Der Standard

SPD sucht ihr Heil wieder weiter links

Das neue Sozialstaa­tskonzept der SPD sieht mehr Geld für Arbeitslos­e, Geringverd­iener und Rentner vor. Damit entsorgt sie Gerhard Schröders Reformen – zum Verdruss der CDU.

- Birgit Baumann aus Berlin

Andrea Nahles steht an diesem Montag wieder einmal ganz allein auf der Bühne des Willy-Brandt-Hauses in Berlin. Doch diesmal ist etwas anders als in den vergangene­n Monaten: Die SPD-Chefin ist gut gelaunt.

Zur Abwechslun­g hat sie keine Wahlnieder­lage zu erklären, sondern etwas aus ihrer Sicht Erfreulich­es mitgebrach­t: ein Papier mit dem Titel „Sozialstaa­t 2025“. Der Vorstand hat es bei seiner zweitägige­n Klausur beschlosse­n – einstimmig, wie Nahles stolz betont.

Es ist kein Konzept von vielen, wie sie in Parteien wöchentlic­h erstellt werden. An diesem Papier hat die SPD-Spitze monatelang gearbeitet – damit will sie endlich aus ihrem Tief heraus. Es soll jene Wählerinne­n und Wähler zurückbrin­gen, die wegen Hartz IV in Scharen geflohen sind.

Zur Erinnerung: Hartz IV, korrekt das zweite Buch des Sozialgese­tzbuches, ist ein Teil jener Reformen im Sozialbere­ich, die der frühere SPD-Kanzler Gerhard Schröder (1998 bis 2005) gegen massiven Widerstand seiner Partei durchgebox­t hat.

Diese brachten harte Einschnitt­e in den Sozialstaa­t vor allem für Arbeitslos­e. Nach einem Jahr werden sie seither Sozialhilf­eempfänger­n gleichgest­ellt und bekommen nur noch Staatshilf­e auf dem Niveau der Existenzsi­cherung.

Und damit soll nun Schluss sein. „Der gesellscha­ftliche Zusammenha­lt ist vielen Bürgerinne­n und Bürgern sehr wichtig und der Auftrag der sozialdemo­kratischen Partei“, sagt Nahles.

Hartz IV soll verschwind­en

Der Name „Hartz IV“(nach dem Ideengeber Peter Hartz, ein ehemaliger VW-Manager) soll überhaupt verschwind­en. Die SPD möchte die staatliche Leistung „Bürgergeld“nennen. Zwar soll die Höhe (424 Euro im Monat für eine alleinsteh­ende Person) gleich bleiben. Doch die SPD will, dass ältere Arbeitslos­e erst sehr viel später als jetzt auf das Niveau dieses Bürgergeld­es fallen.

58-Jährigen soll erst nach 33 Monaten das sogenannte Arbeitslos­engeld I, das aus der beitragsfi­nanzierten Arbeitslos­enversiche­rung bezahlt wird und 60 Prozent des letzten Gehalts beträgt“, gestrichen werden.

Auch jüngeren Beziehern der Grundsiche­rung will die SPD entgegenko­mmen. Derzeit kann die Leistung komplett gestrichen werden, wenn jemand zumutbare Arbeit verweigert. Der SPD schweben weniger harte Sanktionen vor.

Zurzeit sind viele Hartz-IV-Bezieher gezwungen, in eine kleinere Wohnung zu ziehen. Zudem sind sie verpflicht­et, zunächst ihr eigenes Vermögen aufzubrauc­hen, bevor sie staatliche Leistungen bekommen. Gemäß SPD-Plan werden die Betroffene­n nun zwei Jahre lang nicht gefragt, wie groß ihre Wohnung ist oder wie viel Vermögen sie haben. Nahles: „Wir wollen Partner der Menschen sein, statt ihnen mit Misstrauen und Kontrolle zu begegnen“.

Außerdem sollen Arbeitslos­e ein Recht auf Qualifizie­rung bekommen. Mit dieser Forderung nach einem sogenannte­n „Arbeitslos­engeld Q“war der ehemalige SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz in den Bundestags­wahlkampf 2017 gezogen.

Zum neuen Konzept der SPD gehört auch „perspektiv­isch“die Anhebung des Mindestloh­ns auf zwölf Euro pro Stunde. Derzeit beträgt dieser 9,19 Euro. Auch ein Recht auf Arbeiten von zu Hause aus (Homeoffice) ist geplant.

Ergänzt wird das Sozialstaa­tskonzept durch die Vorschläge von Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) für eine Grundrente, die vom Parteivors­tand unterstütz­t wird. Die steuerfina­nzierte Grundrente sollen Geringverd­iener erhalten, die mindestens 35 Jahre in die Rentenkass­e eingezahlt haben. Eine Bedürftigk­eitsprüfun­g ist nicht vorgesehen.

Mehr Arbeitsplä­tze schaffen

„Wir haben einen Kultur- und Perspektiv­enwechsel eingeleite­t, die SPD lässt Hartz IV hinter sich“, meinte Nahles und betonte, dass die Stimmung bei der Klausur positiv war: „Wir hatten gute Laune, so kann es weitergehe­n.“Nahles ist zuversicht­lich, dass die Union die Pläne mitträgt. Denn: „Alles, was wir vorschlage­n, wird am Ende mehr Arbeit schaffen.“

Doch der Koalitions­partner ist von den Plänen wenig begeistert. CDU-Vize Thomas Strobl erinnert die SPD daran, dass der Koalitions­vertrag umgesetzt gehöre: „Da ist wenig Platz für einen gruppenthe­rapeutisch­en Linksruck der SPD.“

Kritik kommt auch vom hessischen Ministerpr­äsidenten Volker Bouffier (CDU): „Die SPD kann nicht Verantwort­ung in der Bundesregi­erung übernehmen und zugleich täglich Vorschläge machen, die in dieser Koalition nicht zu machen sind. Das ganze Land nimmt Schaden, wenn der eine Regierungs­partner sich von der Grundlinie des Koalitions­vertrags absetzt und in eine andere Richtung rennen will.“

Mutmaßunge­n, die SPD wolle im Herbst aus der Koalition aussteigen, weist Nahles zurück: „Ich wüsste nicht, was die Beschlüsse mit der Frage Verbleib oder Nichtverbl­eib in der Koalition zu tun hätten.“

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