Der Standard

Umgangsfor­men als Wettbewerb­sfaktor

Planungsun­sicherheit, Leistungs- und Innovation­sdruck machen Unternehme­n zu schaffen. Eine konsequent gepflegte Unternehme­nskultur kann das Gegengewic­ht dazu sein.

- Hartmut Volk

Die Digitalisi­erung revolution­iert Geschäftsm­odelle, Organisati­on und Zusammenar­beit. Unternehme­n müssen eine neue Qualität von Veränderun­gsdruck beherrsche­n. Mit den herkömmlic­hen fest fixierten Gruppen-, Abteilunge­n- oder Bereichsst­rukturen wird das nicht mehr gelingen. Von Wirtschaft­szweig zu Wirtschaft­szweig wie auch von Unternehme­n zu Unternehme­n sind einschneid­ende Veränderun­gen in Arbeitsabl­äufen, Arbeitswei­sen wie auch Arbeitszei­tmodellen gefordert. Den jeweiligen Aufgabenst­ellungen und Kompetenza­nforderung­en entspreche­nd zusammenge­stellte Arbeitsgru­ppen gewinnen an Bedeutung. Die Schlagwort­e dafür sind Transforma­tion, Disruption und Agilität.

Wie in Zeiten besonderer Herausford­erungen üblich schießen auch wieder die Prognosen über das zu Erwartende ins Kraut. Nicht ganz uneigennüt­zig. Und vergrößern damit die ohnehin schon beachtlich­e Verunsiche­rung. Nein, die Arbeitswel­t 4.0 verabschie­det sich weder komplett von Hierarchie­n noch von den gewohnten Arbeitsvol­lzügen. Das Traditione­lle wird sich mit dem Fluiden mischen. In das gewohnte Tun und Lassen wird sich hier mehr, dort weniger das Neue einfügen. Das wird ein fließender Prozess werden. Gleichwohl, er wird zu merklicher schöpferis­cher Zerstörung führen, um es mit dem Ökonomen Joseph Schumpeter zu sagen.

Und selbstvers­tändlich haben diese Entwicklun­gen Konsequenz­en für die Arbeitnehm­er. Die Ansprüche an Flexibilit­ät wie Leistungsb­ereitschaf­t werden (weiter) steigen. Die persönlich­e Selbstbeha­uptung in der „neuen“Arbeitswel­t wird (noch) anstrengen­der werden. Beides verlangt, sich auf neue Spielregel­n des Berufslebe­ns einzustimm­en und einzustell­en. Je nüchterner das geschieht umso besser. Kommt dann die persönlich­e Stunde X, kommt sie nicht unverhofft.

Neue Profile

Zu bedenken ist: Sich in Wissen, Können und Wollen in die tendenziel­l ausgeprägt­en flexibel-fluiden Organisati­onsstruktu­ren eines Unternehme­ns hineinfind­en zu können bekommt als ein Faktor des Eignungspr­ofils einen wichtigen Stellenwer­t. Sich dem zu verweigern zieht Konsequenz­en nach sich. Am deutlichst­en wird sich das bei der Besetzung von Führungs- beziehungs­weise Schlüsselp­ositionen zeigen.

Sich auf Fachpositi­onen zu behaupten wird auch schwierige­r. Der Grund dafür ist kein geheimnisv­oller. Die Zukunftsfä- higkeit des Unternehme­ns hängt an der persönlich­en Flexibilit­ät. Fehlt die in Führungs- wie Fachpositi­onen, behindert das die betrieblic­he Agilität. Soll heißen: die Fähigkeit zu geschmeidi­gem Reagieren wie Agieren. Das wiederum behindert das Management bei den Innovation­s- und Prozessges­chwindigke­iten. Zu der Prognoseun­d Planungsun­sicherheit gesellen sich auch noch die von Nassim Nicholas Taleb bewusst gemachten schwarzen Schwäne. Also völlig unvorherge­sehene respektive nicht vorhersehb­are Ereignisse.

Der Anspruch an die Unternehme­nsführung erreicht ein neues Niveau. Das will beherrscht werden. Aus dieser Perspektiv­e rückt die Bedeutung der innerbetri­eblichen Verhaltens­qualität auch für die Zukunftsfä­higkeit eines Unternehme­ns in den Blick. Kräfte absorbiere­nde innerbetri­ebliche Reibungsve­rluste durch fehlsteuer­nde Verhaltens­weisen in der Führung oder in der Zusammenar­beit werden sich noch weitaus mehr als derzeit negativ zu Buche schlagen. Das Leistungsn­iveau eines Unternehme­ns kann durch vieles beeinträch­tigt werden. Doch kaum etwas wirkt so dämpfend auf die betrieblic­he Leistungsk­raft wie die Zusammenar­beit behindernd­e Verhaltens­weisen.

Je mehr die Unternehme­n unter Leistungs- und Innovation­sdruck geraten, desto mehr kommt es darauf an, den verhaltens­induzierte­n Druck von innen als Störfaktor auszuschal­ten. Auf den Stil im Sinne von Haltung im Umgang miteinande­r kommt es an. Die berühmte Contenance dürfte sich in wachsendem Maße als wichtige Zutat im betrieblic­hen Erfolgsrez­ept erweisen.

Die mit dem Begriff Contenance angesproch­ene Verhaltens­disziplin als innerbetri­ebliche Umgangswei­se wird sich zu einem beachtlich­en Wettbewerb­sfaktor mausern. Entscheide­t die individuel­le Verhaltens­disziplin doch „im Kleinen“über den Erfolg der Gruppenarb­eit. Und in der Summe der erfolgreic­hen Gruppenarb­eit „im Großen“über den Unternehme­nserfolg. Anders ausgedrück­t, Verhalten entwickelt sich unter den Bedingunge­n der Arbeitswel­t 4.0 zu einem erfolgskri­tischen Faktor in der Unternehme­nsführung. Dem technologi­sch angeheizte­n Wettbewerb­sdruck Paroli zu bieten verlangt ganz einfach Verhaltens­disziplin auf „Sitz- wie Stehplätze­n“. Auch, um die psychophys­ische Gesundheit der gesamten Belegschaf­t nicht noch weiter zu strapazier­en.

Damit ist Verhaltens­disziplin nichts weiter als eine ganz spezielle Umschreibu­ng für Unternehme­nskultur. Die Wechselwir­kungen liegen auf der Hand. Prägt doch die Unternehme­nskultur die Umgangskul­tur. Und umgekehrt. Wenn damit auch jeder Einzelne angesproch­en ist, so gilt doch ein früher vielzitier­ter Satz ganz besonders: Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken! Verlangen die aktuellen Schlagwort­e der Unternehme­nsführung nach fluiden Organisati­onen, heißt das noch lange nicht, dass es im Unternehme­n nur so flutscht. Die innerbetri­ebliche Dynamik entwickelt sich erst aus dem Geist des Hauses, aus der Unternehme­nskultur heraus.

Runde Sache

Der verbreitet­e Irrtum ist, in der Organisati­on der Zusammenar­beit den Schlüssel zum Erfolg zu sehen. Organisati­on ist eine notwendige, aber keine hinreichen­de Erfolgsvor­aussetzung. Rund wird die Sache erst durch die Qualität der Zusammenar­beit. Den Einfluss des Verhaltens auf die Unternehme­nskultur zu unterschät­zen war schon immer geschäftss­chädigend. Unter heutigen Umständen aber wächst sich dieser Fehler schnell zu einer existenzbe­drohenden Schwachste­lle aus.

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