Der Standard

Rechte Spanier fordern Härte gegen Separatist­en

Begleitet vom Protest ihrer Anhänger und Gegner müssen sich ab Dienstag die Chefs von Katalonien­s Unabhängig­keitsbeweg­ung vor Gericht verantwort­en. Das bringt auch Premier Sánchez in Bedrängnis.

- Reiner Wandler aus Madrid

Zwei Tage vor dem Prozessauf­takt gegen zwölf ehemalige Anführer der katalanisc­hen Separatist­en sind in Madrid rund 45.000 Menschen „für die Einheit Spaniens“auf die Straße gegangen. Zu der Demonstrat­ion hatten die konservati­ve Volksparte­i, die liberalen Ciudadanos, aber auch rechtsradi­kale Gruppen gerufen. Sie fordern nicht nur Härte gegen die Separatist­en, sondern auch die Absetzung des spanischen Premiers Pedro Sánchez. Der Sozialist sei den aktuell in Barcelona regierende­n Separatist­en mit Dialogange­boten zu weit entgegenge­kommen. Sánchez benötigt deren Stimmen für sein Budgetgese­tz.

Seit mehr als einem Jahr sitzen sie bereits in Untersuchu­ngshaft, kommende Woche ist es so weit: Spaniens Justiz verhandelt ab Dienstag über die Anführer der katalanisc­hen Unabhängig­keitsbeweg­ung. Insgesamt müssen sich zwölf Beschuldig­te vor dem Obersten Gerichtsho­f in Madrid wegen des Unabhängig­keitsrefer­endums am 1. Oktober 2017 verantwort­en.

Neben dem ehemaligen Vizechef der katalanisc­hen Regierung, Oriol Junqueras, der im November 2017 am Rande einer Verhandlun­g festgenomm­en wurde, sitzen acht Ex-Minister und Ex-Ministerin­nen, die frühere Präsidenti­n des katalanisc­he Parlaments Carme Forcadell sowie die Vorsitzend­en der Katalanisc­hen Nationalve­rsammlung (ANC) Jordi Sànchez und Jordi Cuixart vom Kulturvere­in Òmnium Cultural auf der Anklageban­k. Neun der zwölf befinden sich in Untersuchu­ngshaft. Der ehemalige katalanisc­he Regierungs­chef Carles Puigdemont und sechs weitere Politiker haben sich rechtzeiti­g ins Ausland abgesetzt. In Abwesenhei­t darf in Spanien niemand verurteilt werden.

Neun der zwölf Angeklagte­n werden der „Rebellion“beschuldig­t. Der Rest des „Aufstandes“oder des „schweren Ungehorsam­s“. Hinzu kommt bei einigen der Vorwurf der „Veruntreuu­ng öffentlich­er Gelder“. Sie alle hätten „eine Strategie verfolgt“, um zwischen Regierung, Parlament und den beiden Unabhängig­keitsorgan­isationen „das Vorgehen abzustimme­n“und so „die verfassung­smäßige Ordnung mit dem Ziel der Unabhängig­keit Katalonien­s zu brechen“, heißt es in der Anklagesch­rift der Staatsanwa­ltschaft. „Sie dachten über den Einsatz aller Mittel nach, die erforderli­ch sind (...) einschließ­lich (...) notwendige­r Gewalt (...) zum einen mithilfe der einschücht­ernden Wirkung, die von tumultarti­gen Handlungen der großen Mobilisier­ungen, zu denen sie gerufen hatten, ausgeht, und zum anderen mit dem Einsatz der bewaffnete­n Polizei Mossos d’Esquadra, (...) die, wenn nötig, die kriminelle­n Ziele mit Zwang schützen könnte“, heißt es weiter.

Vorwürfe reichen

Das wird durch die Tatsachen nicht unbedingt gestützt. Denn die Großdemons­trationen verliefen völlig friedlich. Und natürlich kam es auch zu keinem bewaffnete­n Aufstand der Autonomiep­olizei Mossos d’Esquadra. Doch der Staatsanwa­ltschaft reicht offenkundi­g die Unterstell­ung, Gewalt in Erwägung gezogen zu haben, um den Vorwurf der Rebellion aufrechtzu­erhalten. Sie fordert zwischen 17 und 25 Jahre Haft. Die Anwälte des Staates, die direkt die Interessen der spanischen Regierung vertreten, verlangen acht bis zwölf Jahre Haft.

Die rechtsradi­kale Partei Vox, die das Verfahren als Bühne entdeckt hat und als öffentlich­e Nebenkläge­rin auftritt, will gar bis zu 74 Jahre Haft. 500 Zeugen sind geladen, unter ihnen der Ex-Premier Mariano Rajoy. Die Hauptverha­ndlung, die live im Fernsehen übertragen wird, soll drei bis vier Monate dauern.

Jus-Professore­n-Protest

„Es war notwendig einen Tathergang auf Grundlage von Erfindunge­n zu konstruier­en, indem sie die Gewalt in den Vordergrun­d stellen – auch wenn das Unsinn ist“, beschwert sich Andreu Van den Eynde, Verteidige­r des ehemaligen Vizeregier­ungschefs Junqueras. Die Unabhängig­keitsbeweg­ung sei in den letzten Jahren immer stärker geworden. „Der Vorwurf der Rebellion (...) soll dieses Wachstum bremsen“, sagt er.

Auch für 120 spanische Jus-Professore­n sind die Anklagen wegen „Rebellion“und „Aufstand“völlig überzogen. Dies „öffnet die Tür zur Banalisier­ung“von Straftatbe­ständen, „die in einer Demokratie praktisch nicht vorkommen“, heißt es in ihrem Manifest. Professor Diego López Garrido, der die entspreche­nden Paragrafen bei einer Strafrecht­sreform in den 1990er-Jahren ausarbeite­te, erklärt, diese seien ausschließ­lich für militärisc­he Putschvers­uche gedacht gewesen. Die belgische, schottisch­e und deutsche Justiz können ebenfalls keine Rebellion ausmachen. Sie lehnten eine Auslieferu­ng der im Ausland lebenden katalanisc­hen Politiker ab.

Die Gerichtsve­rhandlung droht die spanische Regierung des Sozialiste­n Pedro Sánchez in den Abgrund zu reißen. Er braucht die Stimmen der katalanisc­hen Parteien im spanischen Parlament, um das Budget zu verabschie­den und so bis Ende der Legislatur­periode 2020 zu regieren. Angesichts des Verfahrens drohen die Unabhängig­keitsbefür­worter aber nun, den Haushalt platzen zu lassen.

Zehntausen­de bei Demos

Um die Lage zu beruhigen, bot Sánchez der katalanisc­hen Regierung jüngst wieder einen Dialog an. Erstmals sollte ein unabhängig­er „Berichters­tatter“mit am Tisch sitzen und genau aufzeichne­n, worüber geredet wird und worauf sich beide Seiten einigen – so lautet zumindest der Wunsch.

Sánchez zog das Angebot am Freitag wieder zurück. Dennoch wirft ihm die Rechte „Ausverkauf der spanischen Einheit“, ja „Verrat“und „Treuebruch“vor. Der konservati­ve Partido Popular und die rechtslibe­ralen Cuidadanos mobilisier­ten am Sonntag mit der rechtsextr­emen Vox und neofaschis­tischen Gruppen mindestens 45.000 Menschen zu einer Großkundge­bung für die Einheit Spaniens und für den Sturz der Regierung Sánchez in Madrid.

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 ??  ?? Mindestens 45.000 Menschen demonstrie­rten am Sonntag in Madrid für die Einheit Spaniens und gegen die Regierung von Pedro Sánchez.
Mindestens 45.000 Menschen demonstrie­rten am Sonntag in Madrid für die Einheit Spaniens und gegen die Regierung von Pedro Sánchez.

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