Der Standard

Was macht der Mord in Dornbirn mit Vorarlberg?

Ein Aufruf zu Zusammenha­lt mit Herz und Verstand

- Johannes Rauch

Schrecklic­he Verbrechen hat das Land Vorarlberg schon einige erlebt, auch in jüngerer Vergangenh­eit. Sei es die Auslöschun­g der eigenen Familie durch den Vater im letzten Jahr, den Amoklauf eines Rechtsextr­emisten von Nenzing 2016 oder die brutale Misshandlu­ng eines Kindes mit tödlichem Ausgang im Fall „Cain“. Die Erschütter­ung nach dem Mord am Leiter der Sozialhilf­eabteilung der Bezirkshau­ptmannscha­ft Dornbirn ist besonders tief. Warum?

Die Brutalität der Tat, die Tatsache, dass der Mann ein Aufenthalt­sverbot hatte, illegal einreiste, einen Asylantrag stellte und Anspruch auf Mindestsic­herung anmeldete – auf freiem Fuß und ungehinder­t nach Lustenau zu seiner Familie reisen könnend. Das empört, irritiert, macht wütend, je nach eigenem Standpunkt.

Dann hat man noch im Kopf, dass vor wenigen Wochen Quamar Abbas, ein Flüchtling aus Syrien abgeschobe­n wurde, obwohl er unbescholt­en war, obwohl er eine Lehrstelle hatte, Deutsch konnte, integriert war und von seinem Chef im Restaurant dringend gebraucht wurde. Die, „mit denen dieses Land längst fertig war“(Gerold Riedmann, VN), lässt man herein, jene, die das Land dringend brauchen würde, werden außer Landes geschafft. Versteht das noch irgendjema­nd, egal welcher politische­n Gesinnung?

Der Mörder von Dornbirn, kein klassische­r Flüchtling und kein „normaler“Asylwerber, wird Vorarlberg mehr verändern als Abbas. Dieser Mord wird die angespannt­e und zunehmend undifferen­zierte Debatte über den Einheitsbr­ei „Migranten, Flüchtling­e, Zuwanderun­g, Integratio­n, Asyl, Islamisier­ung“verschärfe­n.

Er bringt, was wir bisher nicht hatten: Personensc­hleusen und Kontrollen an den Eingängen zu öffentlich­en Gebäuden. Er macht Angst bei den Mitarbeite­rn der sensiblen Behörden, dass so etwas wieder passieren könnte. Er gibt jenen Aufwind, die es „immer schon wussten“(was eigentlich genau?), und verunsiche­rt jene, die eben nicht alle in einen Topf werfen und Menschenre­chte für unverhande­lbar halten.

Ich würde mir wünschen, dass Vorarlberg auch jetzt nicht verliert, was dieses wunderbare Land in der Vergangenh­eit immer ausgezeich­net hat, egal ob in der Flüchtling­skrise, den schlimmen Hochwasser­katastroph­en oder gesellscha­ftlichen Veränderun­gen: Zusammenha­lt, Unnachgieb­igkeit, Herz und Verstand. Die seit November regelmäßig stattfinde­nden Sonntagsde­mos sind ein Beleg dafür, dass die Menschlich­keit nicht abhandenge­kommen ist.

Das ist keine naive Hoffnung, sondern die Erkenntnis, dass Unversöhnl­ichkeit in die Sackgasse führt und Spaltung zur Unmöglichk­eit, den Raum vom eigenen zum anderen Lager überbrücke­n zu können, wenn alles auf dem Spiel steht, nämlich Freiheit, Demokratie und Rechtsstaa­tlichkeit.

JOHANNES RAUCH (Jahrgang 1959) ist Landesrat und Vorstandss­precher der Grünen in Vorarlberg.

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