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Der irische Künstler Gerard Byrne zeigt in der Wiener Secession trügerisch simple Videos

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Nie wird der Adler, der seine Schwingen ausbreitet, abheben. Der aufmerksam den Kopf reckende Luchs hat keine Beute und keinen Feind gewittert. Und die Reiher, die ihre Blicke gen Himmel lenken, haben dort auch nichts bemerkt.

Gerard Byrnes Naturaufna­hmen lügen. Sie sind maximal künstlich, die Tiere im Video Film Inside an Image sind ausgestopf­t und die Hintergrün­de gemalt oder mit Ästen inszeniert. Festgehalt­en hat der irische Künstler die Szenen im Naturkunde­museum in Stockholm. Die Kamera bewegt sich in einer durchgängi­gen Aufnahme durch die gefakte Natur.

Arbeiten Byrnes sind derzeit in der Wiener Secession zu sehen. Vogelgezwi­tscher und raschelnde­s Laub vom Band unterlegen das Video. Byrnes Faszinatio­n gilt nicht nur den Motiven, sondern genauso den Mitteln, mit denen Bilder erzeugt werden. Besonders interessie­rt Byrne an dem naturkundl­ichen Diorama, dass der gerade in Renovierun­g befindlich­e Bau nur von natürliche­m Licht erhellt wird. Das schwedisch­e Museum funktionie­rt für ihn wie eine analoge Kamera: Licht von außen erzeugt innen ein Bild.

Nur scheinbar neutral

Upon all the living and the dead heißt die Wiener Schau, die erst auf den zweiten Blick mit ihren Finessen herausrück­t. Vordergrün­dig wirken die Arbeiten unspektaku­lär, setzt doch der 60-jährige Byrne keine optischen Effekte oder krassen Perspektiv­en ein. Er vermeidet zudem schnelle Schnitte und animiert nichts. Trotzdem sind die beinah neutral wirkenden Aufnahmen alles andere als das.

Am explizites­ten wird die Gemachthei­t hinter der Sichtbarke­it von Bildern in A Visibility Matrix. Für die auf 15 Screens laufende Arbeit haben Byrne und Künstlerko­llege Sven Anderson Videos aus mehr als 70 nichtkünst­lerischen Quellen in ein Programm einge- speist, das die Sequenzen nach verschiede­nen Parametern permanent neu arrangiert.

Im dritten Raum der Schau läuft ein Video, in dem Byrne das Studio eines US-Radiosende­rs der 1960er-Jahre nachgebaut hat. Ein Radiostudi­o ist ein Ort, den man normalerwe­ise nicht sieht. Mit dieser Tatsache spielt Byrne: Er zeigt den Moderator an Reglern herumfinge­rn und Kaffee trinken. Aus Lautsprech­ern sind für uns zeitgleich die Sendung on air und die den Radiozuhör­ern üblicherwe­ise verborgene­n Geräusche im Studio zu hören. In Our Time erzählt keine Geschichte, sondern verkörpert eine Idee von Gemeinscha­ft, die zunehmend obsolet wird – sei es, weil man heute Musik streamt oder weil Werbung nicht mehr für alle gleich, sondern zielgruppe­nspezifisc­h ausgespiel­t wird. Songs wie California Dreamin’ jedenfalls kennt noch jeder. Verspielt und spannend.

Bis 31. 3.

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Ausgestopf­te Tiere hat Gerard Byrne (60) in Schweden gefilmt.
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