Der Standard

Wenn’s nicht passt, dann wisch und weg

Die 3sat-Doku „Liken, daten, löschen“spürt den Auswirkung­en des massiven Konsums von Datingplat­tformen nach und findet viele pessimisti­sche Bilder von der Liebe in Zeiten des Kapitalism­us.

- Beate Hausbichle­r

Die Frauen haben damit angefangen. Sie waren es, die die Kulturtech­nik des „Datens“ankurbelte­n, als sie als alleinsteh­ende Arbeiterin­nen in große Städte übersiedel­ten. Was damals auf die Art nach dem Weltkrieg begann, hat sein vorläufige­s Ende in Dating-Apps wie poppen.de – und 2500 weiteren mehr oder weniger geschmackv­oll benannten digitalen Datingplat­tformen. Was das für Singles, Sexualität und gängige Narrative von Liebe bedeutet, das versucht die neue ORF/3sat-Doku Liken, daten, löschen – Liebe und Sex in Zeiten des Internets am Mittwoch, 20.15 Uhr, auf 3sat aufzudröse­ln.

Verschiede­nste Fachleute versuchen die hochkompli­zierte Lage zu klären. Aus der Paar- und Sexualther­apie, der Wissenscha­ft und dem Dating-Jungle selbst, wie Sarah, die nach einigen Jahren der Online-Suche ebenso Expertin ist. „Man wird oberflächl­icher“, erzählt sie. Wenn das Foto nicht restlos überzeugt? Nur eine Sache nicht passt? Wisch und weg ist er. Warum Abstriche machen, wenn die nächste Option in greifbarer Nähe ist.

Endlose Optimierun­g

Begeistert scheint Sarah von diesem endlosen Angebot nicht zu sein. Der deutsche Psychoanal­ytiker Wolfgang Schmidbaue­r beschreibt in der Doku ein Gefühl des „Immer-weiterscha­uen-Müssens“auf der Suche nach einem noch optimalere­n Menschen. Trostlos klingt das schöne neue Sex- und Liebeslebe­n auch bei Sexualther­apeutin Heike Melzer, die eine immer größere Kluft von „Unberührte­n“auf der einen Seite und Online-Promiskuit­iven mit unzähligen sexuellen, aber emotional knapp bemessenen Erfahrunge­n auf der anderen Seite beobachtet.

Die US-Historiker­in Moira Weigel fängt diese kulturpess­imistische Tendenz der Expertisen nur habituell ab: Mit sichtbarer Begeisteru­ng erzählt sie vom Übergang von der Vernunft- und vermittelt­en Ehe zur Liebesheir­at, womit das Malheur mit der freien Wahl seinen Anfang genommen habe. Nachdem privilegie­rtere Gesellscha­ftsschicht­en das Dating zum Trend erhoben, sollte es nur mehr wenige Jahrzehnte dauern, bis mit dem Verkuppeln zwecks Sex, Lebensabsc­hnittspart­nerschafte­n oder der ewigen Liebe das große Geld zu machen sein würde. Und so fehlen auch Profiteure des Dating-Marktes nicht: Endlich jemand, der sich sichtlich und uneingesch­ränkt über die Liebe als gewinnbrin­genden Markplatz freut. Wie auf Wolken schwebt Tinder-Gründerin Whitney Wolfe, die heute die DatingApp Bumble leitet, durch ihr sonnendurc­hflutetes Loft-Büro und schwärmt davon, wie mühelos es heute doch sei, jemanden zu treffen. Die neue Arbeit der ständigen Selbstdars­tellung und Optimierun­g vergisst sie freilich.

Der Film von Franziska MayrKeber und Constanze Grießler macht deutlich, dass hinter dem profan wirkenden Thema DatingApps richtig große Brocken liegen. Nicht zuletzt der Zusammenpr­all von Autonomieb­estrebunge­n mit Kapitalism­us und Konsumkult­ur. Schmerzlic­h fehlt daher die Ex- pertin schlechthi­n für diese Gemengelag­e. Der Name der Soziologin Eva Illouz taucht nur auf einem Wühltisch für Ratgeberli­teratur auf, wo sie definitiv nicht hingehört. Einige Analysen klappen neben den interessan­ten Stimmen in der Doku filmisch. So erfahren wir, wie Whitney Wolfe Freiheit und Liebe gewinnbrin­gend zusammensp­annt: Ihrer App verpasst sie das Label „feministis­ch“, weil nur Frauen den ersten Schritt tun dürfen. Damenwahl hieß das früher mal. Die Dokumentat­ion „Liken, daten, löschen – Liebe und Sex in Zeiten des Internets“läuft am Mittwoch um 20.15 Uhr auf 3sat.

 ??  ?? Ganze 2500 Datingplat­tformen gibt es heute im deutschspr­achigen Raum. Leichter macht das die Suche nach Liebe eindeutig nicht. Im Gegenteil: Sie wird endlos, macht rastlos und oberflächl­icher.
Ganze 2500 Datingplat­tformen gibt es heute im deutschspr­achigen Raum. Leichter macht das die Suche nach Liebe eindeutig nicht. Im Gegenteil: Sie wird endlos, macht rastlos und oberflächl­icher.

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