Umgangsformen als Wettbewerbsfaktor
Planungsunsicherheit, Leistungs- und Innovationsdruck machen Unternehmen zu schaffen. Eine konsequent gepflegte Unternehmenskultur kann das Gegengewicht dazu sein.
Die Digitalisierung revolutioniert Geschäftsmodelle, Organisation und Zusammenarbeit. Unternehmen müssen eine neue Qualität von Veränderungsdruck beherrschen. Mit den herkömmlichen fest fixierten Gruppen-, Abteilungen- oder Bereichsstrukturen wird das nicht mehr gelingen. Von Wirtschaftszweig zu Wirtschaftszweig wie auch von Unternehmen zu Unternehmen sind einschneidende Veränderungen in Arbeitsabläufen, Arbeitsweisen wie auch Arbeitszeitmodellen gefordert. Den jeweiligen Aufgabenstellungen und Kompetenzanforderungen entsprechend zusammengestellte Arbeitsgruppen gewinnen an Bedeutung. Die Schlagworte dafür sind Transformation, Disruption und Agilität.
Wie in Zeiten besonderer Herausforderungen üblich schießen auch wieder die Prognosen über das zu Erwartende ins Kraut. Nicht ganz uneigennützig. Und vergrößern damit die ohnehin schon beachtliche Verunsicherung. Nein, die Arbeitswelt 4.0 verabschiedet sich weder komplett von Hierarchien noch von den gewohnten Arbeitsvollzügen. Das Traditionelle wird sich mit dem Fluiden mischen. In das gewohnte Tun und Lassen wird sich hier mehr, dort weniger das Neue einfügen. Das wird ein fließender Prozess werden. Gleichwohl, er wird zu merklicher schöpferischer Zerstörung führen, um es mit dem Ökonomen Joseph Schumpeter zu sagen.
Und selbstverständlich haben diese Entwicklungen Konsequenzen für die Arbeitnehmer. Die Ansprüche an Flexibilität wie Leistungsbereitschaft werden (weiter) steigen. Die persönliche Selbstbehauptung in der „neuen“Arbeitswelt wird (noch) anstrengender werden. Beides verlangt, sich auf neue Spielregeln des Berufslebens einzustimmen und einzustellen. Je nüchterner das geschieht umso besser. Kommt dann die persönliche Stunde X, kommt sie nicht unverhofft.
Neue Profile
Zu bedenken ist: Sich in Wissen, Können und Wollen in die tendenziell ausgeprägten flexibel-fluiden Organisationsstrukturen eines Unternehmens hineinfinden zu können bekommt als ein Faktor des Eignungsprofils einen wichtigen Stellenwert. Sich dem zu verweigern zieht Konsequenzen nach sich. Am deutlichsten wird sich das bei der Besetzung von Führungs- beziehungsweise Schlüsselpositionen zeigen.
Sich auf Fachpositionen zu behaupten wird auch schwieriger. Der Grund dafür ist kein geheimnisvoller. Die Zukunftsfä- higkeit des Unternehmens hängt an der persönlichen Flexibilität. Fehlt die in Führungs- wie Fachpositionen, behindert das die betriebliche Agilität. Soll heißen: die Fähigkeit zu geschmeidigem Reagieren wie Agieren. Das wiederum behindert das Management bei den Innovations- und Prozessgeschwindigkeiten. Zu der Prognoseund Planungsunsicherheit gesellen sich auch noch die von Nassim Nicholas Taleb bewusst gemachten schwarzen Schwäne. Also völlig unvorhergesehene respektive nicht vorhersehbare Ereignisse.
Der Anspruch an die Unternehmensführung erreicht ein neues Niveau. Das will beherrscht werden. Aus dieser Perspektive rückt die Bedeutung der innerbetrieblichen Verhaltensqualität auch für die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens in den Blick. Kräfte absorbierende innerbetriebliche Reibungsverluste durch fehlsteuernde Verhaltensweisen in der Führung oder in der Zusammenarbeit werden sich noch weitaus mehr als derzeit negativ zu Buche schlagen. Das Leistungsniveau eines Unternehmens kann durch vieles beeinträchtigt werden. Doch kaum etwas wirkt so dämpfend auf die betriebliche Leistungskraft wie die Zusammenarbeit behindernde Verhaltensweisen.
Je mehr die Unternehmen unter Leistungs- und Innovationsdruck geraten, desto mehr kommt es darauf an, den verhaltensinduzierten Druck von innen als Störfaktor auszuschalten. Auf den Stil im Sinne von Haltung im Umgang miteinander kommt es an. Die berühmte Contenance dürfte sich in wachsendem Maße als wichtige Zutat im betrieblichen Erfolgsrezept erweisen.
Die mit dem Begriff Contenance angesprochene Verhaltensdisziplin als innerbetriebliche Umgangsweise wird sich zu einem beachtlichen Wettbewerbsfaktor mausern. Entscheidet die individuelle Verhaltensdisziplin doch „im Kleinen“über den Erfolg der Gruppenarbeit. Und in der Summe der erfolgreichen Gruppenarbeit „im Großen“über den Unternehmenserfolg. Anders ausgedrückt, Verhalten entwickelt sich unter den Bedingungen der Arbeitswelt 4.0 zu einem erfolgskritischen Faktor in der Unternehmensführung. Dem technologisch angeheizten Wettbewerbsdruck Paroli zu bieten verlangt ganz einfach Verhaltensdisziplin auf „Sitz- wie Stehplätzen“. Auch, um die psychophysische Gesundheit der gesamten Belegschaft nicht noch weiter zu strapazieren.
Damit ist Verhaltensdisziplin nichts weiter als eine ganz spezielle Umschreibung für Unternehmenskultur. Die Wechselwirkungen liegen auf der Hand. Prägt doch die Unternehmenskultur die Umgangskultur. Und umgekehrt. Wenn damit auch jeder Einzelne angesprochen ist, so gilt doch ein früher vielzitierter Satz ganz besonders: Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken! Verlangen die aktuellen Schlagworte der Unternehmensführung nach fluiden Organisationen, heißt das noch lange nicht, dass es im Unternehmen nur so flutscht. Die innerbetriebliche Dynamik entwickelt sich erst aus dem Geist des Hauses, aus der Unternehmenskultur heraus.
Runde Sache
Der verbreitete Irrtum ist, in der Organisation der Zusammenarbeit den Schlüssel zum Erfolg zu sehen. Organisation ist eine notwendige, aber keine hinreichende Erfolgsvoraussetzung. Rund wird die Sache erst durch die Qualität der Zusammenarbeit. Den Einfluss des Verhaltens auf die Unternehmenskultur zu unterschätzen war schon immer geschäftsschädigend. Unter heutigen Umständen aber wächst sich dieser Fehler schnell zu einer existenzbedrohenden Schwachstelle aus.