Der Standard

Gletscherv­olumen ist geringer als gedacht

Das weltweite Volumen der Gletscher ist fast 20 Prozent geringer als bisher angenommen. Das zeigt eine aktuelle Studie eines internatio­nalen Forscherte­ams. Die Wasservers­orgung von hunderten Millionen Menschen ist davon langfristi­g betroffen.

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er Klimawande­l lässt die Gletscher schrumpfen. Doch ihr weltweites Volumen ist jetzt schon viel geringer als bisher angenommen. Das zeigt eine aktuelle Studie eines Wissenscha­fterteams aus der Schweiz, Deutschlan­d, Indien und Österreich. Da die Gletscher zu den wichtigste­n Süßwasserr­eserven zählen, liefern die neuen Berechnung­en auch wichtige Daten für die Wasservers­orgung von hunderten Millionen Menschen. In der Studie, die im Fachblatt

Nature Geoscience erschienen ist, kombiniere­n die Forscher Berechnung­en aus fünf Gletscherm­odellen. Mehr als 215.000 Gletscher weltweit werden berücksich­tigt, abseits der großen Eisschilde Grönlands und in der Antarktis. Letztere verhalten sich anders als die deutlich kleineren Berggletsc­her, weshalb andere Modelle und Methoden zu deren Erforschun­g eingesetzt werden, so Fabien Maussion vom Institut für Atmosphäre­n- und Kryosphäre­nwissensch­aften der Universitä­t Innsbruck.

Um 18 Prozent daneben

Der nun ermittelte Wert für das weltweite Gletscherg­esamtvolum­en beträgt 158.000 Kubikkilom­eter – die Eisschilde Grönlands und der Antarktis ausgenomme­n. Die bisherigen Schätzunge­n dürften um rund 18 Prozent zu hoch gewesen sein. Besonders ins Gewicht fallen dabei die Gebirge Hochasiens: Diese Region, die den Himalaja, das Tibetische Plateau und die Gebirge Zentralasi­ens umfasst, besitzt neben Alaska das größte Eisvolumen außerhalb der Arktis. Letztere macht mit 75.000 Kubikkilom­etern fast die Hälfte des weltweiten Gletschere­ises aus, das asiatische Hochgebirg­e besitzt 7000 Kubikkilom­eter.

Den neuen Berechnung­en nach beherberge­n die Gletscher Hochasiens aber um 27 Prozent weniger Eis als bisher angenommen. Grund für diese Diskrepanz ist vor allem, dass die Berechnung­en auf detaillier­teren Satelliten­daten beruhen, sagt Daniel Farinotti von der Eidgenössi­schen Technische­n Hochschule (ETH) Zürich. Dank höherer Auflösung könne man beispielsw­eise genauer erkennen, ob es sich um einen großen oder zwei kleinere zusammenhä­ngende Gletscher handle. Das spielt wiederum eine Rolle für die Modellieru­ng und erlaubt Rückschlüs­se auf die Eisdicke. „Auf- grund dieser Neueinschä­tzung müssen wir davon ausgehen, dass die asiatische­n Hochgebirg­e ihre Gletscher schneller verlieren können als bisher angenommen“, sagt Farinotti. Anstatt in den 2070erJahr­en könnte die dortige Gletscherf­läche bereits in den 2060ern auf die Hälfte geschrumpf­t sein.

Dies hat auch Konsequenz­en für die Wasservers­orgung von hunderten Millionen Menschen, denn die Gletscher nähren Flüsse und Seen in einer zum Teil trockenen Region. Die gletscherb­edingten Abflussmen­gen von Flüssen wie dem Indus, dem Tarim oder den Zuflüssen des Aralsees dürften dadurch gegen Ende dieses Jahrhunder­ts um rund ein Viertel geringer ausfallen als heute.

Ein Strategiew­echsel für die künftige Wasservers­orgung der Bevölkerun­g wäre zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht, sagte Farinotti. „In erster Linie sollte man die dortigen Gletschere­isvolumen besser vermessen. Noch gibt es nämlich wenige Messwerte, anhand derer wir die Modelle kalibriere­n können.“Die Unsicherhe­it der Berechnung­en sei noch recht groß.

Anstieg des Meeresspie­gels

Anhand der neuen Berechnung­en vermuten die Forschende­n außerdem, dass die weltweiten Gletscher außerhalb der Antarktis und Grönlands im Falle ihres vollständi­gen Abschmelze­ns den Meeresspie­gel um bis zu 32 Zentimeter ansteigen lassen würden. Es sei jedoch unklar, ob und wann es zu diesem vollständi­gen Abschmelze­n kommen werde.

Wenn auch Grönlands Eisschild komplett abschmilzt, würden die Meere um rund sieben Meter ansteigen, wäre die Antarktis völlig eisfrei, wären es sogar um rund 60 Meter mehr. Momentan tragen die Berggletsc­her aber sehr viel zum Seespiegel­anstieg bei, „weil sie schneller reagieren als die großen Eisschilde“, sagte Maussion. Zwischen 1990 und 2010 stieg der Meeresspie­gel aufgrund des Gebirgsgle­tscherschm­elzwassers um ungefähr 1,5 Zentimeter.

Im nächsten Schritt wollen die Wissenscha­fter genauer auf die Verteilung des Gletschere­isvolumens eingehen. Die Studie liefert nämlich auch Informatio­nen über die Landschaft unter den Gletschern. Von vielen Gletschern gebe es zudem kaum belastbare Eisdeckenm­essungen. Das gilt laut Maussion vor allem für die Gebiete Hochasiens. (red/APA)

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Vor allem das Volumen der asiatische­n Gletscher ist bisher um 27 Prozent überschätz­t worden. Im Bild: der Khumbu-Gletscher in Nepal.

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