Der Standard

Paris und Rom fahren schwere Wahlkampfg­eschütze auf

Macron ruft französisc­hen Botschafte­r aus Italien zurück – Seit Monaten gegenseiti­ge Sticheleie­n und Anschuldig­ungen

- Dominik Straub aus Rom Stefan Brändle aus Paris

Auch Diplomaten platzt bisweilen der Kragen – so geschehen am Donnerstag im Quai d’Orsay, dem französisc­hen Außenminis­terium. Sprecherin Agnès Von Der Mühll erklärte, Paris rufe den Botschafte­r in Rom zu „Konsultati­onen“zurück – denn seit Wochen müsse man „wiederholt­e Anschuldig­ungen, grundlose Attacken und übertriebe­ne Erklärunge­n“aus Rom erdulden. Jetzt gebe es „zusätzlich­e Provokatio­nen“. Gemeint ist das Treffen von Vertretern der französisc­hen Protestbew­egung Gelbwesten mit dem italienisc­hen Vizepremie­r Luigi Di Maio in Paris. Darin sehe man eine Einmischun­g in die französisc­he Innenpolit­ik.

Diese Aktion ist der etwas theatralis­ch anmutende Höhepunkt einer diplomatis­chen Krise, die schon seit längerem schwelt. Nach der Vereidigun­g der populistis­chen Regierung in Rom im Juni 2018 verschlech­terten sich die Beziehunge­n zwischen den beiden Nachbarsta­aten rapide: Für Di Maio von der Fünf-Sterne-Bewegung und für den zweiten Vizepremie­r, Matteo Salvini von der rechten Lega, ist Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron der Inbegriff einer arroganten und abgewirtsc­hafteten Elite, die laut Salvini „gegen das eigene Volk regiert“.

Schon im Jänner hatte sich Di Maio bei Vertretern der Gelbwesten angebieder­t und sie aufgeforde­rt, „standhaft zu bleiben“. Schon damals bestellte das französisc­he Außenminis­terium den italienisc­hen Botschafte­r ein. Der Abzug des eigenen Botschafte­rs aus Rom ist ein weiterer Schritt in dieser Eskalation unter befreundet­en EU-Nachbarn.

„Zynismus“

Doch auch die französisc­he Seite hat bisher nicht mit Nadelstich­en gegen Rom gegeizt. Nach der Schließung der italienisc­hen Häfen für private Rettungssc­hiffe durch Salvini warf Macron im vergangene­n Jahr den Italienern „Zynismus“und „Verantwort­ungslosigk­eit“vor. Das entfachte über die italienisc­hen Regierungs­kreise hinaus Ärger, der sogar dazu führte, dass französisc­he Zollgendar­men und Grenzbeamt­e aus Italien gekommene Migranten systematis­ch dorthin zurückwies­en.

Salvini echauffier­te sich und warf Frankreich vor, die Grenzen zu Italien abgeriegel­t zu haben und sogar schwangere und kranke Migrantinn­en zurückzuwe­isen. Di Maio warf zudem den Franzosen vor, durch ihre „neokolonia­le Politik“Afrika auszublute­n und die Massenfluc­ht zu begünstige­n. „Aus Paris nehmen wir keine Lektionen entgegen“, tönte es damals aus Rom.

Macron legte umso beherzter nach: Der französisc­he Präsident verglich die italienisc­hen Populisten mit der „Lepra“und erklärte, dass „das italienisc­he Volk Anführer verdienen würde, die seiner Geschichte würdig sind“.

Beide Seiten bemühten nun im neuesten Durchgang am Donnerstag historisch­e Vergleiche: Seit Mussolinis Kriegserkl­ärung an Frankreich im Jahre 1940 ist es in der Tat das erste Mal, dass Paris den italienisc­hen Botschafte­r einberuft.

Bei dem ganzen Streit zwischen Rom und Paris ist freilich viel italienisc­hes Wahlkalkül dabei: Die „Cousins jenseits der Alpen“, wie die Franzosen in Italien genannt werden, gelten im Belpaese als ein bisschen hochnäsig – und so sind die Breitseite­n Di Maios und Salvinis Zuhause bei vielen sehr populär. Allerdings handelte es sich bisher eher um harmlose Neckereien – ähnlich jenen zwischen Österreich­ern und Deutschen.

Aber natürlich hat auch Frankreich­s Regierung dieses Kalkül durchschau­t: „Die Wahlkampag­ne für die Europawahl im Mai kann den mangelnden Respekt gegenüber einem Volk oder seiner Demokratie nicht rechtferti­gen“, heißt es in dem Kommuniqué des französisc­hen Außenminis­teriums. Frankreich und Italien seien verbunden durch eine gemeinsame Geschichte; zusammen hätten sie Europa aufgebaut und sich für den Frieden eingesetzt.

Vordergrün­dig nahm Salvini diesen versteckte­n Freundscha­ftsappell sofort an: „Ich bin bereit, mit Frankreich ein neues Kapitel aufzuschla­gen zum Wohle unserer Völker. Und ich wäre glücklich, Macron zu treffen“, sagte der Innenminis­ter am Donnerstag. Voraussetz­ung: Paris solle aufhören, Migranten an der Grenze zurückzuwe­isen und italienisc­hen Verbrecher­n Schutz zu gewähren.

Auch Macron befindet sich im Wahlkampf – wohl deswegen nimmt er Di Maios und Salvinis Fehdehands­chuh aus taktischen Gründen nur allzu gern auf. Er versucht, sich als Leader des „progressiv­en“Lagers gegen Populisten wie Marine Le Pen, eben Salvini oder Viktor Orbán zu inszeniere­n. Man wird sehen, wer sich letzten Endes bei den Europawahl­en im Mai durchsetzt.

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Foto: Ansa / Riccardo Antimiani Italiens Vizepremie­r Luigi Di Maio sorgt für Streit mit Paris.

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