Der Standard

Operation Irland hat begonnen

Die EU-Partner werden die Republik Irland im Streit mit London um die offenen Grenzen auf der Insel nach dem Brexit keinesfall­s alleinlass­en. Eine Lösung hängt nun von Theresa May ab.

- Thomas Mayer aus Brüssel

Bei den „Gesprächen“zum Brexit ist jetzt Präzision angesagt. Es ist fast auf die Sekunde genau 15 Uhr, als Leo Varadkar am Mittwoch in Brüssel das Gebäude der EU-Kommission betritt. Dort wartet am Eingang, wie vereinbart, der Hausherr des Berlaymont, Jean-Claude Juncker, bereits auf seinen Gast aus Irland.

Der irische Premier war bereits seit einigen Stunden in der Stadt. Er hatte mit dem Ständigen Ratspräsid­enten Donald Tusk diskutiert, wie man noch vor dem geplanten Termin des EU-Austritts von Großbritan­nien am 29. März eine gütliche Lösung in der mit London umstritten­en Frage der offenen Grenzen zu Nordirland und zur Auffanglös­ung findet.

Dass es in der Sprachrege­lung der EU-Institutio­nen nur Gespräche, nicht aber „Nachverhan­dlungen“sind, wie die britische Premiermin­isterin Theresa May betont, gehört zur psychologi­schen Kriegsführ­ung. Die „Operation Irland“hat begonnen. Unbestritt­en würde die kleine Republik Irland neben dem Vereinigte­n Königreich zu den Hauptverli­erern gehören, nicht nur wegen der Gefahr des Aufflammen­s des Bürgerkrie­ges in Nordirland. Fast die Hälfte der irischen Exporte geht auf die Nachbarins­el. Ein Desaster könnte eintreten, wenn der Brexit ungeregelt abläuft und Zollunion und Binnenmark­t zwischen EU und Großbritan­nien als Drittland ab 30. März abrupt enden. Und wenn die Briten rasch beginnen, an den neuen EU-Außengrenz­en auf der irischen Insel Fahrzeuge und Menschen zu stoppen.

Höllenfeue­r und May

Das mag ein Grund sein, warum Ratspräsid­ent Tusk vor Journalist­en sagt: „Ich habe mich gefragt, wie der spezielle Platz in der Hölle für jene aussieht, die den Brexit vorangetri­eben haben, ohne den geringsten Plan zu haben, wie man ihn auf sichere Weise umsetzt.“„Schändlich und boshaft“sei das, giftete die für Parlaments- fragen zuständige britische Ministerin Andrea Leadsom in London. Die EU-Präsidente­n machen gute Miene zum bösen Spiel. Am Donnerstag wird sich das wiederhole­n. Dann kommt May zu ihnen.

Mit ihr wollen sie Klartext reden, was in den nächsten Wochen denkbar ist, vor allem, was ausgeschlo­ssen ist. Undenkbar sei, dass die EU-27 ihre Einheit aufgeben und die Iren im Regen stehenlass­en, betont Juncker nach dem Gespräch mit Varadkar: „Der Austrittsv­ertrag wird nicht mehr aufgemacht, ich bin nicht bereit zu neuen Verhandlun­gen.“Das Prinzip des Backstop müsse erhalten bleiben, aus „vitalen Gründen“, daran sei nicht zu rütteln.

Sprich: Sollten die Briten nach dem Brexit keinen Freihandel­svertrag mit der EU eingehen, Einfuhrzöl­le einheben, dann müsse Nordirland weiter zollfreie Zone bleiben. „Das ist eine Garantie für Irland und die Union“, sagt Juncker. Varadkar assistiert, dass man jedoch bereit sei, im Rahmen der „politische­n Erklärung“zum Austrittsv­ertrag Klärungen vorzunehme­n. May will eine rechtlich verbindlic­he Erklärung, dass dieser Backstop nicht „ewig“gelten könne, weil London damit das Recht auf territoria­le Integrität über Nordirland aufgeben würde.

An der Formulieru­ng einer Lösung zu diesem Problem wird sich die Brexit-Shlacht entscheide­n. Für Varadkar ist das eine Überlebens­frage, die offene Grenze Bedingung im Karfreitag­sfriedensa­bkommen von 1998. Daher werden Vorbereitu­ngen für ein NoDeal-Szenario intensivie­rt, auch wenn Juncker sagt, dass „das nicht das wahrschein­lichste Szenario ist“. Die EU werde notfalls bereit sein, der irischen Wirtschaft zu helfen, den Bauern, den Fischern.

Dieses „mögliche Fiasko“, so Tusk, soll aber verhindert werden. Er und Juncker werden nun mit May darüber reden. Freitagabe­nd sind dann Varadkar und May am Zug: Sie treffen einander in Dublin zu einem Dinner for two.

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Der irische Premiermin­ister Leo Varadkar holte sich in Brüssel Rückendeck­ung von Kommission­schef Juncker und Ratspräsid­ent Tusk.

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