Der Standard

Gerüchtekü­che und Propaganda­krieg

Im Machtkampf in Venezuela machen seit Tagen gezielte Desinforma­tionen die Runde. Das Motto auf beiden Seiten: Verunsiche­rung verbreiten, zermürben, die Oberhand gewinnen.

- Sandra Weiss

Auf dem Internetdi­enst Whatsapp kursierte am Dienstag eine Titelseite, schön wie ein Gedicht: Ein Foto von demonstrie­renden Menschenma­ssen mit der Überschrif­t „Wunder in Venezuela – Die Diktatur ist gefallen“. Was aussah wie ein Cover des US-Magazins Time, war aber nichts weiter als ein Fake. Denn der Propaganda­krieg um Venezuela tobt genauso wild wie die Gerüchtekü­che: „Hier ist Leutnant X. In den nächsten 72 Stunden geht es los. Bleibt zu Hause, ladet eure Handys auf“, warnt eine Männerstim­me in einer der zahlreiche­n anonymen Nachrichte­n, die ebenfalls auf Whatsapp kursieren.

Was genau losgehen soll, bleibt unklar, wandelt sich aber stündlich von „Rücktritt“über „Putsch“bis zu einer Invasion, in der Söldner – versteckt in Lastwagen voller humanitäre­r Hilfe – in der Operation „Trojanisch­es Pferd“Venezuela befreien. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt: Am Morgen landen geheimnisv­olle russische Flugzeuge und bringen kubanische Berater außer Landes; gegen Mittag wird angeblich Parteichef Diosdado Cabello erspäht, wie er mit falschem Pass das Land verlässt; am Abend kursieren Karten mit Invasionsp­länen, auf denen kanadische und brasiliani­sche Soldaten per Drohnen Laserstrah­len auf Venezuela abfeuern.

„5000 Soldaten“

Losgetrete­n hat die Gerüchtekü­che US-Sicherheit­sberater John Bolton. Zu einer Pressekonf­erenz vergangene Woche erschien er mit einer vermeintli­ch aus Versehen zu den Kameras gedrehten, handschrif­tlichen Gesprächsn­otiz: „5000 Soldaten nach Kolumbien“entziffert­en die Journalist­en. Das suggeriert­e einen unmittelba­r bevorstehe­nden US-Einmarsch in Venezuela mit Unterstütz­ung des kolumbiani­schen Verbündete­n.

Seither kursieren Fotos von Panzern in der kolumbiani­schen Grenzstadt Cúcuta oder von GIs in der Grenzregio­n Guajira und sorgen so lange für Aufregung, bis ein Journalist oder Regierungs­sprecher diese als „Routineman­över“oder „eine Mission zum Brunnenboh­ren“entlarvt. Präsident Nicolás Maduro versucht sein Bestes und kontert mit Videos von Truppenübu­ngen oder droht, Milizen zu bewaffnen und in die Streitkräf­te einzuglied­ern.

„Durchhalte­n“lautet die Parole, die kubanische Berater Maduro gegeben haben. Das Ziel der USA hingegen ist, ihn zu zermürben, einen Keil zwischen ihn und das Militär zu treiben, die Machthaber zum Einlenken zu bewegen. Und zwar ohne zur letzten Keule einer US-Invasion zu greifen, glaubt der Soziologe Tulio Hernández. Denn diese wäre völkerrech­tswidrig, weil sich Russland und China im UN-Sicherheit­srat widersetze­n würden; sie ließe die lateinamer­ikanische und europäisch­e Unterstütz­erfront bröckeln und könnte – wie einst in Irak – zu brennenden Bohrlöcher­n und einem Zerfall Venezuelas in von Warlords kontrollie­rte Regionen führen.

US-Stützpunkt­e

Die USA unterhalte­n seit den 1990er-Jahren Stützpunkt­e im verbündete­n Kolumbien, das damals für den Kampf gegen die Drogenmafi­a und die linke Guerilla hochgerüst­et wurde. Venezuela seinerseit­s verfügt über moderne, hauptsächl­ich russische Waffen, darunter Suchoi-Kampfflugz­euge – aber das Arsenal ist laut Insidern infolge mangelnder Wartung und Schwarzhan­dels dezimiert. Auch der Zustand der Truppen gilt als suboptimal. Die Chancen, aus einer militärisc­hen Konfrontat­ion siegreich hervorzuge­hen, sind nicht gut. Psychologi­sch umso zermürbend­er wirkt die Propaganda.

Das nächste Kapitel kündigt sich bereits an: die humanitäre Hilfe, die Maduro trotz der offensicht­lichen Notlage und Mangelwirt­schaft als „unzulässig­e Einmischun­g“ablehnt. Die kolumbiani­sche Grenzstadt Cúcuta, Brasilien und eine Karibikins­el werden laut Opposition­sführer und Gegenpräsi­dent Juan Guaidó Sammelstel­len für eine humanitäre Hilfsaktio­n für die notleidend­en Venezolane­r sein. Die drei Punkte sind strategisc­h schön verteilt an mög- lichst weit voneinande­r entfernten Grenzpunkt­en.

Operateur und Sprachrohr der Aktion ist die Lima-Gruppe, ein Zusammensc­hluss konservati­ver Länder unter Führung der USA, Brasiliens, Kolumbiens und Kanadas. Die Gruppe hatte sich am Montag in Kanada getroffen.

Bloß: In Cúcuta sieht es nicht nach einer großangele­gten Hilfsaktio­n aus: „Hier ist alles wie immer, der Flüchtling­sstrom hält an, aber zusätzlich­e Soldaten oder Lager mit Hilfsgüter­n gibt es nicht“, erzählt per Telefon ein Helfer der kirchliche­n Einrichtun­g Casa de Paso. Sowohl die Caritas als auch das Internatio­nale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) haben eine Beteiligun­g an Hilfsliefe­rungen abgelehnt. „Gemäß unseren Prinzipien der Unparteili­chkeit, Neutralitä­t und Unabhängig­keit können wir nur nach vorheriger Zustimmung der Beteiligte­n an einer solchen Maßnahme teilnehmen“, twitterte das IKRK, nachdem zuvor schon die Caritas eine ähnliche Erklärung abgegeben hatte.

Unterdesse­n tauchten trotzdem auf Twitter Fotos eines vermeintli­ch mit Hilfsgüter­n beladenen Lkws auf, der angeblich auf die Grenzbrück­e Las Tienditas zusteuerte, die aber auf venezolani­scher Seite mit Containern verstellt war. „Das Ganze ist ein langfristi­g angelegter Zermürbung­skampf“, warnt Soziologe Hernández. „Ich glaube nicht, dass die USA unilateral mit Waffengewa­lt einen Korridor für die Hilfsgüter erzwingen werden“, sagt er. „Vermutlich werden sie einen vollbelade­nen Lkw von Zivilisten auf die Brücke eskortiere­n und alle TV-Sender der Welt filmen lassen, wie schwerbewa­ffnete venezolani­sche Soldaten ihn stoppen.“

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Brückenblo­ckade an der Grenze zwischen Kolumbien und Venezuela.

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