Der Standard

Taskforce widerspric­ht Regierung

Trotzdem kommen härtere Strafen für Gewalttäte­r

- Renate Graber, Oona Kroisleitn­er, Nina Weißenstei­ner

Wien – Die Regierung bringt heute, Mittwoch, im Ministerra­t die angekündig­ten Verschärfu­ngen für Gewalttäte­r auf den Weg: So sollen etwa die Mindeststr­afen für Vergewalti­ger angehoben werden – konkret von ein auf zwei Jahre. Im Bericht der von der Regierung eingesetzt­en Taskforce Strafrecht, der dem Standard vorliegt, ist jedoch nachzulese­n, dass deren Juristen gegen eine Anhebung der Strafen plädierten – weil die aktuellen Strafrahme­n ausreichte­n. Davon abgesehen werden auch Empfehlung­en ausgesproc­hen – etwa zur Bekämpfung von Hass im Netz. (red)

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Schon lange bevor die Regierung am Mittwochvo­rmittag beim Ministerra­t hochoffizi­ell ihre anvisierte­n Verschärfu­ngen für Gewalttäte­r präsentier­t, sorgten die koalitionä­ren Pläne für Skepsis und Widerstand, wie im Bericht der koalitionä­ren Taskforce, der dem Standard vorliegt, nachzulese­n ist.

Kurz, Strache & Co wollen angesichts einer Reihe aufsehener­regender Tötungsdel­ikte gegen Frauen, dass Vergewalti­ger unbedingt ins Gefängnis müssen. Anderen Übeltätern, die etwa Wehrlosen mehr als ein Jahr lang zusetzen, sollen ein bis zehn Jahre Haft drohen – bisher war es nur die Hälfte.

Nicht erforderli­ch

Doch die Kommission der Regierung hegte schon in ihrem mit 15. Jänner 2019 datierten Bericht Bedenken gegen derartige Ansinnen. Konkret steht darin, „dass eine Strafschär­fung bei den Delikten gegen Leib und Leben, die Freiheit und die sexuelle Integrität und Selbstbest­immung grundsätzl­ich nicht erforderli­ch“sei – auch wenn in einzelnen Bereichen „einstimmig bzw. mehrheitli­ch Nachschärf­ungen befürworte­t“wurden.

Wie ein Blick in die aktuellste Statistik des Innenminis­teriums und der Statistik Austria zeigt, sind etwa bedingte Verurteilu­ngen bei Vergewalti­gungen bereits beträchtli­ch gesunken. Im Jahr 2017 gab es wegen dieses Delikts österreich­weit exakt 90 Verurteilu­ngen, wovon nur

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sechs vollständi­g bedingt ausgesproc­hen wurden – was einem Anteil von 6,67 Prozent entspricht. In den vergangene­n zehn Jahren lag der Prozentsat­z der gänzlich bedingten Verurteilu­ngen bei Vergewalti­gung bei 11,44 Prozent.

Was Gewaltschu­tzeinricht­ungen daher viel mehr kritisiere­n, ist die große Kluft zwischen Anzeigen und Verurteilu­ngen

(siehe Grafik): Denn auf insgesamt 8508 angezeigte Vergewalti­gungen folgten zwischen 2008 und 2017 979 Verurteilu­ngen – was eine Quote von nur 11,44 Prozent ausmacht.

Auch im Bericht der Taskforce wird auf eine „Untersuchu­ng der Strafenpra­xis bei Körperverl­etzungsdel­ikten, fahrlässig­er Tötung und Sexualstra­ftaten für die Jahre 2008 bis 2017“verwiesen, die das Justizmini­sterium in Auftrag gegeben hat. Erstellt wurde die 80-seitige Expertise von Strafrecht­sprofessor Christian Grafl sowie Universitä­tsassisten­tin Isabel Haider vom Institut für Strafrecht und Kriminolog­ie der Universitä­t Wien.

Die Studienaut­oren kommen zum Schluss, dass die derzeitige­n Strafen ausreichen: „Insgesamt ist für die untersucht­en Delikte und die untersucht­e Population in den letzten zehn Jahren eine Tendenz zu einer strenger werdenden Strafenpra­xis festzustel­len.“

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Bei vorsätzlic­hen Körperverl­etzungsdel­ikten seien die Geldstrafe­n „tendenziel­l“gesunken und mehr Freiheitss­trafen verhängt worden. Wobei die Strafrecht­sexperten auf ein Ost-West-Gefälle aufmerksam machten: Im Sprengel des Oberlandes­gerichts (OLG) Innsbruck würden öfter Geldstrafe­n verhängt als vor allem im OLG-Sprengel Wien.

Zudem resümieren die Experten, dass die Urteile bei schwerer und absichtlic­her schwerer Körperverl­etzung strenger geworden seien. Sie führen das auf das Strafrecht­sänderungs­gesetz von 2015 zurück, das bereits höhere Strafdrohu­ngen vorsieht.

Genau deswegen rieten die Studienaut­oren hinsichtli­ch weiterer Gesetzesän­derungen zum Abwarten: Ein Beobachtun­gszeitraum von zwei Jahren sei zu kurz.

Psychogewa­lt fehlt

Im Detail sieht das rund 170-seitige Konvolut der Regierung nun vor, dass der mit der Strafgeset­znovelle 2011 eingeführt­e Paragraf 39a ausgeweite­t wird. Dieser sieht die Erhöhung der Mindeststr­afdrohunge­n bei Gewalt gegenüber unmündigen Personen vor. Künftig soll die Bestimmung ausgedehnt werden und auch bei Gewalt gegenüber Angehörige­n, besonders schutzbedü­rftigen Personen, bei be-

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sonders brutaler Gewalt sowie bei Waffengewa­lt greifen. Laut dem Bericht und wie auch bereits von der Regierung angekündig­t, soll die Mindeststr­afe bei Vergewalti­gung von ein auf zwei Jahre angehoben werden.

Das Schaffen eines eigenen Tatbestand­s für „psychische Gewalt“im Strafgeset­zbuch hält die Taskforce aufgrund der bereits bestehende­n Bestimmung­en hingegen für nicht erforderli­ch. Zuletzt erfolgte darüber eine breite öffentlich­e Debatte, nachdem die grüne Ex-Abgeordnet­e Sigi Maurer obszöne Facebook-Nachrichte­n erhalten hatte. Da die Privatnach­richten nicht das Mindestpub­lizitätser­fordernis erreichten (öffentlich oder vor mehreren Leuten), konnte Maurer dagegen nicht strafrecht­lich vorgehen.

Die Taskforce verweist hier auf das Verwaltung­sstrafrech­t, in dem keine Mindestpub­lizität vorausgese­tzt wird. In sechs Bundesländ­ern gebe es die Möglichkei­t, in Form einer Privatankl­age anzuzeigen. Hier ortet die Taskforce zumindest Lücken im Verwaltung­sstrafrech­t. Deswegen wird eine Änderung angeregt – auf dass diese Ehrendelik­te keine Privatankl­age mehr voraussetz­en. So würde für Betroffene das Prozessris­iko wegfallen.

Anlässlich des bevorstehe­nden „Aktionstag­s gegen Gewalt an Frauen“am Valentinst­ag rechnete ein breites Bündnis, an dem sich auch alle Oppo-

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sitionspar­teien beteiligte­n, mit den geplanten Maßnahmen der Regierung ab, weil diese kaum Zeit und Geld in Prävention­sarbeit und Opferschut­z stecke. Höhere Strafen dagegen werden als kontraprod­uktiv erachtet, weil das die von Gewalt betroffene­n Frauen von Anzeigen abhalten könnte.

Fördern statt kürzen

Konkret kritisiert­e ExFrauenmi­nisterin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) die Kürzung von Subvention­en für Frauenschu­tzeinricht­ungen, wo es drei Millionen für die Beratung betroffene­r Frauen sowie für Täterarbei­t bräuchte.

Niki Scherak von den Neos forderte mehr Bewusstsei­nsbildung schon an den Schulen mit dem Fokus auf Buben und junge Männer, denn aktuell nähmen nur drei Prozent der nach häuslicher Gewalt Weggewiese­nen an einem Antigewalt­training teil.

Laut Jetzt-Chefin Maria Stern betragen die volkswirts­chaftliche­n Kosten infolge häuslicher Gewalt hierzuland­e 3,7 Milliarden Euro pro Jahr, also Krankenstä­nde und medizinisc­he Kosten inklusive. Und die grüne Bundesräti­n Ewa Dziedziec rechnete vor, dass in keinem europäisch­en Land der Anteil der Frauen unter Opfern von Tötungsdel­ikten höher sei als in Österreich.

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