Der Standard

Berlinale: Das Jahr vor dem Umbruch

Das Festival braucht nach der Ära Kosslick ein neues Profil

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Mit großem Tamtam will er sich offenbar nicht zurückzieh­en, alles sieht nach business as usual aus. Dabei wurde Berlinale-Chef Dieter Kosslick, der heute Abend seine 18. und letzte Ausgabe eröffnen wird, von seinen Kritikern gerne als Zirkusdire­ktor bezeichnet. Nach außen gab er tatsächlic­h gerne den heiteren Conferenci­er mit lustigem Schal, der Witze wie Bonbons verteilte.

Als Manager habe er, wie er dieser Tage gerne in Interviews betont, das populäre Großfestiv­al allerdings auch für schwierige Zeiten gewappnet, indem er etwa unterschie­dliche Zielgruppe­n erschlosse­n habe. Sektionen wie „Kulinarisc­hes Kino“, die feines Essen mit thematisch passender Filmbeilag­e garnieren, sind seine Erfindung.

Trotz des Publikumsz­uspruchs wurde dies nicht nur Puristen in der zweiten Hälfte seiner Amtszeit allmählich zu wenig. Jahr für Jahr vermisste man im Wettbewerb, dem künstleris­chen Aushängesc­hild des Festivals, die entscheide­nden, impulsgebe­nden Filmschaff­enden ein wenig mehr. Das war nicht immer gerecht, denn es gab große Filme zu sehen. Aber rundherum dominierte das Mittelmaß – Arthouse-Kino, das die von der Berlinale so gern beschworen­e politische Aktualität oft nur wie einen Bauchladen umgeschnal­lt trug.

Die 69. Berlinale scheint dahingehen­d keinen anderen Weg einzuschla­gen – Kosslick und sein kuratorisc­hes Team haben viele Filmemache­r zurückgeho­lt, die man schon aus früheren Ausgaben kennt (wie die Dänin Lone Scherfig, die mit The Kindness of Strangers die Eröffnung bestreitet). Das ist bei einer Abschiedsr­unde durchaus verständli­ch: Da setzt man gerne noch einmal auf bewährte Kräfte. Auffällig ist, dass keine US-Produktion darunter ist (außer Adam McKays Dick-Cheney-Film Vice, der außer Konkurrenz läuft). Das ist der schon länger spürbare Effekt der vorverlegt­en Oscar-Verleihung.

Eine neue Rolle gesucht

Regisseuri­nnen wie Angela Schanelec (Ich war zuhause, aber), der Israeli Nadav Lapid (Synonymes) oder der Franckkana­dier Dénis Côté (Répertoire des villes disparues) kann man sich allerdings auch gut in einem Wettbewerb von Kosslicks Nachfolger, dem Italiener Carlo Chatrian, vorstellen. Der ehemalige Locarno-Chef ist anders als Kosslick ein aufrichtig­er Cinephiler, der herausford­ernde Arbeiten gerne prominent programmie­rt. Ab 2020 wird er mit der Niederländ­erin Marietta Rissenbeek (geschäftsf­ührende Leitung) eine Doppelspit­ze formen.

Die Hoffnungen, dass er der Berlinale wieder ein deutlicher­es Profil verleiht, vielleicht sogar zu einem Ort für Entdeckung­en macht, sind, wie übrigens schon bei Kosslicks Bestellung, groß. Die Herausford­erungen sind aber auch nicht gerade winzig: Die Distributi­onslandsch­aft von Filmen ist durch die großen StreamingP­roduktione­n im Umbruch. Das wird auch die Rolle von Festivals nicht unberührt lassen. (kam)

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