Spielfreie Zukunft
Exweltmeister Wladimir Kramnik ist in der Vorwoche vom Profischach zurückgetreten. Ein Blick zurück in drei Folgen (I): Der Zeitpunkt des Abschieds war klug gewählt.
Es kam nicht wirklich überraschend, und bei allen Trauerbekundungen und Nachrufen zu Lebzeiten war auch Einsicht zu spüren. Wladimir Kramnik ist in der Vorwoche mit 43 Jahren vom Turnierschach zurückgetreten. Der Rücktritt erfolgte weder zu früh noch zu spät. Noch im Vorjahr gelangen Kramnik Partien, die viele für die schönsten des Jahres hielten (wie sein Sieg gegen Topalov oder seine heroische Niederlage gegen Caruana). Die Spitzenturniere in Berlin und Wijk aan Zee waren allerdings, was die Ergebnisse betrifft, desaströs. Kurz: Es war Zeit, Abschied zu nehmen, wenn der Anspruch an das eigene Spiel der allerhöchste ist. Das Problem ist es nicht, einzelne herrliche Züge zu finden, doch es gilt, will man gewinnen, keinen Fehler zu machen, in keiner Partie, ein ganzes Turnier lang, Monat für Monat, das ganze Jahr. Das wird in Kramniks Alter immer schwieriger. Bemerkenswert ist der stilistische Bruch im Werk des späten Kramnik. Er spielte – offenbar im Bewusstsein des nahen Karriereendes – wie befreit auf, opferte romantisch Bauern und Figuren, eine gewisse Dreistigkeit, ja Wurstigkeit kennzeichnete sein Spiel. Wie denn auch nicht: Der Künstlersohn aus Tuapse am Schwarzen Meer hatte schon alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt, beweisen musste er niemandem mehr etwas. Auch sich selbst nicht. Fortan hat der große Wlad also spielfrei. In Erinnerung wird er natürlich als Weltmeister 2000 bis 2006 bleiben, als der Mann, der den unschlagbaren Kasparow im Match besiegte, der am Schachbrett Katalanisch sprach wie kein anderer, der so viel von den Feinheiten des Spiels verstand, dass andere Großmeister sagten, immer wenn sie ihm gegenüber saßen, kamen sie sich wie Hochstapler vor. Draußen wartet nun das Leben mit seinen neuen Varianten auf den Vater zweier Kinder, der seit Jahren mit seiner Familie in Genf residiert. Hier seine Partie gegen den Inder Pentala Harikrishna aus seiner wilden letzten Periode.
Kramnik – Harikrishna Shamkir 2017
Ein geschlossener Spanier mit einem das Spiel verlangsamenden Zug.
Natürlich kann Weiß auch das elastischere 9.Sbd2 Sa5 10.La2 c5 11.Te1 Sc6 12.Sf1 wie im Tschigorin-Aufbau versuchen. À la Breyer gespielt.
Angesichts der Drohung Sf5 ist 12... Te8 ein guter Zug, um den Le7 auf f8 verschwinden zu lassen, doch Harikrishna hat keine Angst vor dem Tausch. Vorsichtiger war 14.Lc2. Draußen wartet das neue Leben: Wladimir Kramnik, seit der Vorwoche ehemaliger Schachprofi
Mit diesem energischen Vorstoß zerstört der Inder das weiße Zentrum. Ein guter Abtausch für Schwarz. Schwächer wäre 15... Sxe4 16.cxb5 axb5 17.a4 bxa4 18.Txa4.
Und nicht 16.Sxd6?! Lxd6 17.Dxd6 bxc4.
Weiß hat das Läuferpaar, Schwarz das Zentrum. Nach 18.Sh4 folgt 18… Sc5 19.La2 Sd3 mit schwarzer Initiative: 20.Txe4 Sxf2! 21.Sf5 Dd7.
Die Partie verschärft sich mit jedem Zug.
Das Opfer 21.Sxg5!? hxg5 22.Lxg5 Kg7 23.Dd2 führt zu unklarsten Verwicklungen.
Langsam gewinnt Schwarz die Oberhand. Der Bauer war vergiftet: 23.Dxb5?! Sd3 24.Te3 Tb8. Schon der Gewinnzug, denn was soll Weiß gegen f5-f4 tun?
Nach elf Minuten Nachdenken der Einbruch des Außerirdischen und eines der mysteriösesten Turmopfer der Schachgeschichte! Ob Bluff oder Geniestreich, darüber streiten sich auch heute noch Großmeister wie Computer. Klar ist, dass Weiß nur drei Bauern und etwas Spiel gegen den König für seinen Turm bekommt.
Die beste Antwort war 26… Kg6! 27.Dxb5 Lg8 und der weiße Angriff wird versanden.
Weiß hat einen Turm weniger und macht in aller Ruhe weiter prophylaktische Züge, als ob nichts geschehen wäre.
Auch dieser Zug ist schwächer. Das Qualitätsopfer 30… Txd4 und vor allem 30… Te8 nebst Db7 kamen infrage.
Langsam setzt sich die Bauernphalanx in Bewegung. Sonst folgt Lc4 mit Blockade der Bauern. Ein Versäumnis, nach dem Schwarz schon schlechter steht. Das genaue 33... Da6! 34.Db2 Lxc4 35.Se5 Kh7 36.Tc1 hielt die Stellung im Chaos. Auch 34... Dd6 35.c5 Df8 36.Lxe4 Txe4 37.Txe4 fxe4 38.Se5 sieht Weiß in Vorteil. Wieder ein Schritt vorwärts.
Der letzte Fehler. Einzig 36... Db3 37.Da1 Kg6 38.Lxf6 Sxf6 39.Txe8 Txe8 40.Lxf5+ Kg7 hielt die Stellung.
Unglaublich, aber wahr: Die frechen Bauern behalten die Oberhand über den Turm. Ob dies oder 37... Lf7 38.c7, ist schon egal.
Denn 39… Sxe4 40.Txe4 Dxe4 41.Lg7+ Kf7 42.Df6 endet im Matt.
Der Läufer kann wegen 43.Lg6+ nicht genommen werden. Geht der Turm zurück nach d8, folgt 43.Lh8, daher 1–0. Th8 3. Tf7 Te82.
Sxf24. Th7
Tf8 Lg3!!1. Vorwoche):( 2902 ösungen: L