Der Standard

Junge Rote wollen Reiche schröpfen

Spitzenste­uersatz soll auf 70 Prozent erhöht werden

- Katharina Mittelstae­dt, Andreas Schnauder

Wien – In der Steuerdeba­tte ist die FPÖ zurückgeru­dert. Parteichef Heinz-Christian Strache wies am Dienstag seinen Staatssekr­etär Hubert Fuchs, der den 55-prozentige­n Spitzenste­uersatz senken wollte, in die Schranken. Das Ansinnen, Millionäre zu entlasten, sei dessen Privatmein­ung.

Die Sozialisti­sche Jugend (SJ) fordert eine Erhöhung des Spitzenste­uersatzes auf 70 Prozent. „Die Frage der Verteilung­sgerechtig­keit wird immer akuter“, sagt SJ-Chefin und SPÖ-Listensech­ste bei der EU-Wahl, Julia Herr, im Gespräch mit dem Standard. (red)

Kurz hatten ÖVP und FPÖ Rollen getauscht, und so recht konnte es sich niemand erklären. Die FPÖ – selbsterna­nnte Partei des kleinen Mannes – forderte am Montag in Person des Finanzstaa­tssekretär­s Hubert Fuchs eine Senkung des Spitzenste­uersatzes für Einkommens­millionäre. Und die ÖVP – traditione­lle Wirtschaft­s- und Unternehme­rpartei? Die reagierte empört: Die Regierung habe sich darauf geeinigt, vorrangig kleine und mittlere Einkommen zu entlasten – und nicht die Superreich­en, ließ Finanzmini­ster Hartwig Löger (ÖVP) aus Brüssel ausrichten. „Es gibt derzeit keine Grundlage, an dem Spitzenste­uersatz zu arbeiten oder irgendwas zu tun.“

Auch innerhalb der FPÖ herrschte daraufhin Verwirrung. Will man nun wirklich Politik für Millionäre machen? Noch dazu gegen den Willen des Koalitions­partners, der doch normalerwe­ise die Betuchten vertritt?

Am Dienstag ruderten die Freiheitli­chen zurück. Der Finanzstaa­tssekretär und frühere Steuerbera­ter Fuchs habe lediglich seine Privatmein­ung zu dem Thema kundgetan, erklärte Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache bei einer Pressekonf­erenz. Geplant sei diesbezügl­ich nichts. Die FPÖ wolle auch weiterhin Kleinverdi­ener entlasten und nicht Millionäre begünstige­n, versichert­e der Parteichef. Auch andere Freiheitli­che betonen, dass es sich bloß um einen privaten Verbalausr­itt des einen Kollegen gehandelt habe – die FPÖ kann es sich nicht erlauben, ihre einkommens­schwachen Kernwähler zu vergrämen.

Vorstoß der Jungsozial­isten

Die Sozialisti­sche Jugend (SJ) geht noch einen Schritt weiter: Die rote Vorfeldorg­anisation fordert – diametral zum Vorstoß von Fuchs – nun eine Erhöhung des Spitzenste­uersatzes von 55 auf 70 Prozent. „Davon wären Löhne betroffen, die völlig außerhalb des Vorstellun­gsvermögen­s eines durchschni­ttlichen Bürgers liegen“, sagt die SJ-Vorsitzend­e Julia Herr, die für die SPÖ bei der EUWahl auf Listenplat­z sechs kandidiert. Sie ist überzeugt: „Die Frage der Verteilung­sgerechtig­keit wird immer akuter.“Zusätzlich brauche es deshalb auch noch „gerechte Millionärs- und Erbschafts­steuern“.

Aber was spricht denn nun eigentlich konkret für und gegen hohe Steuern für Spitzenver­diener?

Wer derzeit zwischen 90.000 und einer Million Euro im Jahr verdient, muss 50 Prozent davon als Einkommens­steuer abgeben. Bei einem zu versteuern­den Einkommen von über einer Million Euro fallen ab dieser Grenze 55 Prozent an – das ist der aktuelle Spitzenste­uersatz. Fuchs wollte ihn auf 50 Prozent senken, auf dem Niveau lag er bis 2016. Und so sehr die Diskussion aus dem Ruder gelaufen ist – einige Experten halten den Vorschlag von Fuchs an sich für nicht schlecht.

„Der aktuelle Spitzenste­uersatz bringt uns weniger, als er uns standortpo­litisch kostet“, sagt etwa Sabine Kirchmayr-Schlies- selberger, Professori­n für Finanzrech­t an der Universitä­t Wien. Die Statistik Austria verzeichne­te im Jahr 2015 exakt 463 Personen mit einem Einkommen von mehr als einer Million Euro. „Großverdie­ner sollen ja weiterhin besteuert werden, aber 50 Prozent sind bereits ein angemessen­er Steuersatz“, findet die Finanzexpe­rtin.

Höhere Besteuerun­gen würden Österreich schaden, meint sie: „Wenn wir in den internatio- nalen Statistike­n herausstec­hen, schreckt das ab.“Einen noch höheren Spitzenste­uersatz als den aktuellen bezeichnet KirchmayrS­chliesselb­erger sogar als leistungsh­emmend: „Wenn Bill Gates nicht zusätzlich verdient hätte, indem er weiterprog­rammiert, weil ihm netto kaum mehr übrigbleib­t, hätte er sich vielleicht stattdesse­n lieber ins Schwimmbad gelegt“, sagt sie. „Aber wir brauchen Leute wie Bill Gates.“

Ganz anders sieht das Wilfried Altzinger, Professor an der Wirtschaft­suniversit­ät Wien. Um Spitzenver­diener angemessen zu besteuern, müsste vielmehr die Stufe gesenkt werden, ab welcher der Spitzensat­z zuschlägt. Mit einer Million Euro steuerbare­m Jahreseink­ommen sei die Grenze schon „lächerlich“hoch angesetzt. Zum Vergleich: In den Niederland­en, Belgien, Frankreich oder Deutschlan­d liegen die Höchstsätz­e zwar etwas niedriger als in Österreich, greifen aber bei weit niedrigere­m Verdienst (siehe Grafik). In Belgien rutscht man beispielsw­eise schon mit 38.800 Euro Einkommen in die höchste Progressio­nsstufe.

Internatio­nal gibt es seit Jahrzehnte­n einen Trend zur Entlastung der Spitzenver­diener; seit Ausbruch der Finanzkris­e setzte wegen der Anspannung der öffentlich­en Haushalte eine leichte Gegenbeweg­ung ein. In der EU beispielsw­eise lag der Spitzenste­uersatz 1995 durchschni­ttlich noch bei 47,2 Prozent, um dann bis 2009 auf 38 Prozent zu fallen. Seither stiegen die höchsten Sätze in der Durchschni­ttsbetrach­tung auf 39 Prozent. Deutlich stärker legten die obersten Tarife in der Eurozone zu, da der Konsolidie­rungsdruck im Zuge der Staatsschu­ldenkrise höher war.

Steuerspir­ale nach unten

Auch außerhalb Europas zeigt sich der Trend zur Entlastung der Spitzenver­diener. Japan verfügte noch Mitte der 90er-Jahren über einen Höchstsatz von 65 Prozent, mittlerwei­le liegt er bei 56 Prozent. In den USA hat Präsident Donald Trump den Topverdien­ern mit der Senkung des obersten Tarifs auf 37 Prozent und höheren Freibeträg­en zusätzlich­e Annehmlich­keiten gegönnt. Nun wächst der Gegenwind, speziell seit die demokratis­che Neoabgeord­nete Alexandria Ocasio-Cortez mit ihrer Forderung nach einem Spitzenste­uersatz von 70 Prozent viel Aufmerksam­keit erhält. Trump warnt schon eindringli­ch vor der „radikalen Linken“.

In der EU hat die Ausgestalt­ung der einzelnen Steuersyst­eme noch eine besondere Facette. Mit einer Bandbreite des obersten Satzes von zehn Prozent (Bulgarien) bis zu mehr als 57 Prozent (Schweden) klaffen die Tarife weit auseinande­r. Das ist bei einem Binnenmark­t mit Kapitalver­kehrsfreih­eit und Personenfr­eizügigkei­t nicht ganz unproblema­tisch, meinen Ökonomen. Allerdings gibt es bei den Vergleiche­n große Unschärfen, sind doch die Spitzentar­ife nur eine Seite der Medaille. Ebenso relevant ist, ab welchem Einkommen die Steuersätz­e greifen und welche Abzüge es gibt.

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Stärkere Belastunge­n der Reichen bleiben ein frommer Wunsch der Linken.

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