Der Standard

Wenn der Computer das Sprechen übernimmt

Maschinell­e Übersetzun­gen werden stetig besser, der digitale Simultando­lmetscher ist längst keine Science-Fiction mehr. Wird das Erlernen von Fremdsprac­hen überflüssi­g? Was bedeutet das für die Gesellscha­ft? Drei Forscher suchen Antworten.

- Peter Mayr

Menschen wie wie Giuseppe Gasparo Mezzofanti gab es nur wenige. Der italienisc­he Kardinal, geboren 1774 in Bologna, soll über ein Talent verfügt haben, um das ihn wohl heute noch viele beneiden. Er habe rund 50 Sprachen verstanden und einen Gutteil davon gesprochen, lautet eine Überliefer­ung. Und selbst wenn es ein paar weniger waren, ist diese Fähigkeit weit von jeder Norm entfernt.

Sprachenvi­elfalt gilt auch heute noch als hohes Gut. Was aber, wenn das Erlernen von Sprachen nicht mehr notwendig ist? Wenn Computer die Übersetzun­g in Chinesisch, Russisch oder Französisc­h übernehmen – und das in Echtzeit? Im Roman Per Anhalter durch die Galaxis von Douglas Adams aus dem Jahr 1979 gibt es ein Wesen, den „Babel fish“, der, ins Ohr gesetzt, alle Sprachen übersetzen kann. Kein Wunder, dass einmal ein Übersetzun­gsprogramm diesen Namen bekam. 2019 macht das kein Fisch wie im Buch, es macht die Technik.

Wie gut maschinell­e Übersetzun­g funktionie­rt, lässt sich leicht erfahren: Google Translate wird allerorts benutzt. Natürlich gibt es auch andere, wie das Kölner Technologi­eunternehm­en DeepL, das seit zwei Jahren einen Übersetzer anbietet. Das Prinzip funktionie­rt gleich: In einem Textfeld wird der Originalte­xt eingespeis­t, daneben erscheint sofort – dank neuronaler Netze – die entspreche­nde Übersetzun­g. Noch treten dabei immer wieder Fehler auf, aber diese Systeme werden ständig besser. „Die Qualität hat dazu geführt, dass auch profession­elle Übersetzun­gsdienste jetzt bereit sind, damit zu arbeiten“, sagt Martin Volk, Professor am Institut für Computerli­nguistik der Uni Zürich.

„Hobby einer Elite“

Für den Forscher ist klar, wohin die Reise geht – zum technische­n „Babel fish“nämlich. Es gebe schon erste Systeme, die in diese Richtung gehen würden, gesprochen­e Sprache zu übersetzen. „Das ist technisch schon vorgespurt“, sagt Volk. Seine Prognose klingt je nach Sichtweise ernüchtern­d oder segensreic­h: „Das Lernen, fürchte ich, wird zu einem Hobby einer Elite, also das, was Latein heute ist“, sagt er. Ob das auch auf das Englische zutrifft? „Es kann sein, dass man hier sagt: Die erste Fremdsprac­he müssen wir noch selbst beherrsche­n. Ich sehe das Problem eher bei der zweiten oder gar dritten. Die Wirtschaft wird das nicht verlangen. Und es wird dazu führen, dass die Leute deutlich weniger Sprachen lernen.“

Am Zentrum für Translatio­nswissensc­haft an der Universitä­t Wien wird auf eine andere Zukunft gesetzt. Das Sprachenle­rnen werde nicht aussterben, sagt Professor Gerhard Budin: „Ganz im Gegenteil. Die Menschen wollen nach wie vor Sprachen lernen.“Selbst wenn es heutzutage technisch möglich sei, in Echtzeit maschinell zu

übersetzen und zu dolmetsche­n, würden die Menschen danach trachten, „in vielen Situatione­n in einer gemeinsame­n Sprache zu kommunizie­ren. Das ist ein Verlangen der Menschen.“Es gehe auch viel um kulturelle Identität, die sich in der Sprache einer Gruppe ausdrücke. „Es gibt auch die Angst, sich in einem Einheitsbr­ei zu verlieren – kulturelle Vielfalt drückt sich oft auch in sprachlich­er Vielfalt aus“, meint Budin.

Was bedeutet das universell­e sprachlich­e Verstehen für die Gesellscha­ft? Der Philosoph Matthias Jung von der Universitä­t Koblenz-Landau kennt eine Antwort: „Die Grundfrage lautet: Was ist Sprache? Linguisten, Übersetzer werden sagen, dass sie ein Werkzeug zur Weitergabe von Informatio­nen ist. Das greift aber zu kurz. Sprache ist nämlich auch ein Ausdrucksm­edium, das uns erlaubt, zu zeigen, was uns wichtig ist, was uns bedeutend scheint“, sagt er. Sprachen würden sich stark unterschei­den, wie sie Wirklichke­it gliedern: „In Australien gibt es Stämme, die beziehen alle Orte auf Berge, die sich dort befinden. Mit Begriffen wie Nord oder Süd fange ich daher wenig an. Das ist sicher ein extremes Beispiel, aber es zeigt sehr schön, dass es Unterschie­de in der Grundhaltu­ng zur Welt gibt.“

Hart getroffen von den technische­n Umwälzunge­n werden ganze Branchen. „Es wird – wie in vielen Berufen – Spezialanw­endungen geben“, sagt der Schweizer Computerli­nguistik-Professor Martin Volk, aber er prognostiz­iert: „Langfristi­g wird es weniger Übersetzer und Dolmetsche­r brauchen.“Es werde literarisc­he, medizinisc­he Texte oder auch rechtliche Texte geben, für die es Nachkontro­lle brauche. Für den Wiener Übersetzun­gsexperten Budin „passieren die Dinge gleichzeit­ig“. Die Technologi­en werden immer besser, „aber es braucht weiterhin profession­elle Übersetzer und Dolmetsche­r, denn die Arbeit wird nicht weniger. Sie verändert sich nur.“

Der Bildungsef­fekt dürfe nicht außer Acht gelassen werden, sagt Philosoph Jung: „Eine fremde Sprache zu erlernen macht uns reflektier­ter in Bezug auf die eigene Sprache und Kultur.“Die Erfahrung, dass in anderen Sprachen die Wirklichke­it mit anderen Mitteln artikulier­t werde, andere Dinge wichtig seien als in der Mutterspra­che, schärfe den Blick fürs Eigene und Fremde gleichzeit­ig: „Wer mehrere Sprachen beherrscht, für den sieht die Welt farbiger aus.“

Dass Datenkrake­n wie Google mit Texten en gros gefüttert werden, habe natürlich auch eine gefährlich­e Komponente: „Mit unseren digitalen Werkzeugen hinterlass­en wir Spuren“, sagt Volk – und meint damit vorwiegend Verschrift­lichtes. Noch, muss man wohl hinzufügen.

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