Der Standard

Heiratsant­rag nach Leberstich

Prozess gegen 27-Jährige, die Partner attackiert­e

- Michael Möseneder

Wien – In den meisten Fällen führt der Stich mit einem Küchenmess­er in den Rumpf einer anderen Person zu einer Mordanklag­e. Nicht im Fall von Julia V. – die 27Jährige wurde nur wegen absichtlic­her schwerer Körperverl­etzung vor ein Schöffenge­richt unter Vorsitz von Christian Noe gebracht. Am 2. November hat die Unbescholt­ene ihren Lebensgefä­hrten Igor M. in der gemeinsame­n Wohnung attackiert. Aus Angst vor ihm, wie sie sagt.

Verteidige­r Richard Soyer arbeitet in seinem Eröffnungs­plädoyer drei Aspekte heraus, die das Leben seiner Mandantin geprägt haben. „2011 ist ihre drogenabhä­ngige Schwester verbrannt, danach hat sich Frau V. in den Alkohol geflüchtet. 2017 wurde sie Opfer einer schweren Vergewalti­gung. Im vergangene­n Juni lernte sie Igor kennen, beide nahmen einen Rucksack in die Beziehung mit. Sie wird verbal übergriffi­g, er körperlich.“Zweimal habe M. ihr in den fünf Monaten der Beziehung ein blaues Auge geschlagen, referiert Soyer, zum Beweis legt er Fotos vor. Beim zweiten Mal erstattete die Frau sogar Anzeige, zog aber ihre Aussage wieder zurück.

Man lebte dennoch weiter in der ihren gutsituier­ten Eltern gehörenden Wohnung. Am Tattag kam es zu einem Streit, M. verließ die Wohnung, V. trank noch mehr. Immer wieder von Weinanfäll­en unterbroch­en schildert sie ihre Version: „Er ist zurückgeko­mmen, der Streit ging weiter. Ich hatte Angst, dass er mich wieder verprügelt. In der Küchenzeil­e habe ich mir ein Messer genommen. Er hat mich angebrüllt, dass er genug von mir hat.“Bei der Polizei hatte sie unmittelba­r nach dem Vorfall mit gemessenen 2,4 Promille noch ausgesagt, sie wisse nicht, warum sie zugestoche­n habe. Nun beteuert sie, M. habe gesagt „Stich mich ab, du traust dich eh nicht“und sich vornüberge­beugt. Sie habe ein Ablenkungs­manöver vor einem Faustschla­g befürchtet und zugestoche­n.

„Ist irgendwas Spezielles vorgefalle­n in der Haft?“, fragt der Vorsitzend­e bei einer Gelegenhei­t unschuldig. „Nein“, hört er. „Gab es einen Heiratsant­rag?“, hilft Noe. „Ja.“– „Was haben Sie Herrn M. gesagt?“– „Ja.“– „Von wem ist der Antrag gekommen?“– „Er hat ihn an mich gestellt.“Der Vorsitzend­e will wissen, ob sie wirklich ihre Zukunft mit M. plane. „Das wird die Zeit ergeben“, weicht die laut Gutachter an einer Borderline-Störung leidende V. aus. Und betont: „Es war ja nicht alles schlecht. Wir hatten auch schöne Zeiten.“

V. wird wegen fahrlässig­er Körperverl­etzung im Zuge von Putativnot­wehr nicht rechtskräf­tig zu vier Monaten bedingt verurteilt. Zusätzlich bekommt sie die Weisung zu einer Entzugsthe­rapie und Bewährungs­hilfe.

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