Der Standard

Juncker und May setzen auf Verzögerun­gstaktik

Die britische Premiermin­isterin Theresa May und Kommission­schef Jean-Claude Juncker schicken ihre Verhandler in neue Gespräche über den Brexit. So richtig zur Sache soll es dann erst Ende Februar gehen.

- Thomas Mayer aus Brüssel

Die Beziehunge­n zwischen Großbritan­nien und seinen EU-Partnern waren seit dem Beitritt 1973 nie so wirklich von großer Herzlichke­it getragen. Nur 51 Tage vor dem geplanten Brexit am 29. März steuern die Regierung in London und die EU-Institutio­nen in Brüssel nun aber schnurstra­cks auf neue Höhen wechselsei­tigen Misstrauen­s hin. Das war am Donnerstag beim Besuch von Premiermin­isterin Theresa May bei den gemeinscha­ftlichen Präsidente­n Doland Tusk (Rat), Antonio Tajani (Parlament) und Jean-Claude Juncker (Kommission) spürbar – und sichtbar.

Am Vortag hatte der Kommission­schef noch demonstrat­iv herzlich Premier Leo Varadkar aus Irland empfangen – jenem Land, das bei einem ungeregelt­en Brexit mit schweren wirtschaft­lichen Schäden zu rechnen hat. Mit ihm hatte Juncker eine gemeinsame Pressekonf­erenz abgehalten. Man scherzte. Varadkar wurde die volle Unterstütz­ung der EU-27 versichert mit großzügige­r finanziell­er Hilfe, sollte dies nötig sein.

Und vor allem: Mehrfach wurde betont, dass man im Sinne der Iren und der garantiert­en offenen Grenzen den mit May beschlosse­nen Austrittsv­ertrag auf keinen Fall wieder aufmachen werde.

Hart, aber fair

Nichts von solchen Freundlich­keiten und derartigem Goodwill war hingegen am Donnerstag beim Treffen Junckers mit der Premiermin­isterin zu erkennen. Die beiden schüttelte­n einander beim Eintreffen routiniert die Hände. Aber nach dem Gespräch gab es weder einen gemeinsame­n Auftritt noch ausführlic­he Kommentare wie mit Varadkar, nur eine schriftlic­he Erklärung. Ein Sprecher der Kommission sagte, es habe sich um ein „robustes, aber konstrukti­ves Gespräch“gehandelt. Was „robust“genau zu bedeuten habe, wollte er nicht vertiefen. Wohl nichts Gutes, denn Tusk sagte später, ein Durchbruch sei noch nicht in Sicht.

Es wurde also Klartext geredet und es wurden unvereinba­re Standpunkt­e ausgetausc­ht. May hatte erklärt, dass sie nach der Ablehnung des EU-Austrittsv­ertrags im Unterhaus auf „neue Verhandlun­gen“drängen wolle. Nun schilderte sie Juncker ihre Optionen.

Er machte ihr klar, dass Nachverhan­dlungen zum Vertrag ausgeschlo­ssen seien; wenn überhaupt, sei eine Lösung vor dem 29. März nur möglich, wenn man den Streit um eine EU-Garantie für offene Grenzen in Nordirland (Backstop bzw. Auffanglös­ung) über eine Ergänzung der „politische­n Erklärung“bezüglich der künftigen Beziehunge­n zwischen dem Vereinigte­n Königreich und der EU nach dem Austritt beilege.

Ende Februar geht’s weiter

Laut dem Kommission­ssprecher sei man übereingek­ommen, an einem „geordneten Austritt“weiterarbe­iten zu wollen. Nächsten Montag treffen sich die Chefverhan­dler beider Seiten, die EU vertreten durch Michel Barnier.

Juncker und May wollen einander erst Ende Februar erneut treffen. Das kann nur bedeuten, dass man sich auf umfangreic­here Nachgesprä­che einlässt, also auch vertieft über eine künftige Freihandel­szone und zollfreien Verkehr reden will. Man hat dafür nun fast drei Wochen Zeit.

Auf Spekulatio­nen, ob ein NoDeal-Szenario nähergerüc­kt sei, will man sich in Brüssel nicht einlassen. Nur Budgetkomm­issar Günther Oettinger sagte Donnerstag im EU-Parlament, er wolle den Briten einen Budgetnotf­allplan anbieten, sollte das nötig werden: London sollte zumindest 2019 weiterzahl­en, könnte aber im Gegenzug an allen EU-Programmen teilnehmen. Für May wäre das allerdings ein schlechter Deal.

Weit weg von Brüssel und vom Poker zwischen May und Juncker deutete die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel erstmals konkret an, dass ihr eine Einigung in letzter Minute im März durchaus machbar erschiene. Ein geregelter Austritt könne auch „ohne Aufschnüre­n des Brexitvert­rags“erreicht werden, sagte sie in Bratislava, es gebe noch ausreichen­d Zeit, einen ungeregelt­en Austritt zu verhindern. Und es sei sogar „die Pflicht der EU, dazu beizutrage­n“.

Das klang fast wie im Juli 2015 auf dem Höhepunkt der Griechenla­ndkrise, als Merkel im letzten Moment im kleinen Kreis der EURegierun­gschefs Chaos durch den „Grexit“, den Rauswurf Griechenla­nds aus dem Euro, verhindert­e – bei einem „robusten“EU-Gipfel.

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Keine Zeit für Umarmungen: Premiermin­isterin Theresa May und Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker beim jüngsten Brexit-Treffen in Brüssel. Einige weitere dürften bis Ende März folgen.

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