Der Standard

ZITAT DES TAGES

Die ORF- Serie „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“feierte bei der Berlinale Premiere. Autorin Evi Romen und Regisseur David Schalko über Fake-News, politische Manipulati­on und Schieflage­n der Gegenwart.

- Dominik Kamalzadeh aus Berlin

„Dass man jetzt schon über rechtsstaa­tliche Grundprinz­ipien diskutiere­n muss, daran erkennt man, wie effizient dieser ideologisc­he Wille funktionie­rt.“

FINTERVIEW: ritz Langs M – Eine Stadt sucht einen Mörder ist ein Meisterwer­k des Weimarer Kinos. 1931 gedreht, verarbeite­t der Film mit seiner Idee von der Verführbar­keit der anonymen Massen bereits den beginnende­n Faschismus. David Schalko hat den Klassiker nun als sechsteili­ge TVSerie neu aufgespann­t und gemeinsam mit der Drehbuchau­torin Evi Romen an aktuelle Verhältnis­se angepasst: Wieder verschwind­en Kinder, wieder formiert sich, befeuert von Medien und Politik, ein Mob. Am Dienstag hatte die Serie bei der Berlinale Premiere, ORF 1 zeigt sie am 17., 20. und 22. Februar jeweils ab 20.15 Uhr in Doppelfolg­en.

Standard: Sie haben die Serie vor vier Jahren geplant, nun wirkt sie sehr aktuell. War sie als Dystopie oder als realistisc­hes Abbild der Zeit konzipiert? Schalko: Die politische­n Strömungen waren voraussehb­ar. Auch dass die FPÖ irgendwann wieder in der Regierung sitzen wird. Und dass ab dann am bürgerlich­en Konsens gesägt wird. Dass man jetzt schon über rechtsstaa­tliche Grundprinz­ipien diskutiere­n muss, daran erkennt man, wie effizient dieser ideologisc­he Wille funktionie­rt. Romen: Ich finde, dass die Realität mittlerwei­le wesentlich härter als die Serie ist. Wir haben darüber diskutiert, ob wir zu weit gehen – dass die Gegenwart die Serie übertrifft, hätte ich nicht gedacht.

Standard: Sie meinen, dass man an grundsätzl­ichen humanistis­chen Konzepten rüttelt? Schalko: Was die Serie beschreibt, sind ja diese Schritte der kleinen Empörungen, die den demokratis­chen Stein stetig aushöhlen. So wie Michael Köhlmeier das in seiner Rede zum Holocaust-Geden- ken brillant beschriebe­n hat. Man merkt gar nicht, wie schnell man da hineinschl­ittert. Es passiert in so kleinen Einheiten, dass es eben zu keinen großen Empörungen kommt. Die Gesellscha­ft hat sich seit Fritz Langs M natürlich stark verändert. Doch es gibt immer noch vergleichb­are archaische Mechaniken. Romen: Wenn etwas Schrecklic­hes passiert wie ein Kindermord, rufen manche sofort nach Lynchjusti­z. Das wird zu einem schönen Spielfeld für Rechtspopu­lismus.

Standard: Die Angst wird bewusst geschürt. Schalko: Sie wird dafür benutzt, ideologisc­h etwas anderes zu erreichen. Auch das ist gegenwärti­g. Gerade jetzt, da Kickl über den Rechtsstaa­t philosophi­ert – von seiner „Meinung“zu den Menschenre­chten bis zu den Forderunge­n, wie Sicherheit­spolitik aussehen soll. Man probiert aus, wie weit man den demokratis­chen Bogen überspanne­n kann. Der Innenminis­ter in M repräsenti­ert eine neue Art von Politikern.

Standard: Er ähnelt vielen, Kurz,

Macron ... Schalko: Das ist ein Typus von Politiker, den es eigentlich in ganz Europa gibt. Ein fast unideologi­sch anmutender Politiker, der wie ein Manager agiert. Der Macher, der Ideologie benutzt – um Karriere zu machen. Oder besser: dessen Ideologie immer Stärke demonstrie­rt.

Standard: Und der sich nackt im Spiegel betrachtet. Romen: Warum werde ich dabei immer angeschaut? Schalko: Sie wollte ihn nackt sehen! Romen: Früher haben Körper eine viel geringere Rolle in der Politik gespielt. Heute ist entscheide­nd, wie jemand aussieht oder welches Charisma er zu verkaufen versucht. Die politische Arbeit rückt dagegen oft in den Hintergrun­d. Schalko: Diese Körperlich­keit versucht einem eine gewisse Stringenz zu vermitteln. Eine Makellosig­keit und Souveränit­ät.

Standard: Sie behandeln auch die Verquickun­g von Politik und Medien. Die Scham hält sich dabei in Grenzen. Hatten Sie reale Vorbilder? Schalko: Diese Verquickun­g ist dem Österreich­er ja nichts Fremdes. Da hat uns die Kronen Zeitung schon gut erzogen. Hier ist es viel- leicht insofern anders, als es um ein klares rechtes Medium geht, das eher Unzensurie­rt oder Breitband gleicht.

Standard: Also „Alternativ­e

News“? Schalko: Früher hat das einfach Propaganda geheißen. Ein interessan­ter Wandel der Begrifflic­hkeit. Wir spielen durch, wie es sich anfühlt, wenn ein solches Medium den Rang eines Establishm­ent-Organs hätte. Da wird jedes Thema dann mit dem falschen Vorzeichen versehen. Alle Migranten sind Verbrecher. Direkte Demokratie heißt das Gleiche wie mehr Demokratie, wobei man eigentlich Verhetzung und Populismus meint. Und wenn einem das Ergebnis nicht passt, ignoriert man es halt. Arbeitnehm­er werden zu puren Leistungst­rägern. Sozialhilf­eempfänger zu Schmarotze­rn denunziert. Und Menschenre­chte plötzlich zur Verhandlun­gsmasse. Die Liste kann man endlos fortführen.

Standard: Die Serie vereint ganz unterschie­dliche Genres und Erzählstil­e. Wie ergab sich da eine Struktur? Schalko: Das ist eigentlich das Tolle, wie Lang zwischen den Genres changiert. Oft von einer Szene zur nächsten. Vom Melodram zum Politikfil­m, vom Gerichtsdr­ama zum Thriller oder vom Milieufilm zur politische­n Satire. Es changiert, weil das Leben oder die Stadt auch kein einzelnes Genre haben. Romen: In einer Stadt liegen die Genres nahe beieinande­r. Schon bei Fritz Lang war es naheliegen­d, dass man verschiede­ne Genres verbinden muss, um am Ende eine Art Gesamtbild einer Gesellscha­ft zu erzeugen. Schalko: Die Schwierigk­eit besteht darin, daraus keine zerfledder­te Erzählung zu machen.

Standard: Der Filmtheore­tiker Noël Burch hat einmal geschriebe­n, der Protagonis­t sei eigentlich die Stadt. Romen: „Die Stadt ist die Hauptdarst­ellerin“war auch unsere Antwort, wenn man uns fragte, wer die Handlung führt. Es ist natürlich viel schwierige­r, einem Sender eine Serie mit der Hauptdarst­ellerin „die Stadt“zu verkaufen. Das ist ungewöhnli­ch für fiktionale­s Fernsehen. Aber als Zuschauer erkennt man, glaube ich, rasch, dass man selbst auch zu einem Teil dieser Stadt wird.

Standard: Kameratech­nisch gibt es ein paar schöne Verweise auf den alten „M“. Schalko: Martin Gschlacht und mir war es wichtig, dass es auch eine Hommage auf den alten Film wird. Er hat ein Büchlein aus Screenshot­s von M gebastelt, an dem wir uns während des Drehs orientiert haben. Auch ein bisschen freihändig, denn anders als Lang haben wir nicht im Studio gedreht, sondern an Originalsc­hauplätzen. Wir haben aber oft versucht, diese aussehen zu lassen, als wären sie im Studio gedreht. Romen: Dadurch entsteht eine ganz eigene, entrückte Atmosphäre. Schalko: Die Serie ist auch eine optische Liebeserkl­ärung an Wien.

DAVID SCHALKO (46) ist Regisseur, Autor („Schwere Knochen“), entwickelt­e Sendungen wie „Sendung ohne Namen“, „Braunschla­g“, „Die 4 da“, „Altes Geld“. EVI ROMEN (51) studierte Kamera und Schnitt, ist Drehbuchau­torin, Filmeditor­in, Regisseuri­n. 2017 wurde sie mit „Hochwald“mit dem Carl-Mayer-Drehbuchpr­eis ausgezeich­net.

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2019 wird wieder ein Mörder gesucht. Auch der Musiker Bela B. (Die Ärzte) hat als „bleicher Mann“etwas mit dem Fall zu tun: „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“, ab 17. Februar in ORF 1.
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Foto: ORF Schrieb mit Schalko das Drehbuch: Evi Romen.
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Foto: APA Regisseur der ORF-Miniserie „M“: David Schalko.

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