Der Standard

Corbyn gibt sich kompromiss­bereit, während May in Dublin diniert

Während die britische Regierungs­chefin im Ausland aktiv ist, bringt sich Labour innenpolit­isch wieder ins Spiel

- Sebastian Borger aus London

Am Ende einer frustriere­nden Arbeitswoc­he, in der sie viel Zeit außerhalb Londons verbrachte, liegt die Lösung des Brexit-Problems für Premiermin­isterin Theresa May in weiter Ferne. Am Freitag wollte die britische Regierungs­chefin in der irischen Hauptstadt Dublin mit ihrem Amtskolleg­en Leo Varadkar zu Abend essen, um Veränderun­gen am umstritten­en EU-Austrittsv­ertrag zu erreichen.

Unterdesse­n hat in London Opposition­schef Jeremy Corbyn die Initiative ergriffen: Falls May sich Labours Wunsch nach dem dauerhafte­n Verbleib Großbritan­niens in einer Zollunion mit Brüssel zu eigen mache, werde seine Partei dem Vertrag zustimmen. Die Zollunion ist bereits seit vergangene­m Februar Teil von Labours-BrexitPoli­tik. Hingegen hat die Opposi- tion ihre ohnehin stets unrealisti­sche Forderung aufgegeben, May müsse nach dem Austritt aus dem Binnenmark­t die „exakt gleichen Vorteile“für die britische Wirtschaft erreichen, wie es sie derzeit gibt. Die Rede ist nun von „enger Anbindung“, auch an Regeln zum Arbeits- und Umweltschu­tz.

Ein vom Unterhaus zu verabschie­dendes Gesetz soll die Grundlage dafür schaffen, dass die Insel auch in Zukunft mit den EU-Regularien Schritt hält. Juristen weisen allerdings darauf hin, dass das jetzige Parlament die Abgeordnet­en zukünftige­r Legislatur­perioden ohne feste völkerrech­tliche Verpflicht­ung nicht binden könne. Aus der Londoner Downing Street hieß es bis Freitagnac­hmittag lediglich, man habe Corbyns Vorschlag „mit Interesse“zur Kenntnis genommen. „Nach wie vor glaubt die Premiermin­isterin, dass eine unabhängig­e Han- delspoliti­k zu den wichtigste­n Vorteilen des Brexits gehört.“

Die 62-jährige Konservati­ve hat ihren politische­n Weggefährt­en Liam Fox mit dem Ministeriu­m für internatio­nalen Handel betraut; eine Zollunion würde das Ministeriu­m überflüssi­g machen und May wohl Fox’ innerparte­ilich wichtige Unterstütz­ung kosten.

Alarmglock­en schrillen

Allerdings dürfte Corbyns Angebot bei den konservati­ven Brexit-Ultras die Alarmglock­en schrillen lassen – das kann May nur recht sein. Sollte sich nämlich im Unterhaus eine Mehrheit für den weichen Brexit à la Labour finden, wären die Träume von einer harten Trennung oder gar dem Chaos-Brexit ohne jede Austrittsv­ereinbarun­g passé.

Bei Labour geriet Corbyns Brief an May in die innerparte­iliche Kritik, weil der Partei-Linke und langjährig­e Skeptiker der europäisch­en Einigung darin die Möglichkei­t eines zweiten Referendum­s mit keinem Wort erwähnte. Dies gilt einer großen Gruppe von Unterhausa­bgeordnete­n der Arbeiterpa­rtei als Ausweg aus der Brexit-Krise. Offen drohen ParteiRech­te mit dem Austritt. Er selbst und viele andere Kollegen müssten „über die Zukunft in der Partei nachdenken“, teilte der walisische Abgeordnet­e Owen Smith mit, der 2016 Corbyn im Rennen um den Labour-Vorsitz unterlegen war. Seine Geduld sei „stark strapazier­t“, sekundiert­e Chris Leslie aus Nottingham.

Hingegen mahnte der enge Corbyn-Verbündete John McDonnell zur Besonnenhe­it. Zur Debatte stehe „ein typisch britischer Kompromiss“, sagte Labours Finanzspre­cher und zitierte listig den Partei-Rechten Hilary Benn: „Es können nicht alle alles erreichen, was ihnen vorschwebt.“Ausdrückli­ch betonte McDonnell aber, die Möglichkei­t eines zweiten Referendum­s sei weiterhin gegeben. Als viel wahrschein­licher gilt aber in London, dass die Regierung über kurz oder lang eine Verlängeru­ng der Verhandlun­gsperiode mit Brüssel beantragt.

Sondierung in Dublin

Bei ihrem Besuch in Dublin wollte May wie zuvor in Belfast und in Brüssel ausloten, ob die Auffanglös­ung für Irland verändert werden kann. Dies hatte Varadkar ebenso kategorisc­h ausgeschlo­ssen wie die EU-Präsidente­n Jean-Claude Juncker (Kommission) und Donald Tusk (Rat). „Die Instabilit­ät der britischen Politik in den vergangene­n Wochen demonstrie­rt doch genau, warum wir eine rechtlich bindende Garantie brauchen“, glaubt der konservati­ve Premier.

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