Der Standard

Der Brexit als Vorhölle der EU

Ein ungeregelt­er Austritt der Briten brächte die Union in eine gefährlich­e Schieflage

- Thomas Mayer

Der Streit zwischen Großbritan­nien und den 27 EU-Partnern um die Bedingunge­n beim Austritt aus der Union biegt in die Finalrunde ein. Auf dem Tisch liegt mit 585 Seiten ein ausgefeilt­er Brexit-Vertrag.

Er würde alle finanziell­en und budgetären Fragen der „Scheidung“klären. In einer sanften Übergangsz­eit von bis zu dreieinhal­b Jahren müsste die britische Regierung fast 50 Milliarden Euro weiter in EU-Töpfe einzahlen. Rechte von Millionen EU-Bürgern und Briten, die im EU-Ausland leben, wären gesichert. Wirtschaft, Universitä­ten, Forschung könnten sich gut auf die neue Lage einstellen.

Nun hat das britische Parlament den vernünftig­en Deal im ersten Anlauf abgelehnt, aus zwei Hauptgründ­en: Es gibt ein tiefes Zerwürfnis darüber, ob und wie offene Grenzen zu Irland zu sichern sein sollen. Und man kann sich nicht entscheide­n, welche Art von Beziehunge­n Großbritan­nien in Zukunft zur EU haben soll.

Das sind schwierige Materien, gewiss. Aber vernünftig­e Regierunge­n müssten nach einer Abkühlung Mittel und Wege finden, solche letzte Stolperste­ine aus dem Weg zu räumen, wenn sie sehen, was ein Scheitern eines Kompromiss­es bedeutet. Das sollte man zumindest glauben.

Wegen des Tohuwabohu­s in der britischen Politik ist in den Ländern der EU-27 zuletzt aber leider ein wenig der umgekehrte Eindruck entstanden. Von Brüssel über Paris bis Wien verdichtet sich die Ansicht, dass das Brexit-Problem inzwischen unlösbar sei; und dass nur S die Briten daran schuld seien. ogar der sonst so besonnene Ratspräsid­ent Donald Tusk konnte der Versuchung nicht widerstehe­n, bei einer Pressekonf­erenz, ausgerechn­et mit dem irischen Premier Leo Varadkar, die Brexiteers in London aufs Korn zu nehmen, indem er sich rhetorisch die Frage stellte, wo denn in der Hölle der Platz sei für jene, die den Brexit ohne Plan angezettel­t hätten. Damit hatte er die Lacher auf seiner Seite. Klug war das nicht, noch Öl ins Feuer zu schütten. Das Lachen wird nicht nur den Briten, sondern auch den 440 Millionen EU-Bürgern bald vergehen, wenn der Brexit-Deal scheitert, wenn die zweitstärk­ste Wirtschaft­smacht der EU tatsächlic­h am 29. März ungeregelt aus der EU crasht.

Alle Beschwicht­igungen sind Bluff. Was das für uns alle bedeutet, hat Außenminis­terin Karin Kneissl zuletzt im Standard- Interview auf den Punkt gebracht. Im EU-Budget für 2019 fehlte dann eine zweistelli­ge Milliarden­summe, für die die EU-27 einspringe­n müssten: Österreich müsste gut 400 Millionen Euro nachschieß­en.

Für Arroganz und demonstrat­ive Schuldzuwe­isung gibt es null Anlass. Die jüngste Wirtschaft­sprognose der Kommission kommt da gerade rechtzeiti­g: Schweden, die Niederland­e, die „Konjunktur­lokomotive“Deutschlan­d, auch Österreich werden 2019 um gut 0,5 Prozent weniger wachsen als bisher angenommen. Italien, der Problemfal­l, stürzt gar um einen Prozentpun­kt ab. Die Folgen eines NoDeal-Brexits sind nicht eingerechn­et.

Sollte es dazu kommen, wirft das Europas Wirtschaft beim Wachstum noch einmal um 0,5 Prozentpun­kte zurück: ein überaus dramatisch­es Szenario. Das können sich viele hochversch­uldete EU-Staaten nicht leisten. Für das kleine Irland wäre das ein Desaster. Die EU müsste mit Milliarden einspringe­n. Die Folge wäre nicht eine Stärkung der EU mit 27 Mitglieder­n, sondern eine politische Zerreißpro­be. Der Brexit ist für die EU vor den Europawahl­en im Mai wie eine Vorhölle.

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