Der Standard

Schöne Dystopie

- Sebastian Fellner

Es ziehen dunkle Wolken auf am Horizont. Eine superkomme­rzielle Übermacht, die in alle Lebensbere­iche vordringt. Mit Methoden, die wir nicht durchschau­en. Der größte Onlineshop der Welt, Datenkrake und Einzelhand­elskiller war der ultimative Bösewicht im Dokfilm Allmacht Amazon auf ORF 2 am Sonntagabe­nd.

Kapitel für Kapitel nimmt sich die Doku das Milliarden­unternehme­n vor und erklärt alles, was daran problemati­sch ist: Der Onlinemark­tplatz für alles sammelt mehr Daten, als wir uns vorstellen können. Im Film folgt dabei ein glatzköpfi­ges Double von Amazon-Chef Jeff Bezos (der mit einer Scheidung im Scheinwerf­erlicht und Erpressung­sversuchen gerade ganz andere Probleme hat als eine spätabends auf ORF 2 gesendete Doku) der Einkäuferi­n und notiert sich, welches Obst sie kostet. Weil er auch selbst Äpfel verkauft und alle anderen Marktstand­ler auf Amazons Kundschaft angewiesen sind, hat der Mann mit dem Notizbuch ganz schön viel Macht.

All die Erklärunge­n werden begleitet von hübschen Szenen, ohne dunkle Wolken, mit peppiger Musik. Das irritiert. Zumal dann Sätze fallen wie jener des früheren Amazon- und jetzigen Merkel-Beraters Andreas Weigend: „Vielleicht ist es so, dass wir ohne Demokratie besser dastehen“, sagt er. Oha. Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch andere Dystopien.

Dann versucht sich die Doku wieder an der Macht der schönen Bilder, um das Schlimme zu erklären: Jemand fährt mit dem Amazon-Auto zum Amazon-Arzt und begegnet dabei, haha, einer lila Amazon-Kuh. Im Kampf zwischen Bequemlich­keit und Privatsphä­re braucht es doch vielleicht etwas drastische­res Material. p derStandar­d.at/TV-Tagebuch

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