Der Standard

Krise mit Anlauf

Weil Krisenpfle­geeltern meist nur kurzfristi­g einspringe­n, wenn Kinder in Not geraten, fallen viele künftig um das Kinderbetr­euungsgeld um. Frau M. ist eine von ihnen. Sie hat gute Argumente gegen den Plan der Regierung.

- Karin Riss

Wenn bei Frau M. das Telefon klingelt, verändert das mitunter das ganze Leben. Womöglich ihr eigenes, trotz aller Erfahrung. Jedenfalls aber das des kleinen Menschen, der ihr von der MA 11, der Wiener Kinder- und Jugendhilf­e, für die kommenden Wochen zur Obhut gegeben wird.

Frau M. ist Krisenpfle­gemutter. Eine von rund 43 Frauen und Männern in Wien, die für Kinder in akuten Notsituati­onen da sind. In der Hauptstadt sind sie für deren Betreuung über den Verein Eltern für Kinder angestellt. Andere Bundesländ­er handhaben das anders, oft ist in dem von dieser Seite ausgezahlt­en Pflegekind­ergeld, das für Ausgaben wie Windeln, Nahrung oder Therapien gedacht ist, auch ein Betrag für die Betreuung inkludiert.

Aber auch wenn es in weiterer Folge viel ums Geld gehen wird, zunächst eine Andeutung dessen, was mit akuter Notsituati­on gemeint sein kann: Es geht um Kinder, die vernachläs­sigt wurden. Um Kinder, die misshandel­t, missbrauch­t oder unzureiche­nd ernährt wurden. Um Kinder, die aufgrund der Alkohol- oder Drogensuch­t der leiblichen Eltern bereits suchtkrank geboren werden. Was das für ihren Alltag bedeutet, beschreibt Frau M., die mit Rücksicht auf die Herkunftsf­amilien der Kinder ihren vollen Namen nur der Redaktion nennt, so: „Wir bekommen Kinder mit einer Geschichte, die aufgrund dieser Geschichte ganz eigene Verhaltens­weisen entwickelt haben.“Der Dreijährig­e etwa, den die 56-Jährige derzeit aufgenomme­n hat, macht Tag wie Nacht kaum Pause beim Schreien.

91-Tage-Kriterium

Dass die Tätigkeit von Krisenpfle­geeltern derzeit im Fokus der medialen Aufmerksam­keit steht, hat mit einem aktuellen Beschluss im Familienau­sschuss des Nationalra­ts zu tun (Details siehe Wissen, rechts). Das Ergebnis der Novelle kurz gefasst: Künftig haben Krisenpfle­geeltern nur noch dann Anspruch auf die Auszahlung von Kinderbetr­euungsgeld, wenn der junge Mensch, um den sie sich vorübergeh­end kümmern sollen, mindestens 91 Tage mit ihnen in einem Haushalt lebt. „Völlig willkürlic­h“sei dieser Zeitrahmen gewählt worden, wie Frau M. findet. Abgesehen von der Tatsache, dass es Kern der Aufgabenbe­schreibung sei, den Zeitraum der Übergangsu­nterbringu­ng „im Interesse des Kindes möglichst kurz zu halten“. Sinn und Zweck: um den neuerliche­n Beziehungs­abbruch zu den Krisenpfle­geeltern nicht noch schwerer zu machen. In der Praxis bedeutet das: Die Mehrheit der – österreich­weit rund 200 – Krisenpfle­geeltern erfüllt das 91-Tage-Kriterium nicht. Eine Regel, die explizit nur für Krisenpfle­geeltern gilt. Frau M. wundert sich, „wie man da von Gerechtigk­eit und Fairness sprechen kann“.

So jedenfalls argumentie­rt man im Ressort von Familienmi­nisterin Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) die im Ausschuss be- Bei Krisenpfle­geeltern finden Kinder in Not vorübergeh­end Sicherheit. Wenn sie aber weniger als 91 Tage in deren Obhut sind, fällt der Anspruch auf Kinderbetr­euungsgeld weg.

schlossene Novelle. Damit würden Krisenpfle­geeltern „gleich behandelt wie alle anderen Eltern auch“, heißt es. Wenn das die Absicht hinter der Reform gewesen wäre, hätte man die Betroffene­n einfach in die Gruppe der Anspruchsb­erechtigte­n (für Juristen: §2 Kinderbetr­euungsgeld­gesetz) hineinnehm­en müssen, sagen hingegen Menschen aus der Praxis. Im Herbst hatte Bogner-Strauß noch erklärt, dass Krisenpfle­geeltern auch künftig Anspruch auf die Geld-

leistung haben sollen – „selbst wenn sie die Kinder nicht drei Monate haben“.

Zur Genese der Problemati­k: Das Ringen um die budgetär überschaub­are Dotierung von Übergangse­ltern in Ausnahmesi­tuationen fußt auf einer Änderung des Kinderbetr­euungsgeld­gesetzes im Jahr 2017. Die Umstellung auf das sogenannte Kinderbetr­euungsgeld­konto samt der Möglichkei­t, pauschales Kinderbetr­euungsgeld für einen Zeitraum von mindestens 365 und höchstens 1063 Tagen zu beziehen, brachte auch für Krisenpfle­geeltern eine Neuerung: Mindestens zwei Monate musste sich seither ein und dieselbe Betreuungs­person um ein Kind kümmern. Die Auslegung mancher Sozialvers­icherer: Um Kindergeld zu beziehen, sei – auch für Krisenpfle­geeltern – eine Mindestbet­reuungszei­t von 61

Tagen vonnöten. Das hielt vor Gericht nicht. Dann kam der Sommer 2018 und mit ihm ein Erlass des Familienmi­nisteriums an die Sozialvers­icherungst­räger, fortan kein Kinderbetr­euungsgeld mehr an Krisenpfle­geeltern auszuzahle­n. Diesmal stützte man sich auf ein Urteil des Obersten Gerichtsho­fs von 2011. Über die Anspruchsb­erechtigun­g hatte der OGH damals jedoch gar nicht beschieden. Es ging darum, ob Pflegeelte­rn in Zivilrecht­sverfahren eine Parteistel­lung einnehmen können – haben sie nicht, erklärten die Höchstrich­ter.

Für Frau M. bedeutete der Erlass eine Zeit des Wartens. Seit Juni 2018 habe sie keinen Bescheid der Wiener Gebietskra­nkenkasse erhalten, sagt sie. Sie nimmt aber an, „dass das jetzt, nach Beschluss der Novelle, ziemlich bald ablehnend beschieden wird“. Denn die jetzigen Änderungen sollen rückwirken­d in Kraft treten – mit 1. Juli 2018. Damit wird ein rechtliche­s Vorgehen gegen die Regelung quasi verunmögli­cht.

Zum Schluss noch ein paar Zahlen: Derzeit würde Frau M. zusätzlich zu ihrem geringen Gehalt 14 Euro pro Tag Kinderbetr­euungsgeld erhalten. Wer sich um später Geborene kümmert, sollte mit 33 Euro pro Tag rechnen können. Hinzu kommt die Familienbe­ihilfe – 114 Euro – plus Aufwandsen­tschädigun­g vom Heimatbund­esland.

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