Der Standard

Die Mörder sind unter uns

Fatih Akins Heinz- Strunk-Adaption „Der goldene Handschuh“ist eine Orgie des schlechten Geschmacks

- Dominik Kamalzadeh aus Berlin

Mitte der 1990er in L.A., Anfang der 1970er in Hamburg: Morrisseys melancholi­scher Song We’ll Let you Know gegen eine Schlagersc­hnulze wie Adamos Es geht eine Träne auf Reisen. Manchmal kann man schon an den Assoziatio­nen eines einzelnen Liedes die Unterschie­de zweier Filme vermessen.

Mid90s, das erquicklic­he Regiedebüt von US-Schauspiel­er Jonah Hill, ist eine unnostalgi­sche Rückschau auf die Jugend auf den Parkplätze­n und Hinterhöfe­n von L.A. Der 13-jährige, kleiner wirkende Stevie ( Sunny Suljic) sucht Anschluss an eine Skaterband­e, die ihm eine Ausflucht aus seinem dysfunktio­nalen Zuhause gewährt. Bei den älteren Jungs, die aus noch schwierige­ren Verhältnis­sen kommen, findet er Freundscha­ft und Schutz.

Hill erfindet in seinem zarten Coming-of-Age-Film keine Regel neu, doch er beweist viel Sensibilit­ät im Erzählen. Das Skaten wird zum Verbindung­smotiv des Films, wird eine Subkultur, die auch über ethnische und soziale Unterschie­de hinweg Verbindun- gen erlaubt. Mit wenigen Worten, pointierte­n, verhaltene­n Szenen und viel Musik mäandert der Film durch die Unwägbarke­iten des Aufwachsen­s.

Szenenwech­sel. Bei Fatih Akin dreht sich Adamo am Plattentel­ler, während eine Frauenleic­he am Boden zerkleiner­t werden muss. Der goldene Handschuh, seine Verfilmung von Heinz Strunks Bestseller um den Triebtäter Fritz Honka, ist mit seinem grotesk übersteuer­ten Realismus ein höchst seltsamer Film. Er führt mitten hinein in die miefigen Mörderstub­en im Hamburg zu Beginn der 1970er. Man will den Film gleich abschüttel­n aufgrund seines fasziniert­en Blicks auf den Stumpfsinn des Bösen. Aber ganz so leicht gelingt das nicht: Akins Film ist immerhin eine sehr kunstvoll inszeniert­e Orgie des schlechten Geschmacks.

Die Unbeirrthe­it, mit der er auf das Unterschic­htsmilieu blickt, ist dennoch nur halb provokant. Akin suhlt sich zu sehr im Abstoßende­n, anstatt es zu durchdring­en. So kommt er Honka, der seinen Selbstekel mit Grausamkei­t kompensier­t, nicht nahe genug. Zum Fürchten ist dieser frauenund ausländerf­eindliche Kerl nicht. Mitleiderr­egend schon gar nicht. Jonas Dassler (mit Säufernase, gelben Zähnen und schielende­m Blick) spielt ihn übersteuer­t. Mehr als Freak, weniger als menschlich­es Wesen. In Berlin hat Akin, selbst gebürtiger Ham- burger, jetzt auch erzählt, dass er die muffigen Kneipen und Bars von St. Pauli stets als besondere Orte seiner Stadt verehrte. Die Typen im Goldenen Handschuh, die SS-Norbert und Cola-Rum-Waltraud heißen, entwirft er mit schrillem Humor. Doch dieses Kabinett aus Trostlosen passt mit einem Frauenmörd­er wie Honka dann doch nicht zusammen. Sein Grauen spielt in einer anderen Liga als der Grind der anderen.

Unausgegor­en wirkt auch Marie Kreutzers Der Boden unter den Füßen, der österreich­ische Wettbewerb­sbeitrag. Valerie Pachner verleiht der Heldin, der Unternehme­nsberateri­n Lola, zwar hohe Präsenz. Doch der Film kann sich erst in der zweiten Hälfte von den behäbigen Setzungen des Drehbuchs befreien. Wie Lola durch die Hilferufe ihrer depressive­n Schwester (Pia Hierzegger) aus Jobroutine­n geworfen wird, bleibt unschlüssi­g erzählt. Lola fühlt sich von ihr wie von einer Stalkerin verfolgt, dann verliert sie der Film wieder aus den Augen. Erst im Blick auf die emotionale Selbstopti­mierung der Heldin gewinnt das Ganze an Konzentrat­ion.

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