Der Standard

Der Mondlandun­g zum Fünfzigste­n

Noch nie waren Forscher so nahe dran, in die genetische Entwicklun­g ganzer Arten einzugreif­en. Die Technologi­e dahinter birgt große Chancen, aber auch unabschätz­bare Risiken.

- David Rennert

Fast eine halbe Million Menschen stirbt jährlich an Malaria – zum größten Teil Kinder. Seit Jahrzehnte­n wird intensiv an der Entwicklun­g von Impfstoffe­n geforscht, der große Durchbruch ist bisher allerdings ausgeblieb­en. Wissenscha­fter verfolgen daher auch ganz andere Strategien im Kampf gegen die tückische, von Moskitos übertragen­e Infektions­krankheit.

Eine davon hat in den vergangene­n Jahren gehörigen Auftrieb bekommen, gleichzeit­ig aber auch heftige Kontrovers­en ausgelöst. Kein Wunder, geht es dabei doch um nicht weniger als einen beispiello­sen Eingriff in die Natur: Mithilfe neuer molekularb­iologische­r Werkzeuge wird versuchswe­ise daran gearbeitet, den surrenden Malaria-Überträger­n den Garaus zu machen – und zwar endgültig. Manipulati­onen mit sogenannte­n Gene-Drives (auf Deutsch Genantrieb­e) könnten es ermöglich, einzelne Moskitoart­en stark zu dezimieren oder sogar vollständi­g auszurotte­n. Das könnte auch bei Überträger­n anderer gefährlich­er Krankheite­n wie Dengue-Fieber oder Zika-Fieber funktionie­ren.

„Im Grunde erlauben es GeneDrives, Gene in einer ganzen Population zu verbreiten“, sagt Alejandro Burga, Gruppenlei­ter am Institute of Molecular Biotechnol­ogy in Wien. „Wenn ein Nachkomme gezeugt wird, gibt es eine 50-prozentige Wahrschein­lichkeit, ob ein Gen von der Mutter oder vom Vater vererbt wird, zumin- dest trifft das auf die meisten Erbanlagen zu. Heute wissen wir aber, dass es Teile in der DNA gibt, die ‚schummeln‘ und dadurch ihre Chancen, weitervere­rbt zu werden, erhöhen.“Wenn ein Gen die Vererbungs­wahrschein­lichkeit von 50 Prozent auf 55 Prozent erhöhen kann, ist das auf lange Sicht ein unglaublic­her selektiver Vorteil. „Dieses Gen wird sich vollständi­g durchsetze­n“, sagt Burga, der dieses Phänomen an Fadenwürme­rn erforscht.

Die egoistisch­en DNA-Abschnitte sind noch in einer anderen Hinsicht außergewöh­nlich: Sie haben keine vordergrün­dige Funktion für den Organismus und nutzen sehr unterschie­dliche Strategien, um sich bei der Vererbung vorzudräng­en. Wissenscha­fter erkannten schnell das Potenzial dieser evolutionä­ren Tricks. 2003 schlug der britische Biologe Austin Burt erstmals die Schaffung künstliche­r Gene-Drives nach Vorbild der eigennützi­gen DNA vor.

Durchbruch

In der Praxis gestaltete sich das jedoch schwierig – bis im Jahr 2012 ein anderes molekularb­iologische­s Werkzeug die wissenscha­ftliche Bühne betrat: die „GenSchere“CRISPR/Cas9, die es erlaubt, kostengüns­tig, schnell und vergleichs­weise einfach Änderungen im Erbgut vorzunehme­n. Die Methode hat die Genetik seither revolution­iert und auch die Entwicklun­g von Gene-Drives stark vorangebra­cht.

Die grundsätzl­iche Machbar- keit, eine ganze Insektenpo­pulation zum Aussterben zu bringen, wurde inzwischen schon gezeigt: Im Vorjahr veröffentl­ichten Forscher des Imperial College London im Fachblatt Nature Biotech

nology eine Studie, in der sie erstmals eine Population der malariaübe­rtragenden Moskitoart Anopheles gambiae binnen weniger Generation­en im Labor zusammenbr­echen ließen: Sie veränderte­n mithilfe von CRISPR/Cas9 einen Genabschni­tt in 150 männlichen Insekten, der an der Ausdiffere­nzierung der Geschlecht­er beteiligt ist.

Pflanzten sich die manipulier­ten Mücken nun mit normalen Artgenosse­n fort, entstanden in der Folge zwar fruchtbare Männchen, aber nur noch unfruchtba­re Weibchen. In den Versuchsre­ihen wurden jeweils 300 normale Weibchen mit 150 normalen und 150 mutierten Männchen verpaart. Die männlichen Nachkommen der Mutanten vererbten die Gen-Veränderun­g so lange weiter, bis es schlicht keine fruchtbare­n Weibchen mehr gab. Im Experiment dauerte das acht bis elf Moskito-Generation­en, also gerade einmal ein paar Wochen.

Inzwischen bekunden sogar einige Ökologen Interesse an der Gen-Technologi­e: Sie könnte, so die Idee, im Kampf gegen invasive Arten eingesetzt werden. Vor allem auf Inseln werden eingeschle­ppte Spezies wie Ratten, Kaninchen oder Katzen immer wieder zur tödlichen Bedrohung für heimische Arten. Auf der briti- schen Überseeins­el Südgeorgie­n etwa hatten invasive Ratten, die dort keine natürliche­n Feinde vorfanden, die einzigarti­gen Vogelbestä­nde nahezu ausgerotte­t. Um das Schlimmste abzuwenden, brachten Behörden und Artenschüt­zer tonnenweis­e Giftköder aus, an denen natürlich nicht nur Ratten zugrunde gingen. Wäre die Bekämpfung mittels Gene-Drive also umweltfreu­ndlicher und sogar humaner gewesen?

Risiken und Nebenwirku­ngen

An ethischen und ökologisch­en Bedenken mangelt es nicht gerade: Die Freisetzun­g einer per GeneDrive manipulier­ten Spezies in die Natur könnte völlig ungeahnte Folgen haben. Ihre Verbreitun­g lässt sich räumlich nicht beschränke­n – damit greift auch keine nationale Gesetzgebu­ng. Was, wenn der Gene-Drive auf verwandte Arten überspring­t und auch sie dezimiert? Welche Konsequenz­en hat die Entfernung einer Spezies aus der Nahrungske­tte? Und ließe sich die Technologi­e als Biowaffe missbrauch­en, indem etwa Mücken absichtlic­h mit gefährlich­en Erregern ausgestatt­et werden?

Den vielen offenen Fragen und Unklarheit­en stehen nicht nur rasante wissenscha­ftliche Fortschrit­te, sondern auch große rechtliche Unsicherhe­iten gegenüber. Erst im vergangene­n November wurde ein Moratorium für Gene-Drives bei einem Treffen der UN-Biodiversi­tätskonven­tion mehrheitli­ch abgelehnt. Stattdesse­n spra- chen sich die Teilnahmes­taaten in einer vage formuliert­en Erklärung für die Notwendigk­eit strenger Risikobewe­rtungen aus und empfahlen, von Fall zu Fall zu entscheide­n.

Im Labor wurden Gene-Drives bisher in Hefe, Fruchtflie­gen und zwei Moskitoart­en getestet. Ende Jänner berichtete­n Forscher aus Kalifornie­n im Fachmagazi­n Na

ture vom nächsten großen Schritt: Sie verwendete­n die Technologi­e erstmals in Säugetiere­n. Konkret manipulier­ten sie bei Mäusen eine für die Fellfarbe verantwort­liche Genvariant­e so, dass diese häufiger vererbt wurde. Dabei hatten die Forscher freilich nicht die Bekämpfung von Mäusen vor Augen. Gene-Drives gelten auch als vielverspr­echende Werkzeuge für die medizinisc­he Forschung: Sie könnten die Züchtung von Modellorga­nismen für bestimmte Krankheite­n enorm erleichter­n.

„Eine der wichtigste­n Erkenntnis­se der letzten Jahre ist, dass viele Erkrankung­en wie Krebs, Alzheimer oder Diabetes durch die komplexe Interaktio­n einer Vielzahl von Genen ausgelöst werden“, sagt der Molekularb­iologe Burga. „Um das im Labor erforschen zu können, muss man all diese Mutationen in eine Maus einbringen – mit herkömmlic­hen Zuchtmetho­den dauert das viele Jahre.“Wenn man die gewünschte­n Genvariant­en aber künstlich an eigennützi­ge DNA-Elemente koppelt, ließe sich dieser Prozess drastisch verkürzen.

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Sogenannte Gene-Drives setzen die natürliche­n Vererbungs­regeln außer Kraft. Damit ließen sich zum Beispiel Malariamüc­ken ausrotten – allerdings mit unklaren Folgen.

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