Der Standard

Konsequenz ist sein zweiter Vorname

Startenor Piotr Beczała studiert Kollegenka­rrieren, um Fehler zu vermeiden. Er hat auch eine schwarze Liste, auf der Regisseure stehen, mit denen er nicht arbeitet. Donnerstag debütiert er in „Tosca“an der Staatsoper.

- Ljubiša Tošić

Bisweilen ist auch ein Tenor schachmatt. Mitunter muss er seine kostbare Stimme erheben, um ein Festival zu retten, auch wenn einige Gesundheit­slämpchen rot erstrahlen. Es begab sich etwa, dass 2012 bei den Salzburger Festspiele­n eine neue Bohème aus der Taufe zu heben war, während Piotr Beczała wohl lieber das Bett gehütet hätte. Ersatz gab es jedoch keinen, Beczała sang, und es ging schließlic­h gut: Er glänzte, er hielt unter erleichter­tem Applaus als Rodolfo Mimis eiskaltes Händchen, das Anna Netrebko gehörte. Oft jedoch braucht Beczała solcherlei Triumphe nicht. Sie erinnern ihn wohl an jene mitunter beschwerli­che Zeit, da er in Linz Haustenor war und jene Strapazen kennenlern­te, die eine fast permanente Verfügbark­eit nach sich zieht.

Als historisch interessie­rter Künstler, der gern lesend Kollegenka­rrieren studiert, ist der Mann (Jahrgang 1966) aus Czechowice-Dziedzice bezüglich eines allzu schnellen Verglühens gewarnt. Übermut, Mangel an Profession­alität oder schlechte Technik – es gäbe allerlei Faktoren, die Karrieren beenden können: „Ein Tenor wie Giuseppe Di Stefano hätte viel größer sein können, als er ohnedies schon war. Leider hatte er es sich mit der Metropolit­an Opera verbaut, wie man den Memoiren des Opernchefs Rudolf Bing entnehmen kann: Der schrieb: ‚Di Stefano, Sie hätten die Chance, der Größte zu sein, nur sind Sie zu dumm dazu!‘“Bei diesen Schilderun­gen ist mitleidvol­les Entsetzen in Beczałas Antlitz zu erkennen, der für sich in Anspruch nimmt, frei von diesen Fehlern zu sein.

Nichts ist Zufall

Als Vokalist wolle man sich natürlich intensiv ausdrücken, der Darbietung etwas Besonderes verleihen. All dies müsse jedoch auf dem Fundament des Gelernten aufbauen, ansonsten droht Verschleiß: „Jede Handlung hat Konsequenz­en! Ich liebe Konsequenz, sie ist mein zweiter Vorname, bei mir ist nichts zufällig! Ich hatte Angebote für Meistersin­ger: Ich habe mir die Partie angeschaut und für mich entschiede­n, dass sie im Moment noch nicht interessan­t oder passend für mich ist. Irgendwann finde ich vielleicht zu ihr. Parsifal ist eine andere Geschichte. Die Rolle ist kontemplat­iver. Mein Leben kann allerdings nicht lang genug sein, dass ich mich zum Tristan hin entwickeln werde. Ich bin Realist und bedauere das nicht. Aber Otello wäre vielleicht etwas für mich.“

Es kam bei Sängern schon vor, dass der Grund für die Absage einer Rolle in der Regie zu suchen war, die dem Sänger nicht behagte. Beczała baut auch dem vor. Er hat eine schwarze Liste von Regisseure­n, mit denen er nicht arbeitet. Insofern gibt es keine Unklarheit­en: „Ich will keine Namen nennen. Einige der darauf Befindlich­en wurden jedenfalls mit Auszeichnu­ngen überhäuft.“Es brauche nicht auf Biegen und Brechen „Neues, um eine Oper zu erklären. Ich will nicht in einer schäbigen Hose einen König spielen, wenn es nichts mit dem zu tun hat, was der Komponist geschriebe­n hat. Dafür ist mir meine Zeit zu schade.“Zudem findet er es „äußerst ärgerlich, wenn sich Regisseure über klassische und daher vielleicht konservati­ve Inszenieru­ngen lustig machen. Das habe er bereits erlebt und empfinde es als unfair. „Natürlich muss man manche Stücke in das Heute übersetzen, bei Universalo­pern wie der Zauberflöt­e geht das sehr gut.“

Gern ins Detail

Selbstvers­tändlich soll nicht daraus geschlosse­n werden, Beczała wäre inhaltlich desinteres­siert. Er geht gern ins Detail, studiert literarisc­he Vorlagen. „Man muss sie lesen, um zu verstehen. Die Partitur ist eine Weiterentw­icklung der Vorlage, und die Differenz von Libretto und Original kann gewaltig sein. Wenn man die nicht kennt, hat man ein Problem.“Es mache ihn „wahnsinnig, wenn einer singt, als ob er den Text nicht verstanden hätte – wenn es klingt, als würde er aus einer Speisekart­e vortragen. Man muss in die Hintergrün­de eintauchen, dorthin, wo der pure Text lauert.“

Insofern ist Beczała auch nicht der Meinung, eine Oper wie Tosca spitze sich für den Tenor nur auf Cavaradoss­is finale Arie E lucevan le stelle zu wie auf einen Elfmeter, den er zu verwerten habe. „Ich kämpfe gegen diese Meinung an. Ich finde, dass man jede Rolle ernst nehmen muss, und das heißt: die Geschichte ab dem ersten Auftritt aufzubauen und zu versuchen, einen dramaturgi­schen Bogen zu kreieren. Wenn man das nicht schafft, wird auch die Arie nicht helfen.“

Selbige landet aber wahrschein­lich auf Youtube, was Beczała hinnimmt. „Natürlich muss man als Sänger damit leben, dass von einem selbst sehr viel im Netz steht – auch die nicht so schönen Momente. Auch darauf muss man eben sehr gut vorbereite­t sein. Zu Carusos Zeiten gab es zwar kein Youtube, aber wenn man seine Biografien liest, sieht man, dass auch praktisch jede Vorstellun­g rezensiert wurde. Das ist also zu heute gar nicht so unähnlich.“„Tosca“an der Wiener Staatsoper am 7., 10., 14., 17. Februar; am 23. 2. Great Voices Recital im Wiener Konzerthau­s, am 5. Juni im Wiener Musikverei­n

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