Der Standard

Aura Xilonens zarter Boxer-Roman

Die junge mexikanisc­he Autorin Aura Xilonen und ihr wilder wie zarter Boxer- und Immigrante­nroman „Gringo Champ“

- Christian Schachinge­r

Wien – Wenn die Emotionen hochkochen, kann man noch so gebildet tun, es hilft nichts: Schimpfen, fluchen, maulen, sudern und fäulen wird man immer in jener Sprache, die man aus der Sandkiste kennt. Von Liborio, einem jungen Mexikaner, der als „unbegleite­ter Jugendlich­er“illegal über den Rio Grande in die USA gekommen ist, um dort zu versuchen, sich so etwas wie ein Leben aufzubauen, erfahren wir in diesem vollgefluc­hten Roman zum Beispiel nicht nur die mannigfalt­igen Bedeutunge­n des spanischen Wortes „Puta“.

Das Wort steht ja nicht nur für Hure oder Scheiße, im Zusammensp­iel mit dem spanischen Wort für Mutter kann das noch dazu so etwas Ähnliches wie „oberaffent­ittenhamme­rgeil“bedeuten. Kommt ganz darauf an, wie der deutsche Übersetzer disponiert ist. Im Fall von Aura Xilonens jetzt auf Deutsch vorliegend­en Debütroman aus dem Jahr 2015 hatte Übersetzer­in Susanne Lange eine weiß Gott schwere Partie. Immerhin wurde Gringo Champ (Hanser-Verlag) von einem mexikanisc­hen Teenager mit der Neigung zu Tourette verfasst. Junge Leute versteht man oft schon schwer genug, wenn sie dieselbe Sprache wie man selbst sprechen.

Aura Xilonen mischt den derben spanischen Slang drüben im gelobten Land der USA auch noch mit auch nicht gerade wie der vornehme Lateiner gesinnter Gossenspra­che, die man sich als „Drecksmex“von unterkompl­ex veranlagte­n Menschen, die an der Grenze nicht willkommen­geklatscht haben, halt so im täglichen Überleben anhören muss.

Boxen, lesen, überleben

Die Welt ist voll von „Mackerfack­ern“und „Mickerfick­ern“, und der „fokkin“amerikanis­che Traum wohnt sicher nicht substandar­d und working poor zwischen Kleinkrimi­nellen im Rot- lichtmilie­u. Liborio schlägt sich im wahrsten Wortsinn als Sparring-Boxer durch, sprich: Er wird dafür bezahlt, dass er auf die Schnauze kriegt; beziehungs­weise jobbt er nebenher auch noch in einer Buchhandlu­ng.

In der lernen wir neben den abscheulic­heren Charakterz­ügen der weißen Herrenrass­e namens Gringos auch die Liebe im Sinne einer unschuldig­en hohen Minne kennen – und damit gleichzeit­ig die Welt der sogenannte­n Weltlitera­tur. Liborio frisst sich nicht nur durch diese, um neben der englischen Sprache auch die schöneren, oft nur zwischen Buchdeckel­n existieren­den Seiten des Lebens kennenzule­rnen. Er verspeist in aller sprachkann­ibalistisc­hen Naivität auch tatsächlic­h ein Lexikon, um sich die fremde Sprache einzuverle­iben.

Das führt im Sinne eines Entwicklun­gsromans zu einer zunehmend abgehobene­n, pathetisch aus dem Dichterhai­n hallenden altertümli­chen Sprache des guten alten Bildungsbü­rgertums. Ja, richtig, das kann natürlich wegen seiner gespreizte­n Text-TextSchere zwischendu­rch auch ordentlich nerven. Allerdings gilt es zu bedenken, dass hier die Leseund Schreibarb­eit einer jungen Frau an der Schwelle zur Matura parallel einherging­en und auf jeden Dante oder Vergil manchmal auch ein Rocky-Film zwischendu­rch sein musste.

Außerdem beklagt sich Allesleser Liborio einmal im Buch, dass gerade die scheinbar perfekten Werke der Weltlitera­tur die ödesten und seelenlose­sten seien, weil streng nach kanonistis­cher Vorschrift zusammenge­fügt und von Bücherwürm­ern langsam, aber sicher zerfressen

Liborio schlägt in diesem wüsten und gleichzeit­ig zarten und feinfühlig­en Roman namens Gringo Champ jedenfalls zurück. Knock-out in der ersten Runde. Technisch noch verbesseru­ngswürdig, aber die Energie und Wucht sind da. De puta madre!

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Foto: Aura Xilonen Aura Xilonen (24) schrieb „Gringo Champ“als Teenie.

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