Der Standard

Die Wahrheit, die Trump meint

In seiner Rede zur Lage der Nation eint er das Land nicht, sondern spaltet es weiter

- Florian Niederndor­fer

Jobs, Jobs und nochmal Jobs, so lautet das Mantra Donald Trumps seit den ersten Wahlkampft­agen. Fest steht, dass der 45. US-Präsident vor allem in zweierlei Branchen nachhaltig für reichlich Betätigung künftiger Generation­en sorgen dürfte: jener der Politologe­n und jener der Psychoanal­ytiker. Trumps zweite Rede zur Lage der Nation in der Nacht auf Mittwoch offenbarte schließlic­h weniger eine Bestandsau­fnahme der Stärken und Schwächen des Landes denn ein Psychogram­m des narzisstis­chen Polemikers im Oval Office.

Er fühle sich weder einer republikan­ischen noch einer demokratis­chen Agenda verpflicht­et, beteuerte der Präsident, sondern einzig und allein dem amerikanis­chen Volk. Und doch ging es in dem beinahe zweistündi­gen Sermon im Washington­er Kongress in Wahrheit einmal mehr vor allem um einen einzigen der 300 Millionen USBürger: Donald Trump höchstselb­st. Niemandem anderen als ihm nämlich habe die Nation Frieden, Wohlstand und Sicherheit zu verdanken, er allein verhindere Kriege, befreie die Unternehme­n von lästigen Regulatori­en und halte demokratis­che Gouverneur­e davon ab, „Babys nach der Geburt zu exekutiere­n“. ass keine dieser haarsträub­enden Behauptung­en einem Faktenchec­k standhalte­n, einige davon glatte Lügen sind, ficht den gewieften Wahlkämpfe­r nicht an. Anstatt sich an die zutiefst gespaltene Nation zu wenden und zu versuchen, die Gräben in deren Mitte kleiner anstatt größer zu machen, setzt Trump unverdross­en weiter auf Polarisier­ung. Und indem er die Gelegenhei­t beim Schopf packt und die Einstellun­g der mannigfalt­igen Untersuchu­ngen gegen sich fordert, weil sie – Achtung, kein Witz! – der allein seiner Umsicht wegen brummenden US-Wirtschaft den Garaus machen könnten, zieht Trump die „State of the Union Address“endgültig ins Groteske.

Was für den Präsidente­n im Wahlkampfm­odus zählt, ist nicht die Würde seines Amtes, nicht die Reputation des Landes und auch nicht dessen Zustand. Den harten Kern seiner Anhängersc­haft bei Laune zu halten, koste es, was es wolle, das ist seine wahre Agenda. Klar, dass Trump in seiner Rede, die aufgrund des von ihm verursacht­en, mehr als einen Monat währenden Shutdowns verschoben worden war,

Derneut auf die Mauer zu Mexiko pocht. Den Argumenten, die er dafür zu Hilfe zieht, wohnt Wahrheit freilich nur in Spuren inne. Etwa wenn er über die gesunkene Kriminalit­ätsrate im texanische­n El Paso schwadroni­ert, die in Wahrheit mit der dort bereits befestigte­n Grenzlinie nichts zu tun hat – oder indem er einmal mehr vor einer „großen Karawane“von Migranten in Richtung US-Grenze warnt, die in der Realität gar nicht mehr existiert.

Trump schert es nicht, was die Abgeordnet­en von seiner Rede zur Lage der Nation halten. Und auch nicht, wie die ihm ohnehin meist wenig wohl- gesonnenen Zeitungen sie bewerten. Am Herzen liegt Trump, der eine zweite Amtszeit wohl schon fix eingepreis­t hat, nur er selbst. Der Präsident macht sich die Welt zu diesem Zweck, wie sie ihm gefällt. Und die Wahrheit muss sich da schon einmal seinem Diktum beugen. Dass es um die Lage der Nation so auf Dauer nicht allzu gut steht, scheint ihn nicht zu kümmern.

Dabei ist Trump bei der Wahl längst nicht nur auf die Stimmen seiner Hardcore-Fans angewiesen, denen er nun einmal mehr geschmeich­elt hat. Ob er die Geister der Spaltung rechtzeiti­g loswird, steht indes in den Sternen.

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