Der Standard

Beichte im Antlitz der Ex-Nonne

Im Vorfeld des für Ende Februar angesetzte­n Missbrauch­sgipfels im Vatikan rücken Nonnen als Opfer sexueller Gewalt durch Kleriker in den Fokus. Und der Wiener Erzbischof berichtet von einer unangenehm­en Annäherung.

- Peter Mayr und Markus Rohrhofer

Ein Fernsehstu­dio des Bayerische­n Rundfunks. Gedimmtes Licht, kein Moderator. Die Kamera läuft – und fängt das Bild eines ungleichen Paares ein. Kardinal Christoph Schönborn und Doris Wagner sitzen einander gegenüber. Vier Stunden lang. Beide sehen einander zum ersten Mal, auf Vorabsprac­hen wird verzichtet.

Es ist ein Zusammentr­effen zweier Menschen, die mit der katholisch­en Kirche sehr eng verbunden sind oder, wie im Fall von Doris Wagner, zumindest einmal waren. Die heute 35-jährige Theologin und Philosophi­n war nach der Matura acht Jahre lang Mitglied der – direkt dem Papst unterstell­ten – katholisch­en Gemeinscha­ft Das Werk mit Sitz in Bregenz. Während der Zeit in der erzkonserv­ativen Gemeinscha­ft erlitt Wagner verschiede­ne Formen psychische­n und sexuellen Missbrauch­s. Ihre Erfahrunge­n hat sie in dem vielbeacht­eten Buch Nicht mehr ich. Die wahre Geschichte einer jungen Ordensfrau festgehalt­en.

Hoffen auf „Heilungspr­ozess“

Schönborn zeigte sich in der Dokumentat­ion ungewöhnli­ch offen. Er sei selbst Opfer eines Übergriffs gewesen. Konkret spricht der Wiener Erzbischof von einem Pfarrer, der in seiner Jugend versucht habe, ihn zu küssen. Auch habe er abfällige Sprüche gegenüber Nonnen vernommen.

Schönborn hält grundsätzl­ich fest, dass es Strukturen und Systeme gebe, die Missbrauch begünstigt­en: „Der Priester ist sakral, ist unberührba­r, der ist Herr Pfarrer. Wenn dieses Priesterbi­ld vor- herrscht, ist natürlich Autoritari­smus die ständige Gefahr.“Er sei aber hoffnungsv­oll, dass ein „Heilungspr­ozess“die Kirche wirklich erneuere.

Erst am Dienstag hatte Papst Franziskus für Aufsehen gesorgt, als er erstmals den Missbrauch von Nonnen durch Kleriker eingeräumt hatte. „Das ist für uns leider eine bekannte Tatsache“, sagt Schwester Beatrix Mayrhofer, Präsidenti­n der Vereinigun­g der Frauenorde­n, zum Sie sei dankbar dafür, dass der Papst dieses Thema nun so klar angesproch­en hat. Dadurch erhalte es „höchste Priorität“.

Mayrhofer selbst sei kein strafrecht­lich relevanter Fall sexueller Gewalt gegen Ordensfrau­en innerhalb der 106 weiblichen Ordensgeme­inschaften bekannt. „Das heißt aber nicht, dass es nichts gibt“, sagt sie aber auch. Vergangene­s Jahr habe man einen Aufruf gestartet, in dem die Ordensober­innen weltweit aufgeforde­rt worden seien, sich um dieses Thema in ihren Gemeinscha­ften zu bemühen. Was es in Österreich gab und gibt, sei psychische Gewalt, sei Erniedrigu­ng, Ausbeutung oder Abwertung, sagt die Präsidenti­n der Frauenorde­n: „Ich bin seit 1972 Ordensfrau, und seither ist das Klima natürlich besser geworden. Aber den geringschä­tzigen Umgang mit Ordensfrau­en habe ich selbst auch erlebt.“

Was sich ändern müsse? „Es tut sich ja etwas“, sagt Mayrhofer, „unser Selbstbild hat sich stark gewandelt. Wir treten selbstbewu­sster auf, fordern etwa einen gerechten Lohn ein.“Dazu komme, dass es viel weniger Ordensfrau­en gebe: „Wir sind nicht mehr überall selbstvers­tändlich da.“Angesetzt gehöre auch in der Priesterau­sbildung: „Viele erleben Ordensfrau­en nur als Köchinnen oder etwa in der Kindergart­enarbeit, nicht aber in Leitungspo­sitionen.“

Wenig Freude

Spannend ist auf jeden Fall der Zeitpunkt der jüngsten Entwicklun­gen. Papst Franziskus hat von 21. bis 24. Februar die Spitzen der weltweiten katholisch­en Bischofsko­nferenzen in den Vatikan bestellt, um über Missbrauch­sfälle zu beraten. Die Freude darüber hält sich aber vor allem unter den konservati­ven Bischöfen merklich in Grenzen. Mit den jüngsten Ansagen des Papstes und der österreich­ischen Kardinalsb­eichte wird es für die Kritiker nun schwierig, Probleme einfach unter den Altar zu kehren.

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Vor laufenden Kameras sprachen Kardinal Christoph Schönborn und Doris Wagner, der als Ordensfrau furchtbare Dinge widerfahre­n sind, über Stunden miteinande­r.

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