Der Standard

Third Culture Kids

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Die amerikanis­che Popsoziolo­gie kennt ein neues Modewort: Third Culture Kids, auch TCKs genannt. TCKs sind Menschen, die ihre Jugendjahr­e in einem anderen Land, in einer anderen Kultur, einer anderen Sprache erlebt haben als in dem Land, in dem sie heute wohnen. Sie kennen zwei Kulturen, und aus dieser Mischung formen sie eine dritte, ihre eigene. Die TCKs werden immer zahlreiche­r. Und immer einflussre­icher – in der Literatur, in den Medien, in der Kunst. rsprünglic­h waren mit den Third Culture Kids die Kinder von Diplomaten gemeint, die an den Dienstorte­n ihrer Eltern aufgewachs­en waren und nach ihrer Rückkehr in die Heimat nicht selten Probleme hatten, sich dort wiedereinz­ugliedern. Im psychologi­ebegeister­ten Amerika wurden umgehend Therapien erdacht. Das Resultat: Wenn die Reintegrat­ion glückte, erwiesen sich die TCKs als weltoffene­r, kreativer und erfolgreic­her als ihre Altersgeno­ssen, denen deren Welterfahr­ung fehlte. Wenn nicht, fanden sich die Rückkehrer als kulturell heimatlos wieder. Diplomaten­kinder sind privilegie­rt. Aber das gleiche Schicksal teilen selbstvers­tändlich auch die Millionen Flüchtling­e und Zuwanderer, die in jungen Jahren von einer Kultur in eine andere gewechselt sind.

Nicolai ist Österreich­er, lebt in den USA und ist mit einer Mexikaneri­n verheirate­t. Seine Kinder sprechen zu Hause Englisch und Spanisch und lernen in den Ferien in Österreich Deutsch. Frage: Wie kommt ihr zurecht mit eurer gemischten Identität? Ant-

Uwort: sehr gut. Ein Grund dafür ist laut Nicolai, dass sowohl er selbst wie auch seine Kinder in Schulen gingen, in denen sie Klassenkol­legen und -kolleginne­n aus verschiede­nen Nationen hatten. Akzeptanz von Verschiede­nheiten und Respekt vor anderen Kulturen waren für alle eine Selbstvers­tändlichke­it – und Nationalis­mus und Fremdenfei­ndlichkeit unbekannt. Die „dritte Kultur“, die diese TCKs aus dieser Erfahrung mitnahmen, war eine Weltbürger­kultur mit Bodenhaftu­ng.

Ob aus den nach Österreich zugewander­ten Flüchtling­en österreich­ische Weltbürger oder kulturell heimatlose Problemmen­schen werden, wird wesentlich davon abhängen, welche Ausbildung und welche Förderung sie hier bekommen. Negative Beispiele werden uns oft genug vorgeführt: Menschen, die den Sprung von einer Kultur in die andere nicht schaffen und an der Integratio­n, die von ihnen verlangt wird, scheitern. Nicht selten hat es auch damit zu tun, dass sie dazu gedrängt werden, ihre eigenen Wurzeln total zu verleugnen und ganz und gar in der neuen, „zweiten“Kultur aufzugehen. ber es gibt auch positive Beispiele. Diese können wir unter anderem in der modernen deutschspr­achigen Literatur studieren, in der TCK-Autoren und -Autorinnen einen wichtigen Platz haben, von Navid Kermani, dem gebürtigen Iraner, bis zu Nino Haratischw­ili, der gebürtigen Georgierin. Sie sind preisgekrö­nte deutsche Autoren, aber sie können Geschichte­n erzählen, die Einblicke in andere Welten eröffnen. Geglückte Exemplare der „dritten Kultur“. Aber auch die erfolgreic­hen Lehrlinge mit Migrations­hintergrun­d sind Third Culture Kids. Wir sollten sie schätzen, nicht abschieben.

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