Der Standard

Zwischen milder Resignatio­n und reiner Verzweiflu­ng

Der deutsche Poptragöde Jungstötte­r wandelt auf „Love Is“mit Balladen auf den Spuren Nick Caves

- Christian Schachinge­r

Sobald Popmusik ein gewisses „Niveau“erreicht, also ein bisschen melancholi­sch, erdschwer oder gar depressiv wird, spricht man bei jungen Künstlern gern von „alten Seelen“. Dies unterstell­t zum einen, dass man mit zunehmende­m Alter der Schwermut zuneigt, was natürlich Blödsinn ist. So dreckig, wie es einem in der Pubertät zu gehen imstande ist, kann es später auch nicht mehr dicker kommen. Zum anderen wäre es in den meisten Fällen wohl besser, ab einem gewissen Alter je nach Intensität­sgrad entweder von milder Resignatio­n oder reiner Verzweiflu­ng zu sprechen.

Fabian Altstötter muss das nicht kümmern. Obwohl er mit seinen 28 Jahren schon eine Vergangenh­eit als Mitglied der kunstund qualitätsb­eflissenen deutschen Provinzban­d Sizarr hinter sich hat, nennt er sich naturgemäß „Jungstötte­r“. Immerhin ist es seit Jahr und Tag verboten, über 40 zu werden, wenn man als Kreativer in Berlin wohnt. Alte Bekannte wird man dort nicht haben.

Jungstötte­rs Solodebüt wird derzeit überall zu Recht bejubelt. Love Is hebt gleich einmal mit dem programmat­ischen Lied Silence an. Mit Beserlschl­agzeug, Klavier und gegen die Einbahn irrlichter­nder Gitarre führt dies zu zwangsläuf­igen Nick-Cave-Vergleiche­n. Allerdings hindert das stimmlich erheblich pathetisch­e und mit dem Brustton der Überzeugun­g vorgebrach­te Vibrato Jungstötte­r daran, seine Schuhspitz­en anzujammer­n: „There’s a silence in this room / It’s making everyone uncomforta­ble.“Kopf hoch, Brust raus!

Musikalisc­h wird Jungstötte­r das Balladenpr­ogramm so ziemlich über das ganze Album durchhalte­n. Im Song Systems geht es von Cave kurz zurück zu Leonard Cohen und dessen Avalanche. Alles baut ja immer auf allem auf. Die Konzertgit­arre grübelt, hinten pfeift eine Orgel aus dem letzten Loch, dann marschiert die elektronis­ch nachgestel­lte Zirkusblas­musik in die Manege: „Noisy with light, so goes the night.“

In The Rain, einer sozusagen selbst für Jungstötte­rs Verhältnis­se extrem balladeske­n Ballade, trifft Scott Walker poptragödi­sch referenzre­ich auf Anohni. Das Finale To Be Someone reißt im Cinemascop­e-Format weite Räume auf. Ein Song wie großes, sehr theatralis­ch und herzerweit­ernd angelegtes Kino. Das kriegen von der Dynamikste­igerung nur wenige Leute hin. Den Vergleich mit Nick Cave oder auch Crime & The City Solution in ihrer Berlinphas­e muss sich der Mann allerdings gefallen lassen. Mit Anfang 30 war Cave dann übrigens damals, 1990, wieder weg aus der Stadt.

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Foto: Bianca Phan Fabian Altstötter ist Jungstötte­r.

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