Schau’ ma amal, dann wern ma seh’n
Vor lauter Prognosen, Hoffnungen und Erwartungen werden viele Menschen ganz nervös, wenn sie sich mit der Zukunft beschäftigen. Dabei wäre es hilfreich, mit Fakten, einem genauen Blick auf die Vergangenheit und vor allem Entspannung an die Sache heranzugehen.
Lord, we know what we are, but we know not what we may be. William Shakespeare, „Hamlet“, 4. Akt, 5. Szene, Ophelia zu Claudius
Den einen ist sie eine Verheißung, gleißend hell und wohltemperiert. Die anderen fürchten eiskalte Finsternis und den todsicheren Untergang. Zwischen diesen beiden Extremen hält sich im weiten Feld des Ungefähren, Unwägbaren und Unvorhersehbaren eine Zukunft bereit. Sie wird in Kürze auf uns zukommen, das wissen wir sicher. Sie wird real und wahrnehmbar werden. Aber eben erst demnächst. Bis auf weiteres also lässt sich die Zukunft bloß imaginieren und nicht antizipieren – schlechterdings oder zum Glück, je nachdem.
Dabei ist es ja nicht so, dass die Menschen es im Laufe der Jahrtausende nicht versucht hätten. Wie die Verzagtheit ist auch die Neugier ein verführerisches Luder. Seher stocherten in Gedärmen von Opfertieren und lasen Lebern. Bei gutem Omen orakelte die von Ethylendämpfen benebelte Pythia in Delphi und gab dabei Rätsel auf. Hexen warfen geritzte Runen und lasen daraus Handlungsanleitungen für das, was kommen mochte. In möglichst verschlüsselter Weise beschrieben geschäftstüchtige Handleser und Wahrsager die Zukunft, um in den für die geneigte und zahlende Kundschaft überschaubaren Zeiträumen nicht allzu weit daneben zu liegen. Alles andere wäre für sie zweifellos zu einer leicht vorhersehbaren und schnell zu gewärtigen Gefahr für Leib und Leben geworden.
Wissen und Glauben
Zum Verlangen der Menschen nach Erleuchtung durch das Magische kam später das Bedürfnis dazu, die Dinge doch etwas zu versachlichen. Eine gewisse wissenschaftlichen Systematik zog ein. Manche mochten bereits in der Antike mit Platon zwischen Wissen und Glauben unterschieden haben. Nun aber wurde aus der Weissagung allmählich eine Prognose – der musste man zwar weiterhin auch Glauben schenken, über deren genaue Entstehung galt es jetzt aber doch Bescheid zu wissen.
Über Qualität und tatsächliche Aussagekraft solcher wissenschaftlich fundierter Vorausschau lässt sich bis zum heutigen Tag durchaus streiten. Insbesondere dann, wenn volldampfplaudernde „Futurologen“aus der Gegenwart extrapolieren und daraus linear „(Mega-)Trends“für die Zukunft konstruieren. Die einzige wissenschaftlich erstellte Prognose unterdessen, der auch die meisten ausgemachten Skeptiker zu glauben gewillt sind, ist jene über das Wetter. Denn diese Gleichung hat „nur“sieben Unbekannte und eine relativ hohe Treffsicherheit – immerhin über den Zeitraum von drei Tagen im Voraus.
Das ist gewiss nicht viel, aber mehr kann der wissenschaftlich geleitete Spekulant für seine weiße Wäsche nicht tun. Die Zukunft war früher auch besser. Karl Valentin, Humorist, verstorben 1948, deshalb dieser Tage wehrlos
Unter diesen Umständen ist es nicht besonders einfach für die Menschen, sich vernünftig zur Zukunft zu verhalten. Und weil die meisten ihrem Naturell gemäß optimistische oder pessimistische Erwartungshaltungen hegen, teilen sie sich grob in ver- zückte Jünger eines naiv technikbegeisterten Fortschrittsglaubens ein und hasenherzigen Kassandren, die sich kaum noch vor die Tür trauen vor lauter Betrübnis und Zukunftsangst. Schönfärber oder Schwarzmaler – „Lord, we know what we are“.
Depressiver Lustschauer
In Zeiten des beschleunigten Wandels, also den unseren, überwiegen Letztere in Zahl und Lautstärke. Verzagtheit greift um sich. Und sie geht oft, befeuert von Verlustängsten, fließend ins schiere Ressentiment über. Technik, Innovation, Wachstum, ja die ganze Menschheit seien abgrundtief verdorben und mit Sicherheit verloren – das wird gern im Lustschauer einer hinreißend bequemen Verstimmtheit ins iPhone getippt und gleich auch der ganzen Welt mitgeteilt.
Dass eine solche Zukunftsvergessenheit wahrscheinlich mit unzureichender Kenntnis der Vergangenheit und jedenfalls mit mangelhaftem Faktenwissen zu tun hat, dämmert inzwischen aber doch einigen. Auch weil sich einiges an Literatur zum Thema angesammelt hat: Der 2017 verstorbene schwedische Statistiker und Arzt Hans Rosling hat mit dem Bestseller Factfulness den Anfang gemacht. Seine Schwiegertochter Anna und sein Sohn Ola, beide Co-Autoren vom Factfulness, führen Roslings Aufklärungswerk fort und stoßen dabei nicht selten auf unerwartete Schwierigkeiten. Denn: „Bildung allein garantiert keine faktenbasierte Weltsicht, im Gegenteil. Wer sich eingehend mit den globalen Problemen beschäftigt, der hält sie irgendwann für allgegenwärtig. Der Kopf ist einfach voll davon“, sagte Ola Rosling unlängst in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel.
Der Psychologieprofessor und Kognitionswissenschafter Steven Pinker schlägt in eine ähnliche Kerbe. Vor einem Jahr hat er in den USA Aufklärung jetzt: Für Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt. Eine Verteidigung
auf den Markt gebracht, im Herbst ist seine vehemente Kritik an Kulturpessimismus und Weltuntergangsfantasien auf Deutsch erschienen. Größen wie Bill Gates haben eine Leseempfehlung dafür abgegeben.
Der deutsche Ökonom Max Roser leistet an der University of Oxford mit ourworldindata.org Auf-