich dessen angenommen.“

Die der Taten bezichtigt­en Nonnen nimmt er in Schutz. Sie hätten „nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt“. Man sei damals schließlic­h dankbar gewesen, dass sich die Schwestern dieser Aufgabe angenommen hätten. Und es seien ja nicht alle brutal ge- wesen, es habe auch positive Erfahrunge­n gegeben. Die Vorwürfe gegen die Nonnen nennt er sogar „scheinheil­ig“, weil deren Handeln dem „damaligen Standard der Pädagogik“entsproche­n hätte. Und über die „gesunde Watschen“sei er auch in seiner Kindheit in Bayern, der Abt ist Jahrgang 1967, noch ganz froh gewesen.

Das von Landeshaup­tmann Günther Platter (ÖVP) für die Kommission ausgegeben­e Ziel einer „historisch­en Aufarbeitu­ng“scheint angesichts des Standpunkt­es des Abtes zum Scheitern verurteilt. Denn Birnbacher zeigt sich daran wenig interessie­rt: „Wenn das alles seit zehn Jahren bekannt ist, warum wurde das nicht längst aufgearbei­tet?“Er glaubt, dass die Thematik von den Medien wieder hochgespie­lt wurde und nun „Trittbrett­fahrer versuchen, finanziell noch etwas herauszuho­len“.

Dabei hätten die Benediktin­erinnen den Martinsbüh­el-Opfern bereits eine Million Euro bezahlt, behauptet der Abt, mit dem Nachsatz: „Irgendwann muss Schluss sein.“Details zu diesem angebliche­n Vergleich kann er nicht nennen: „Ich habe nur davon gehört.“Tatsächlic­h meint er wohl die Zahlungen des Ordens an die Klasnic-Kommission, die die Ansprüche der Heimopfer aus kirchliche­n Einrichtun­gen abwickelt.

Keine Antwort aus Salzburg

Dass auch diese Arbeit der Opferschut­zkommissio­n noch längst nicht getan ist, zeigt ein aktuelles Beispiel. Eine Frau, die in Martinsbüh­el Opfer der Benediktin­erinnen wurde, wartet seit anderthalb Jahren auf ein Antwortsch­reiben der Diözese Salzburg, an die man sie von der Diözese in Innsbruck mit ihren Ansprüchen verwiesen hat. „Davon weiß ich nichts“, sagt der Abt.

Landeshaup­tmann Platter, der das Thema nach der jüngsten Aufregung wieder zur Chefsache machte und die neue Dreierkomm­ission medienwirk­sam einberief, war für eine Stellungna­hme nicht zu erreichen. Nur schriftlic­h teilt das Land Tirol mit, dass man sich „unmissvers­tändlich erwartet, dass alle Beteiligte­n – auch der Benediktin­erinnenord­en – zu ihrer Verantwort­ung stehen“.

Historiker Schreiber, der die Gräuel in Martinsbüh­el und anderen Heimen aufgearbei­tet hat, aber 2010 wie auch Jurist Heinz Barta aus der Landeskomm­ission geworfen wurde, nachdem sie höhere Entschädig­ungen für die Opfer empfohlen hatten, spricht ob der Aussagen des Abtes von „gelebter Verantwort­ungslosigk­eit“.

 ??  ?? Schandflec­k Martinsbüh­el: Die Täter mauern weiter, und die Politik lässt es zu.
Schandflec­k Martinsbüh­el: Die Täter mauern weiter, und die Politik lässt es zu.

Newspapers in German

Newspapers from Austria