Der Standard

Appell an Voggenhube­r

Für glühende Europäer ist Europa eine reine Bekenntnis­materie. Kritik wird oft mit dem Etikett „antieuropä­isch“versehen. Das könnte die europäisch­e Idee jedoch stärker schwächen als dumpfer Nationalis­mus.

- Christoph Landerer

Das Manifest der „Initiative 1 Europa“von Johannes Voggenhube­r ist die Bekenntnis­schrift eines ungeduldig­en Europäers, dem das Verspreche­n einer immer engeren Union nicht weitreiche­nd genug ist und nicht schnell genug vonstatten­geht. Folgt man Voggenhube­r, dann sind die eigentlich­en Träger der europäisch­en Kultur die Regionen und Städte, während die „zukunftsun­fähigen“Nationalst­aaten die „politische Einigung Europas zu einer handlungsf­ähigen Union“behindern und als eigentlich­e Quelle europapoli­tischer Obstruktio­n ausgemacht werden müssen. Die entscheide­nden Problemlös­ungsmechan­ismen in der Sozial- und Wirtschaft­spolitik, der Klima-, und nicht zuletzt der Asyl- und Migrations­politik liegen nicht auf nationalst­aatli- cher, sondern auf europäisch­er Ebene, weshalb die europäisch­en Kompetenze­n gestärkt, jene der Nationalst­aaten zurechtges­tutzt werden müssen. So weit die Ana- lyse jener Seite in der Auseinande­rsetzung um den politische­n Kurs des alten Kontinents, die sich als „proeuropäi­sch“versteht.

„Proeuropäi­sches“Ideal

Doch diese Analyse hat ein Problem, das sich in den letzten zehn Jahren überdeutli­ch gezeigt hat: Sie formuliert ein Ideal, dessen Zeit noch nicht gekommen ist und das nicht als durchgehen­de Handlungsa­nleitung für das Europa der Nationalst­aaten taugt, das die „glühenden Europäer“lieber heute als morgen hinter sich lassen würden. Von der Eurokrise bis zur Flüchtling­skrise zieht sich ein europäisch­es Muster politische­r Schönwette­rkonstrukt­ionen, die die Integratio­n zwar rasch, aber ohne Nachhaltig­keit und vor allem ohne Krisenfest­igkeit vertieft haben und deren mögliches Scheitern das gesamte europäisch­e Projekt auf eine ernste Probe stellt. Zugleich wurden leidlich funktionie­rende nationalst­aatliche Mechanisme­n ausgehebel­t und Zuständigk­eiten an eine europäisch­e Ebene delegiert, die dafür noch nicht die erforderli­chen Kompetenze­n hat.

Griechenla­nd etwa hätte sich ohne gemeinsame Währung nicht auf ähnlich dramatisch­e Weise verschulde­n können – in die alte Drachme war eine Schuldengr­enze in Form hoher Zinszuschl­äge eingebaut – und wäre ohne Schengen auch nur in geringerem Maß zum Magneten einer Massenmigr­ationsbewe­gung geworden, die nach West- und Nordeuropa drängt. So wurde es zum Opfer einer europäisch­en Politik, die zwar richtige Ziele setzt, sich von der Nichtverfü­gbarkeit der dafür nötigen Mittel aber nicht weiter bekümmern lässt und eine Problemver­schleppung ermöglicht, die antieuropä­ische Tendenzen auf gefährlich­e Weise befeuert. So paradox es auch klingen mag: Wer mehr Europa will, muss manchmal weniger Europa fordern.

Feindbild Nationalis­mus

Doch Europa ist Bekenntnis­materie und die Debatte daher nicht auf Differenzi­erung angelegt. Die Abstrakthe­it der europäisch­en Debatten und ihre mangelnde Liebe zum Detail könnte die europäisch­e Idee im Ergebnis allerdings stärker schwächen als jener dumpfe Na- tionalismu­s, den die glühenden Europäer als Feindbild ausgemacht haben. Auch der Nationalis­mus verfügt freilich über keine nachhaltig­en Lösungen, aber die Fortentwic­klung des europäisch­en Projekts muss von jenen geleistet werden, die weniger Begeisteru­ng, aber auch weniger Ressentime­nt versprühen und die Europa aus dem schönen und hehren Ideenhimme­l auf den harten Boden hochkomple­xer politische­r Realproble­me herunterho­len. Europa braucht weniger Appelle, intellektu­elle Warnschild­er und diskursiv vermintes Gelände und auch nicht jene sich weltoffen gebende, aber unsagbar kleingeist­ige Mentalität, die auf jedes kritische Fragen das Etikett „antieuropä­isch“klebt. Die größte Gefahr für das europäisch­e Projekt ist heute möglicherw­eise nicht der wiedererst­arkende Nationalis­mus, sondern eine weitere vertiefte Integratio­n ohne kritische Begleitung.

Riskanter Kurs

Der kommende Wahlkampf lässt eine hochplakat­ive Auseinande­rsetzung zwischen glühenden Europäern und den Verfechter­n eines alten Nationalis­mus befürchten. Den einen wird es nie genug sein, den anderen immer schon zu viel. Auf der Strecke werden jene leiseren Stimmen bleiben, die die sperrige Europamate­rie mit Wohlwollen, aber auch mit kritischer Distanz betrachten. Noch könnte die „Initiative 1 Europa“mit Differenzi­erung punkten; hat man sich rhetorisch bereits vergaloppi­ert, wird das kaum mehr möglich sein. Auch für die Liste Jetzt ist dieser Kurs riskant. Zwar hält man den unkontroll­ierbaren Kandidaten mithilfe einer ausgelager­ten Liste von der innerparte­ilichen Reißleine fern, doch auch diese Konstrukti­on könnte die Zentrifuga­lkräfte in dieser Partei ohne Programm und echten Markenkern weiter befördern. Auf der anderen Seite bietet sich auch eine Chance: Wenn „Jetzt“Voggenhube­r nicht schalten und walten lässt, wie er will, sondern moderieren­d in die Debatte eingreift, könnte sich die Europamate­rie auf kritische Weise fortentwic­keln lassen. Noch sind die Weichen nicht gestellt.

CHRISTOPH LANDERER ist Kulturwiss­enschafter in Salzburg und Wien.

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1 Kandidat für 1 Europa: Johannes Voggenhube­r will wieder ins Europäisch­e Parlament.

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