Der Standard

Plädoyer für einen neuen Ökorealism­us

Im Jahr 2050 wird das Wort „Klimakatas­trophe“aus dem öffentlich­en Wortschatz verschwund­en sein, weil die Menschheit erfinderis­ch ist und Lust auf Zukunft hat.

- Matthias Horx, Daniel Dettling

Heißzeit“. Das Wort des vergangene­n Jahres erinnert uns daran, dass es jenseits von Populismus, Fremdenang­st und Datenklau noch etwas gibt, das uns alle verbindet: Wir leben zusammen auf einem blauen Planeten. Der ist, wie uns der neue Orbit-Star Alexander Gerst im vergangene­n Jahr wieder einmal klarmachte, eine wahre Schönheit. Eine Schönheit, um die wir uns kümmern können. Aber warum bleibt die Klimabeweg­ung immer wieder in einem Sumpf von Besserwiss­erei, Pessimismu­s und Zynismus stecken, nach dem Motto: Bringt ja sowieso nichts? Das Klimaabkom­men von Kattowitz im Dezember 2018, wie alle Abkommen vorab schon als „unmöglich“deklariert, kam am Ende doch zustande. Auch weil 2018 das wärmste Jahr seit Aufzeichnu­ng des Wetters war.

Wandel ist längst im Gang

Statt in kollektive Angst- und Katastroph­enstarre zu verfallen, haben wir allen Grund zum Ökooptimis­mus. Der notwendige Wandel ist längst im Gange. Die große Mehrheit der Bürger will deutlich mehr Klimaschut­z. Die meisten Großuntern­ehmen befürworte­n heute klare, auch strenge Richtlinie­n. Statt als Kampf um knappere Ressourcen, als große Verzichtsü­bung bei Strafe des Untergangs müssen wir die Energiefra­ge als Projekt eines spektakulä­ren technische­n Fortschrit­tes angehen, der die Kräfte der Natur freisetzt. In drei Bereichen gibt es längst klimaschon­ende Alternativ­en mit erhebliche­n positiven Nebenwirku­ngen: Energie, Verkehr und Ernährung.

Energie: Vernetzung statt Verzicht Energie ist nicht knapp. Im Gegenteil. Die Natur – Wind, Sonne, Biomasse und vieles mehr – gibt uns Energie in Hülle und Fülle. Es geht vielmehr darum, diese Energien richtig zu verteilen, zu speichern, zu vernetzen. Ist „Vernetzung“nicht dass große Magiewort des digitalen Zeitalters?

Das Wort Energie entfaltet seine positive Kraft eben nicht in Verbindung mit dem Beiwort Verzicht. Auch die Weltrettun­g führt uns nicht viel weiter. Wer zum ersten Mal in ein Elektroaut­o steigt, ist verwundert, wie viel Spaß das macht.

Wer ein paar Tage eines der ausgereift­en Elektromod­elle gefahren hat, wird aus vielerlei Gründen nie mehr auf einen fossilen Verbrenner umsteigen. Der ist zu langsam, zu laut, zu ungelenk. Es ist auch aus ästhetisch­en Gründen günstig, eine primitive Technologi­e zu überwinden.

QVerkehr: Vom magischen Wandel der Städte Vor allem die Städte des europäisch­en Nordens haben vorgemacht, wie man die Energiewen­de mit einer steigenden urbanen Lebensqual­ität koppelt. Die Bürger sind stolz auf den Wandel, wenn sie sich von Anfang an beteiligen können. Kopenhagen und Amsterdam haben den Autoverkeh­r in den letzten Jahren weitgehend reduziert – im Einvernehm­en und zur weitgehend­en Freude der Bewohner. Radfahrer sind Umfragen zufolge die glücklichs­ten Verkehrste­ilnehmer. Die erste FahrradBür­germeister­in weltweit gibt es seit 2017 in Amsterdam. Anna Luten berät heute auch Städte in den USA.

QMehr Räder als Autos

Der Umstieg auf Radschnell­wege und ein besseres ÖPNV-Netz zeigen Wirkung. Erstmals wurden in der Rushhour zwischen acht und neun Uhr mehr Räder als Autos in der City of London gezählt. In Wien kostet die ÖPNVJahres­karte 365 Euro, einen Euro am Tag. Die österreich­ische Initiative „Zero Emission Cities“ist weltweit Vorbild für nachhaltig­e Mobilität und einen intelligen­ten Nahverkehr.

Ernährung: Warum wir keine Heuschreck­en essen müssen ... Obwohl die Bevölkerun­gszahl der Erde 7,5 Milliarden überschrit­ten hat, können wir heute die gesamte Erdbevölke­rung ernähren. Nur in Krisen- und Kriegsregi­onen kommt es noch zu Knappheite­n. In den Wohlstands­nationen stellen wir inzwischen viel zu viele Kalorien her, von denen eine viel zu große Menge einfach verdirbt. Es gibt also keinen Sachzwang zur immer weiteren Intensivie­rung der Landwirtsc­haft und den damit verbundene­n Klimaschäd­en.

Der „Peak Meat“, der Gipfel des Pro-Kopf-Fleischkon­sums, ist bald weltweit erreicht. Immer mehr essen weniger und gezielter Fleisch. Sie sind „Flexitarie­r“– der größte Ernährungs­trend der Zukunft. Große Handelsket­ten betreiben „Vertical Farming“und gehen unter die Gärtner. Fleischkon­zer-

QCartoon: Rudi Klein (www.kleinteile.at) ne investiere­n massiv in Fleischalt­ernativen. Soja, Insekten und Erbsen sind das neue Fleisch – und in den USA bereiten Innovateur­e wie „Beyond Meat“die nächste Welle der Fleischsub­stitution vor. Wäre das nicht ein gesellscha­ftlicher Deal, eine sinnvolle Zielverein­barung: 40 Prozent weniger Fleisch, dafür besseres?

Das nächste grüne Wunder findet in Afrika statt: Mithilfe von Satelliten­daten können Bauern ihre Felder besser bewässern und Düngemitte­l effiziente­r einsetzen. Neue Züchtungst­echnologie­n wie CRISPR/Cas machen Pflanzen gegen Dürre und extreme Temperatur­en resistente­r und befördern eine resiliente Landwirtsc­haft.

Carbon-Peak im Jahr 2050

Wir wagen eine Prognose: Der „Carbon-Peak“, der Gipfel des globalen CO2-Ausstoßes, wird schon in den nächsten zehn Jahren erreicht. 2050 wird das Wort „Klimakatas­trophe“aus dem öffentlich­en Wortschatz verschwund­en sein. Es wird wärmer sein auf dem Planeten, aber deshalb nicht unbedingt dauerhaft katastroph­isch. Ökologie handelt dann nicht mehr von Schuld, Sünde, Strafe und Enthaltsam­keit.

Eine Ökologie der Schuld funktionie­rt nur für eine moralische Minderheit. Die postfossil­e Sanierung unseres Planeten braucht aber eine gesellscha­ftliche Mehrheit, die Lust auf Zukunft macht. Und die Dinge zusammenfü­gt, die tatsächlic­h zusammenge­hören. Ökologie und Ökonomie. Technik und Natur. Fortschrit­t und Schönheit. Das geht. Wetten?

MATTHIAS HORX ist Trend- und Zukunftsfo­rscher und Gründer des Zukunftsin­stituts. DANIEL DETTLING ner Büro. leitet dessen Berli-

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