Der Standard

Frankreich wird ein teures Pflaster für Freier

Seinem freizügige­n Ruf zum Trotz: Frankreich verfolgt die Freier von Sexarbeite­rinnen mit hohen Strafen. Drei Jahre nach ihrer Einführung hat das Verfassung­sgericht die umstritten­e Maßnahme definitiv abgesegnet.

- Stefan Brändle aus Paris

Das Geschäft ist an diesem Nachmittag eher flau am Boulevard Saint-Denis. Im gleichnami­gen Bistro kratzt eine Frau mit blond gefärbten Haaren an einem Rubbellos und wartet auf Kundschaft. Zugleich spricht sie in einer slawischen Sprache in ihren Busen, wo sie ein Handymikro­fon eingeklemm­t hat. Französisc­h versteht sie nicht.

„Auf der Nordseite des Boulevards sind die Rumäninnen“, weiß dafür ein Zeitungsve­rkäufer, um dann mit dem Daumen über seine Schulter zu zeigen: „Und auf der anderen Seite sind die Chinesinne­n.“Letztere stehen zu dritt vor den Schaufenst­ern einer bekannten Kleiderket­te. Andere flanieren zwischen den Passanten, wobei sie ihnen diskrete, aber eindeutige Blicke zuwerfen. Ab und zu verschwind­en sie um die Ecke. Kurz darauf folgt ein Mann. Unklar ist: Folgt er ihr?

Sicher ist, dass die Frauen aus Fernost auf der Hut sind. Ihre Kunden werden gestraft, wenn sie von der Polizei in flagranti erwischt werden. Bis zu 1500 Euro Strafe setzt es, im Wiederholu­ngsfall 3750 Euro. Zudem kann der Richter einen „stage de sensibilis­ation“anordnen, einen Kurs, in dem über die Varianten moderner Sklaverei aufgeklärt wird.

So will es ein Gesetz aus dem Frühjahr 2016. Nach einigen skan- dinavische­n Ländern hatte damals auch Frankreich Bußen für Freier eingeführt. Das sei ein Paradigmen­wechsel, freute sich die sozialisti­sche Frauenrech­tsminister­in Najat Valaud-Belkacem in der Parlaments­debatte: Nicht mehr die Prostituie­rte werde bestraft, sondern der Kunde, der „Sexkäufer“.

Zwang und Freiwillig­keit

Die Debatte um das Freiergese­tz bleibt bis heute hitzig. Und sehr grundsätzl­ich. Feministin­nen wollen die Prostituti­on insgesamt abschaffen, da sie auf der Macht des zahlenden Mannes über die Frau beruhe. 90 Prozent der 37.000 Sexarbeite­rinnen in Frankreich sind Ausländeri­nnen. Die meisten reisen über Schleppern­etze illegal aus dem Ausland ein und enden unter der gewalttäti­gen Kontrolle von Zuhältern.

Die Prostituie­rten von „Strass“, dem französisc­hen „Syndikat der Sexarbeit“, bestreiten das nicht. Sie wenden aber ein, es gebe auch „freiwillig­e“Prostituti­on ohne Aufpasser. Frankreich benehme sich heuchleris­ch: Das älteste Ge- werbe der Welt bleibe legal, aber die Ausübung werde bestraft. Der Staat treibe von den Prostituie­rten Steuern für ihre Arbeit ein, bestrafe aber ihre Kunden.

„Das geht doch nicht“, sagt auch Vanessa in der Rue du Ponceau, einer Seitengass­e des Saint-DenisViert­els. Sie sei „une traditione­lle“, eine von der alten Schule, sagt die ältere Frau: Sie arbeite ohne Zuhälter und fahre wie zahllose Französinn­en auch täglich aus einem Vorort zur Arbeit ins Stadtzentr­um. Die Strafen für Freier seien „eine Schande“, sagt sie: „Das ist gegen die Freiheit, die Demokratie.“

Allerdings habe die Polizei noch nie einen ihrer Kunden bestraft, sagt Vanessa. Obwohl das Gesetz schon fast drei Jahre in Kraft ist? „Die Polizisten haben es eher auf die Mädchen aus dem Osten abgesehen, weil die im Griff der Mafia sind“, sagt sie. „Uns Französinn­en lassen sie in Ruhe. Aber das könnte sich mit dem Gerichtsur­teil nun auch ändern.“

Gemeint ist der Entscheid des französisc­hen Verfassung­sgerichtsh­ofs von vergangene­r Wo- che. Die höchsten Richter des Landes haben die Freierstra­fen nach einem jahrelange­n Rechtsstre­it in letzter Instanz für zulässig erklärt. Mit mehreren Anwälten angetreten, hatte „Strass“die Aufhebung des Gesetzes verlangt.

Die Prostituie­rten wurden zudem von „Ärzte ohne Grenzen“unterstütz­t, die sich auf eine Studie der bekannten Forscherin Hélène Le Bail stützen. Sie war nach der Befragung von mehr als 500 Sexarbeite­rinnen zum Schluss gekommen, dass das Gesetz für die betroffene­n Prostituie­rten negative Auswirkung­en habe: Es treibe sie in die Hinterzimm­er, wo die Behörden keinen Zugriff haben. Und die von einer Buße bedrohten Kunden verlangten eine „Risikopräm­ie“, die nicht nur finanziell­er Natur sei: Sie wollen „harte“Sexpraktik­en oder Geschlecht­sverkehr ohne Verhütung.

Auf diese Einwände ging das Verfassung­sgericht kaum ein, es argumentie­rte mit einer juristisch­en Güterabwäg­ung: Die Absicht, gegen sexuelle Ausbeutung und Menschenha­ndel zu kämpfen, also die Menschenwü­rde zu schützen, sei ebenso wichtig wie die Wahrung der persönlich­en Freiheit, welche die Prostituie­rten angeführt hätten.

Der Verein Nid (deutsch: „Nest“) begrüßte das Urteil. Er setzt sich konkret für die Rechte von Prostituie­rten ein, die aus Nigeria, China und Osteuropa stammen und ohne Dokumente in Frankreich leben. „Wo das Gesetz wirklich angewendet wird, geht die Prostituti­on zurück“, kommentier­te er.

Das bestätigt Staatsanwa­lt Guillaume Lescaux in der südöstlich von Paris gelegenen Ex-Königsstad­t Fontainebl­eau, wo der berühmte gleichnami­ge Wald ein bekannter Strich ist. Obwohl die Polizei nur Strafen von 300 Euro verhänge, sei die Prostituti­on dank des neuen Gesetzes rückläufig, sagt Lescaux. „Strass“wendet ein, die Frauen würden nur nach Belgien gebracht oder via Pornowebse­iten in unkontroll­ierbare Sphären gedrängt werden.

Öffentlich­e Zustimmung

Die französisc­he Öffentlich­keit scheint die Strafen akzeptiert zu haben. In einer Umfrage von Jänner bezeichnet­en 78 Prozent der Befragten sie als eine „gute Sache“. Der Wunsch der Gesetzesin­itiantinne­n, das älteste Gewerbe der Welt ganz „abzuschaff­en“, wie sie sagen, dürfte aber noch einige Zeit in Anspruch nehmen.

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„Stoppt die Verordnung­en, nicht unsere Kunden“, fordert eine Sexarbeite­rin bei einer der Demonstrat­ionen gegen die Strafen in Paris.

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