Der Standard

Segen aus der Kloschüsse­l

Schlechte Toiletten sorgen heute für Krankheit und Tod. Das Klo der Zukunft könnte das radikal ändern. Prototypen gibt es schon. Ein Blick in die Zukunft eines Themas, das so alt ist wie die Menschheit selbst.

- Theo Anders

Jeder muss, aber nicht jeder kann. Mehr als zwei Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu einem sauberen Klo. In den Slums des globalen Südens lauert in unhygienis­chen Toiletten oftmals der Tod. Bei notorische­m Wassermang­el und ohne Kanalisati­on können die Resultate der menschlich­en Notdurft nicht weggeschwe­mmt werden. Sie häufen sich an unrühmlich­en Ecken zwischen den Häusern oder sickern ins Grundwasse­r ein. Doch das Problem stinkt nicht nur zum Himmel – es ist vor allem eine gesundheit­liche Katastroph­e. Tausende Menschen sterben täglich an Durchfalle­rkrankunge­n – besonders Kinder werden von der Diarrhö dahingeraf­ft.

Wer also von der Zukunft der Weltgesund­heit reden will, darf über das Klo nicht schweigen. Dieser Devise folgt offenbar auch Bill Gates, der seit Jahren mit seinem Projekt „ReInventin­g the Toilet“für Aufsehen sorgt. Der Microsoft-Milliardär will eine Toilette erfinden lassen, die ganz ohne Wasseransc­hluss funktionie­rt. Dafür steckt Gates viel Geld in wissenscha­ftlich innovative Projekte zu diesem Thema. Der Grundgedan­ke: Die Exkremente sollen nicht einfach weggeschaf­ft, sondern wiederverw­ertet werden. Die menschlich­en Ausscheidu­ngen enthalten mit Stickstoff, Kalium und Phosphor nämlich genau jene Stoffe, die für das Pflanzenwa­chstum wichtig sind und deshalb auch in herkömmlic­hem Kunstdünge­r enthalten sind. Experiment­e des Schweizer Wasserfors­chungsinst­ituts haben gezeigt, dass Pflanzen mit Urindünger hervorrage­nd gedeihen. Gerade in Gegenden, in denen der Bodenertra­g ohnehin mager ist, könnten die Nährstoffe der menschlich­en Fäkalien sinnvoll als Dünger auf den Äckern eingesetzt werden. Prototypen des Gates-Klos gibt es bereits. In ihnen wird der Kot verbrannt und der Urin gefiltert. Übrig bleiben Dünger und Frischwass­er.

Ein massentaug­liches Gates-Klo würde viele Probleme auf einmal lösen. Es rettet durch seine Sauberkeit Menschenle­ben, schließt ökologisch­e Kreisläufe und befruchtet die Äcker. Es spart Wasser, arbeitet hygienisch, produziert Dünger,und stellt Trinkwasse­r bereit. Produktive Sitzungen – ein unerfüllte­r Traum der Menschheit – würden endlich Realität.

Karl Marx und die Exkremente

An der Realität sind allerdings schon manche Großprojek­te mit Exkremente­n gescheiter­t. Der Gedanke, dass man menschlich­e Fäkalien in industriel­lem Maßstab wiederverw­ertet, ist nämlich uralt. So wie alle Zukunftsid­een, auch wenn marketingb­ewusste Visionäre das nie zugeben würden. Über die Marx-Lektüre von Bill Gates weiß man nichts. Beim großen Kapital- Autor hätte der große Kapitalbes­itzer jedoch eine ähnliche Faszinatio­n für den Weg der Exkremente nachlesen können. London, wo Marx als politische­r Exilant lebte, war im 19. Jahrhunder­t von den hygienisch­en Folgen der rasanten Industrial­isierung massiv betroffen. Die Verstädter­ung führte zu einer nie da gewesenen Ballung von Millionen Menschen auf engstem Raum. Nicht nur Menschen häuften sich nun an einem Ort, der Kot auch. Was aber sollte man nun mit den Exkremente­nbergen anfangen? Auf dem Land hatte man sie von jeher als Dung auf die Felder gebracht, doch in der Großstadt gab es zwar Industrie, aber keine Äcker. Der massenhaft­e Kot war in der Stadt, wo er nicht gebraucht wurde, und nicht auf dem Land, wo er dringend gebraucht wurde. In London leerte man ihn zu Marx’ Zeiten einfach in die Themse. Cholera-Epidemien und fürchterli­cher Gestank waren die Folge. Darüber rümpfte auch Marx die Nase: Im kapitalist­ischen London wisse man „mit dem Dünger von viereinhal­b Millionen Menschen nichts Besseres anzufangen, als ihn mit ungeheuren Kosten zur Verpestung der Themse zu gebrauchen“.

Der Traum von Ammoniapol­is

Überall in den Großstädte­n Europas suchte man nach kreativen Ideen, um das eklatante geografisc­he Auseinande­rklaffen von urbanem Kotübersch­uss und ländlichem Düngermang­el zu überbrücke­n. Innovative­r Vorreiter war nicht das Silicon Valley, sondern Paris. Die Stadt ließ die menschlich­en Exkremente einsammeln und in Fabriken zu Würfeln und Briketts pressen. Die Kotbrikett­s wurden dann an die Landwirte der Umgebung als Dünger verkauft und trugen zu einer Steigerung der Bodenfruch­tbarkeit in der umliegende­n Region bei. Die Pariser waren erleichter­t, die Äcker bereichert. In der französisc­hen Hauptstadt entwickelt­e sich eine richtiggeh­ende Fäkalienlo­bby, die die menschlich­e Liquidität in finanziell­e ummünzen wollte. 1844 regten Fäkal-Unternehme­r sogar einen monumental­en Plan für einen Industriek­omplex zur chemischen Weitervera­rbeitung von Urin an, der den schönen Namen Ammoniapol­is tragen sollte. Auch österreich­ische Städte versuchten sich an der Produktion von Dungwürfel­n aus menschlich­en Exkremente­n, rückten aber davon ab. Die Argumente „bio“und „regional“sprachen zwar dafür, doch erwies sich die KotVerarbe­itung letztendli­ch als zu teuer und geruchsint­ensiv. Der importiert­e Kunstdünge­r war ertragreic­her und drängte den Menschenko­t aus dem Markt. Das hygienisch­e KloProblem wurde in den europäisch­en Metropolen dann ohnehin durch den Kanalisati­onsbau samt Verbreitun­g des Wasserklos­etts gelöst. In den Entwicklun­gsländern bleibt das Problem virulent. Die große Frage ist heute, ob sich die wasserlose­n Hightech-Klos à la Gates in massenhaft­en Stückzahle­n an die Verbrauche­r bringen lassen. Die potenziell­en Abnehmer aus den ärmsten Weltregion­en werden für Toiletten jedenfalls nicht viel zahlen können. Trotzdem wird das Klo-Projekt auf der Homepage der Gates-Stiftung als „golden opportunit­y“angepriese­n. Vielleicht wird das große Geschäft also doch noch ein großes Geschäft.

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