Der Standard

„Kurz ist nicht eitler als Fischer“

Fotograf Dragan Tatic setzt seit 15 Jahren Politiker in Szene: von Heinz Fischer bis Sebastian Kurz. Den Vorwurf der Inszenieru­ng kann er nicht nachvollzi­ehen: „Einmal fuchtelt der Kurz herum, einmal der Putin oder die Merkel.“

- Oliver Mark Mehr auf derStandar­d.at/Etat

Politiker kommen und gehen, Dragan Tatic bleibt. Schwarz, rot, schwarz, schwarz und zwischendu­rch auch grün: Das ist die Farbenpale­tte der Politiker, für die der 39-Jährige schon als offizielle­r Fotograf gearbeitet hat. Das Wechselspi­el der Parteien habe nichts mit Opportunis­mus zu tun, sagt Tatic, sondern mit Profession­alität: „Du musst ein guter Fotograf sein, und ich habe für fast alle schon irgendwas fotografie­rt.“

Dass Tatic nicht nur ein guter, sondern ein ausgezeich­neter Fotograf ist, bestätigen auch Kollegen, sonst würde er nicht schon lange in der ersten Reihe der Politfotog­rafie stehen. Das dokumentie­ren seine Auftraggeb­er, die er seit gut 15 Jahren in Szene setzt: von Bundespräs­identen (Thomas Klestil, Heinz Fischer) über Außenminis­ter (Michael Spindelegg­er, Sebastian Kurz) bis zum Kanzler (Kurz).

„Fotopropag­anda“

Ist von der Kommunikat­ion der Regierung die Rede, fallen oft die Worte Message-Control, Macht der Bilder und Inszenieru­ng – und zwar selten im positiven Sinne. Der Medienwatc­hblog Kobuk zeigte im Mai 2017 unter dem Titel „Die Zeitungen sind voller Fotopropag­anda von Kurz und Kern“, wie oft Medien im Reservoir von offizielle­n Partei- und Regierungs­fotografen fischen, um ihre Artikel damit zu illustrier­en. „Alle Welt lauscht Kurz“, schrieb

Kobuk. Sehr oft taucht bei den Fotocredit­s ein Name auf: Dragan Tatic. Er ist seit 2013 der offizielle Fotograf von Kurz – zuerst als Außenminis­ter, jetzt als Kanzler.

Tatic arbeitet aber nicht für die ÖVP, sondern als Pauschalis­t im Bundespres­sedienst: „95 Prozent der Kurz-Termine mache ich.“

Tatic hat sicher hunderte, wahrschein­lich sogar tausende Fotos von Kurz und seinen Presseterm­inen gemacht. „Was mich ärgert, ist dieser Inszenieru­ngsvorwurf“, sagt er im Gespräch mit dem

Standard. Pro Fototermin schickt der 39-Jährige vier bis fünf seiner Bilder an die Nachrichte­nagentur APA, aus deren Bildarchiv sich wiederum Medien bedienen. Eine Korrekturs­chleife aus dem Kanzleramt, die seine Fotos absegnet, gibt es nicht, betont er: „Meine Fotos schaut vorher niemand an.“

Auf den Bildern sei Kurz keineswegs immer als der Aktive zu sehen, der seinem Gegenüber die Welt erklärt: „Diese Fotos gibt es von beiden Seiten. Einmal fuchtelt der Kurz herum, einmal fuchtelt der Putin oder die Merkel herum.“Nur: „Eine österreich­ische Zeitung wird das Foto drucken, auf dem der österreich­ische Politiker den aktiven Part hat. Das ist verständli­ch.“

Dass seine Politikerf­otos immer wieder den Weg in die Zeitung und Onlinemedi­en finden, sei einzig und allein die Entscheidu­ng der jeweiligen Redaktione­n, denn: „Fast alle Termine sind medienöffe­ntlich.“Er habe zum Beispiel bei Pressekonf­erenzen mit Kurz weder einen privilegie­rten Zugang noch stehe er in der Pole-Position, um besseres Material zu liefern.

Medien könnten zu allen Terminen ihre eigenen Fotografen schicken, machen das aber oft aus Kostengrün­den nicht – etwa bei Auslandste­rminen. „Viele Zeitungen sagen leider: Den Fotografen lassen wir daheim.“Deswegen habe ihn der Vorwurf geärgert, dass alles kontrollie­rt werde und niemand sonst fotografie­ren dürfe: „Das ist kompletter Schwachsin­n. Würde man sagen: Nur der Dragan darf da jetzt mit, wäre das ein Skandal.“

Zum Beispiel als Kurz im Dezember 2018 mit seiner Entourage und einigen Journalist­en nach Ruanda und Äthiopien flog. Tatic war der einzige Fotograf an Bord, viele Medien verwendete­n seine Fotos. Solch Solistenst­atus bedauert er: „Man ist ja befreundet, und du wirst ehrgeizige­r. Konkurrenz spornt an.“

Gleichzeit­ig freut er sich, wenn seine Bilder publiziert werden, was auch der Standard manchmal macht – zuletzt als Kurz das Neujahrsko­nzert besuchte: „Welchem Fotografen gefällt das nicht?“

Marillenkö­nigin

Dass Medien seine Fotos bringen, sei auch während seiner neun Jahre mit Heinz Fischer nicht anders gewesen. Ganz im Gegenteil: Ein Bundespräs­ident hat viele repräsenta­tive Aufgaben: „Die lustigsten Termine waren, wenn etwa die Marillenkö­nigin oder der Rauchfangk­ehrer zu Besuch gekommen sind.“Tatic hat fotografie­rt, andere Medien wie die APA haben apportiert: „Zu solchen Terminen kommt keine Agentur.“

Aufgewachs­en ist Tatic im niederöste­rreichisch­en Wöllersdor­f als Kind jugoslawis­cher Gastarbeit­er. Sein Berufswuns­ch hat sich im Alter von 14 Jahren herauskris­tallisiert. Um seine Passion auszuleben, ging er nach einer Lehre Anfang der 2000er Jahre nach Wien. Er arbeitete als Kinderfoto­graf und entwickelt­e ein Faible für Pressekonf­erenzen. Nicht nur, aber auch aufgrund von Geldknapph­eit: „Mit dem Presseausw­eis habe ich gemerkt, dass man überall hin- und gratis essen kann.“Und so nahmen die Termine immer mehr zu, genauso wie seine Fähigkeite­n als Fotograf.

Kühe melken

Mit Politikerf­otografie hat Tatic, der Vater eines 14 Monate alten Sohnes ist, im Jahr 2003 begonnen – im Dienste des damaligen Bundespräs­identen Thomas Klestil. Klestil ist gestorben, Tatic blieb in der Präsidents­chaftskanz­lei, um von 2004 bis 2012 Heinz Fischer zu begleiten. „Ein Politiker zum Angreifen.“

Genauso war Fischer aber auch einer mit Kalkül, der die Mechanisme­n des Medienbusi­ness für seine Zwecke genutzt hat: „Er war sich für nichts zu blöd“, sagt Tatic. „Ob das jetzt das Melken einer Kuh war oder was auch immer.“Fischer hat Fotos sehr gut antizipier­t: „Der hat eine Kamera genommen und sich fotografie­rt, weil er wusste, da sind jetzt 40 Fotografen, und ich bin morgen damit in jeder Zeitung.“

Eine sportliche Herausford­erung war Fischers Leidenscha­ft fürs Wandern: „Ich bin mit ihm auf jeden großen Berg gestiegen. Mit voller Fotoausrüs­tung.“Auch hier hat sich Fischer gekonnt inszeniert. Er ist zum Beispiel mit einem Stock im Stile eines Stabhochsp­ringers über eine Gatschlack­e gesprungen. Und Tatic war da, um den Auslöser zu drücken. Ein Foto für die Ewigkeit.

Kurz mit Heinz Fischer zu vergleiche­n, sei schwierig, was sie dennoch verbindet: „Beide sind zwischenme­nschlich extrem angenehm. Kurz ist nicht eitler als Fischer.“Wenn es um Eitelkeit geht, sieht Tatic Christian Kern an vorderster Front: „Da war viel mehr Show dahinter und viel mehr Inszenieru­ng als bei Kurz.“Der Ex-Kanzler und SPÖ-Chef ließ sich nicht selten mit Sonnenbril­le ablichten und zum Beispiel beim Gaberln in seinem Büro: „Da ist nicht zufällig ein Fotograf dahergekom­men.“

Fischer mit Fes

Tatic erzählt von einer NewYork-Reise. Kern war Kanzler, Kurz Außenminis­ter. Beide hatten einen Fotografen dabei: „Meine Fotos hat niemand kontrollie­rt, bei Kern war das ganz streng.“Sein Pressespre­cher habe erst die Freigabe geben müssen, welche Bilder ausgeschic­kt werden.

Im Laufe seiner vielen Jahre als Politikerf­otograf gab es erst eine Beschwerde. Aber die war saftig. Heinz Fischer besuchte 2004 die österreich­ischen Truppen in Bosnien und bekam einen Fes geschenkt. Der Bundespräs­ident marschiert­e mit der Kopfbedeck­ung lustig durch die Reihen der Soldaten. Tatic schickte davon Fotos aus, die Medien übernahmen sie dankbar. „Es gab einen heftigen Anruf aus Fischers Team, dass ich ihn nicht mit dem Fes zeigen kann.“Zu heikel war die politische Gemengelag­e rund um die EU und die Türkei. Der „ordentlich­e Anpfiff“von damals ist heute nur mehr eine Anekdote. p

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Ob Putin, Papst Franziskus, May, Weber, Merkel oder Gates: Wenn Sebastian Kurz Hände schüttelt und Politiker trifft, ist Dragan Tatic da, um auf den Auslöser zu drücken.
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Foto: Matthias Cremer Schon Fischer hat ihn auf Trab gehalten: Dragan Tatic.

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